Ellen. Carolin Schairer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolin Schairer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783897419964
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tun?« Er sah sie mit leichtem Entsetzen im Blick an. »Du brauchst doch einen Job. Wir haben noch immer Schulden.«

      Nina seufzte. Es war nicht nötig, dass er sie daran erinnerte – sie wusste es auch selbst nur zu gut.

      »Wir sind nur noch eine Monatsmiete im Rückstand«, sagte sie. »Und das Konto ist seit meiner ersten Gehaltsüberweisung sogar leicht im Plus. Wir schaffen das schon irgendwie, Lukas. Ich kann ja wieder PR-Texte für Agenturen schreiben. Und mir vielleicht einen Job in einem Fast-Food-Laden suchen.«

      Lukas schien wenig begeistert.

      »Ach, Nina … das mit den PR-Texten hat doch vorher auch nicht zum Leben gereicht. Die zahlen ja so wenig, und du hast keine regelmäßigen Aufträge bekommen. Und dir wird allein vom Geruch von Fastfood schon übel. Wie willst du da den ganzen Tag in so einem Schuppen aushalten?«

      Nina zuckte hilflos mit den Schultern. Im Augenblick schien ihr alles besser als der Job bei LENOPHARM.

      »Ich werde mich bemühen, mehr Aufträge an Land zu ziehen«, meinte sie unschlüssig.

      Lukas schüttelte den Kopf.

      »Nina, Nina … wie willst du das denn anstellen? Du hast hier in Wien keine guten Kontakte, und sind wir doch ehrlich: Selbstmarketing ist absolut nicht deine Stärke.« Er überlegte kurz. »Ich kann natürlich mal im Theater an der Wien nachfragen, ich habe da neulich jemanden kennen gelernt, der dort Regieassistenz macht. Vielleicht kann der dich über seine Beziehungen unterbringen. Und ich müsste wirklich meine Beziehungen spielen lassen. Das würde ich nur ungern machen, wenn ich nicht sicher sein kann, dass du den Job dann nicht auch gleich wieder sausen lässt.«

      Ninas Augen füllten sich erneut mit Tränen. Sie fühlte sich im Augenblick ziemlich missverstanden. Warum begriff Lukas nicht, wie schlimm ihr Arbeitsalltag war?

      »Ich habe mir gedacht … ich meine, ich weiß, du hast viel um die Ohren mit der Ausbildung«, begann sie zögernd. »Aber vielleicht wäre es möglich, dass du abends oder am Sonntag doch einen kleinen Job annimmst? Dann würde nicht alles an mir hängen.«

      Lukas sah sie an, als hätte sie ihm vorgeschlagen, ab morgen auf dem Mond zu wohnen, »Nina, wie soll das denn gehen? Du weißt doch, dass ich abends nicht zu fixen Zeiten mit dem Tanztraining fertig werde, und dass ich mir sonntags freihalten muss, falls ich bei ›Rebecca‹ als Hintergrundtänzer einspringen kann. Das wär so eine supergroße Chance für mich! Du willst doch nicht, dass ich meine ganze Karriere riskiere, nur, weil du jetzt gerade mal einen Durchhänger hast?«

      Nein, natürlich wollte sie nicht Lukas’ Karriere riskieren. Sie wusste ja, wie viel ihm die Musicalausbildung bedeutete.

      Trotzdem ging sie an diesem Tag mit einem unglücklichen Gefühl im Herzen zu Bett und fand stundenlang keinen Schlaf. Die Aussicht auf den nächsten Tag lastete wie ein zentnerschwerer Stein auf ihrer Seele.

      Es war Samstag, und Nina war mehr als nur froh, dass die Woche um war. Sie hatte den Freitag ohne Zwischenfälle überstanden. Sie hatte das Pressestatement der Zentrale auf ihrem PC abgespeichert und einer weiteren Sitzung zum Thema Reroxin beigewohnt, in der sich alle an der Medikamenten-Krise Beteiligten gegenseitig über die bereits getroffenen Maßnahmen informierten. Der Brieftext an die so genannten KOLs, die Key Opinion Leader und führenden Ärzte Österreichs, wie Nina inzwischen in Erfahrung gebracht hatte, war fertiggestellt. Montag früh sollte der Brief gedruckt, kuvertiert und verschickt werden.

      »Bei dem Seltenheitswert, den diese Nebenwirkungen haben, wird das sowieso kein großes Thema werden«, meinte Georg Waldmeister, der Leiter der Medizin-Abteilung, gleichmütig. »Ich denke, für die Medien ist das kein Thema. Zumal die Hintergründe dieser Studie aus meiner Sicht sehr strittig sind. Es handelt sich ja nicht einmal um eine randomisierte doppelblinde Studie, sondern eigentlich um eine Anwendungsbeobachtung.«

      »Ich bin sicher, dass das vom Mitbewerb inszeniert ist«, äußerte sich Max Weidenreich, Leiter der Sparte Antiinfektiva. »Die wollen Reroxin aus dem Weg räumen, um mit ihrem Konkurrenzprodukt Faroxin kräftig abzusahnen.«

      Nina hatte mit »randomisiert« und »doppelblind« nichts verbunden, Faroxin sagte ihr überhaupt nichts, aber Waldmeisters Aussage, dass es für die Medien kein Thema war, beruhigte sie ungemein.

      »Wir sprechen über ein Antibiotikum – über ein Medikament, das viele Menschen kennen«, hatte Ellen eingewandt. »Das sollten wir nicht vergessen. Journalisten schweigen nicht. Das kann wirklich ein Thema sein.«

      »Ellen, mal nicht wieder den Teufel an die Wand«, hatte Waldmeister jovial empfohlen. Für Nina war es eine Genugtuung gewesen, dass es jemanden gab, der Ellen McGill widersprach. Noch amüsanter fand sie, dass Ellen dieses Sprichwort weder verstand noch nach Erläuterung metaphorisch umsetzen konnte.

      »Ich nehme das ernst«, beharrte sie mit steinerner Miene.

      Heute, am Samstag, hatte Nina endlich wieder einmal ausschlafen können. Sie kuschelte mit Lukas bis mittags im Bett, dann trafen sie sich mit Freunden von der Musicalschule zum Brunchen in einem Lokal in Wien-Josefstadt. Nina war im Grunde von der Idee nicht begeistert gewesen, der Preis von 16,80 Euro pro Person schreckte sie gewaltig ab. Doch Lukas hatte sie damit überredet, dass es ja schließlich ein Buffet sei und sie für das Abendessen gleich würden mitessen können. Sicher sei es auch kein Problem, für das Frühstück am nächsten Tag Semmeln und abgepackte Marmeladen mitgehen zu lassen. Als sie schließlich vor einem Teller mit Rührei und köstlich duftenden, frischen Croissants saß, war sie froh über die Entscheidung, dem Brunch zugestimmt zu haben. Zum ersten Mal in dieser Woche fühlte sie sich entspannt.

      Sie war die einzige in der Runde, die nicht im künstlerischen Bereich tätig war. Mark und Kevin, ein schwules Pärchen, die Slowakin Marga und Sonja, mit nur einundzwanzig die Jüngste in der Runde, besuchten mit Lukas die Musicalklasse. Sonjas Freund Antonio, ein Italiener aus Neapel, war Tenorsänger im Chor der Wiener Staatsoper, und Margas neuer Freund Duncan, ein Ire, spielte Schlagzeug in einer Jazz-Band.

      Nina setzte sich absichtlich weit weg von Duncan, schon weil sie von englischer Sprache derzeit genug hatte. Antonio war ihr mit seinem südlichen Charme sowieso sympathischer als der etwas kühl wirkende Ire.

      »Und, malst du an ein neue Buch?«, wollte Marga mit ihrem harten osteuropäischen Akzent wissen.

      »Ich komme im Moment nicht dazu«, gab Nina zu. »Wenn ich abends nach Hause komme, bin ich todmüde, und die Wochenenden sind einfach zu kurz.«

      »Du ziehst das jetzt also wirklich durch, bei diesem Pharmakonzern?«, fragte Sonja ungläubig.

      »Nun ja …« Nina warf einen hilflosen Blick auf Lukas, doch der war im Moment ausschließlich auf sein Schokoladencroissant konzentriert. »Ich werde es wohl durchziehen müssen.«

      »Also, ich verstä-hä nicht, wieso du dir das antust!«, trompete Marga nun in einer Lautstärke, die sogar die Leute vom Nebentisch dazu bewog, ihnen kurzfristig ihre Aufmerksamkeit zu schenken. »Das ist ein Pharmakon-zärn. Das ist ein stinklangweiliges Unternäh-män. Das ist total kapitalistisch! Hast du diesen Film gesäh-än, mit den illegale Arzneimittelteste in die Entwicklungslän-där? Das war entsetzlich! – Also, ich könnte das wirklich nicht, wirklich gar nicht, so eine kapitalistische Sys-täm unterstützen!«

      Nina war auf einmal klar, weshalb sie Marga nicht mochte. Sie hasste Leute, die derart mit ihrem Weltbild um sich keulten.

      »Das war nur ein Film«, verteidigte sie sich lahm. »Soviel ich weiß, gibt es für Arzneimittelstudien genaue Auflagen.«

      Seltsamerweise fielen ihr genau in diesem Moment die für sie mysteriösen Begriffe »randomisiert« und »doppelblind« ein.

      »Das ist doch alles wie Mafia«, belehrte Marga. »Die Auflagen sind ja total kapitalistisch und mit Korruption, das weiß doch jä-där!«

      Nina kam nicht dazu, etwas darauf zu erwidern. Denn im selben Augenblick läutete ihr Handy. Hektisch durchwühlte sie die Tiefen ihrer Umhängetasche. Als sie es schließlich fand, hatte das Klingeln bereits aufgehört.

      »Oh,