Ellen. Carolin Schairer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolin Schairer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783897419964
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Stephanie Tee. Dabei sah sie sich kein einziges Mal zu Nina und Jasna um.

      Während des kurzen Telefonats hatte Nina Zeit, sie zu betrachten. Büroeinrichtung und Büroinhaberin ergaben ein stimmiges Bild: Sah man von der Munch-Nachbildung ab, bewies Ellen McGill nicht nur Stil bei ihrer Büroeinrichtung, sondern auch in Kleidungsfragen. Obgleich nur einen halben Kopf größer als Nina mit ihren kleinen ein Meter sechzig, war sie eine auffallende Erscheinung. Sie war sehr schlank. Gemessen an ihren Proportionen, wirkten ihre Beine lang. Sie hatte einen sehr hellen Teint; ihr Gesicht war dezent geschminkt, die Augenbrauen recht dünn und mit extravagantem Schwung gezupft. Im Einklang mit ihren sehr feminin geschnittenen, kurzen Haaren wirkte ihr Gesicht wie das einer Porzellanpuppe, fand Nina. Der tailliert geschnittene Anzug, den sie trug, untermalte den puppenhaften Eindruck. Auch wenn Nina sich für Kleidung wenig interessierte – dass dieser Anzug nicht von der Stange war, erkannte sogar sie. Noch nie hatte sie so einen extravaganten und doch zugleich eleganten Schnitt gesehen. Dazu trug Ellen McGill ebenfalls sehr ausgefallene Pumps mit einer dezent geschwungenen Schnalle aus Metall.

      Das markanteste an Ellen war jedoch die Haarfarbe: Ihr Haar glänzte kupferrot. Das äußere Erscheinungsbild dieser Frau wirkte auf Nina einfach überwältigend.

      Ihr erster positiver Eindruck sollte nicht lange währen. Denn nun drehte die neue Kollegin sich erstmals zu ihnen um. Nina fühlte mit Entsetzen, wie Ellen McGill innerlich erstarrte. Dabei blieb ihr Gesicht nahezu unbewegt. Doch ihre Augen blickten Nina eisig an.

      »Wer hat Sie eingestellt?«

      Hätte sie nicht dieser kalte Blick getroffen, wäre Nina darüber erleichtert gewesen, dass Ellen McGill Deutsch mit ihr sprach, wenngleich auch mit leichtem amerikanischen Akzent. Es war ihre größte Sorge gewesen, dass sie einem native speaker gegenüber saß und ihr unzulängliches Englisch auffiel. Nun aber merkte sie, dass ihr Magen sich zusammenkrampfte. Sie hatte schon immer gespürt, wenn jemand sie ablehnte – und so auch jetzt.

      »Herr Dr. Brauer«, sagte Nina mit leiser Stimme. Sie sah an Ellen McGill vorbei auf den Boden, um deren eisigem Blick zu entkommen.

      »Michaelis«, sagte Jasna zu ihrem Erstaunen. Ihr Instinkt hatte sie also nicht getrogen: Brauer war nicht so begeistert von ihrer Person gewesen, dass er ihr die Stelle hatte geben wollen. Aber warum setzte sich Michaelis, der Herr mit dem freundlichen Lächeln, der mit ihr über das Leben und die Liebe philosophiert hatte, für sie ein?

      Ellen McGill nahm Jasnas Kommentar mit unbewegter Miene zur Kenntnis. Sie reichte Nina nun die Hand. Ihr Händedruck war flüchtig und schwach, sie sah ihr nicht in die Augen.

      Dann nahm auch sie Platz.

      »Sie haben Erfahrung mit Pharma-PR?«

      Ihre Stimme klang jetzt sachlich, aber nicht einladend.

      »Ich … ich habe schon für eine Agentur ein paar Texte geschrieben. Zu Vitaminpräparaten«, erklärte Nina und versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu verbergen. Ellen McGills Haltung verunsicherte sie.

      »Das ist OTC«, bemerkte Ellen McGill ungerührt. »Also haben Sie keine Erfahrung mit Pharma-PR.«

      Nina sank in sich zusammen. Das fing ja gut an. Und mit dieser Frau sollte sie zusammenarbeiten.

      »Nina hat ein Kinderbuch gezeichnet und getextet, das auch veröffentlicht wurde«, sprang Jasna nun ein.

      »Oh, wirklich.« Ellen McGills Kommentar hätte desinteressierter nicht klingen können. Stephanie kam herein, brachte ihr eine Kanne Tee und schenkte ihr ein. Als sie wieder verschwunden war, setzte sie hinzu: »Ich wollte jemanden mit Pharma-PR-Erfahrung.«

      »Nina lernt sicher schnell«, sagte Jasna. »Und in dir hat sie auch jemanden, der ihr da sicherlich wertvolle Starthilfe gibt.«

      »I don’t know much about PR«, erwiderte Ellen abweisend. Als sie nach ihrer Teetasse griff, bemerkte Nina, dass ihre Hände leicht zitterten.

      Nina war froh, als sie das Büro und Ellen McGill wenig später wieder verließen. Ihr Magen war wie zugeschnürt. Das Zusammentreffen mit dieser Frau hatte sie komplett entmutigt. Jasna dagegen machte im Gang einen Scherz über eine dürre Pflanze, die im Gang herumstand und offenbar schon länger nicht mehr gegossen worden war, und schien Ellen McGills unnahbarer Haltung offensichtlich keinerlei Stellenwert beizumessen. Wieder zurück im gemeinsamen Büro, hielt es Nina nicht mehr aus. Sie nahm allen Mut zusammen und fragte vorsichtig: »Was ist mit dieser Frau?«

      Jasna hob den Kopf und sah sie über die kleine Sichtbarriere zwischen ihren Schreibtischen hinweg erstaunt an.

      »Mit Ellen? – Nichts, was soll mit ihr sein?«

      Nina zweifelte im ersten Augenblick an sich selbst und ihrer Wahrnehmung. Hatte diese McGill nicht ganz klar zu verstehen gegeben, dass sie mit der Wahl, die Michaelis mit ihrer Einstellung getroffen hatte, nicht zufrieden war?

      »Sie klang nicht so begeistert«, meinte Nina unschlüssig.

      »Ach, nein«, beschwichtigte Jasna unbekümmert. »Das bildest du dir ein. Sie braucht nur ein bisschen Zeit, um sich an dich zu gewöhnen, das ist alles.«

      Sie vertiefte sich wieder in ihre Arbeit und überließ Nina ihren Zweifeln, die sich nicht gelegt hatten.

      Ein Schwall von amerikanischem Englisch, im Rekordtempo gesprochen, flitzte durch den Telefonhörer und traf Nina wie der Biss einer giftigen Schlange. Sie hatte keine Ahnung, was Ellen McGill von ihr wollte, und verstand nur wenig. Wörter wie »Pressrelease«, Pressemitteilung und »Stand-by Statement« flogen ihr um die Ohren, außerdem fiel immer wieder der Begriff »Reroxin«, mit dem Nina überhaupt nichts anfangen konnte. Ellen McGills schneidende Stimme lähmte ihre Reaktionszeit und ihren Verstand. Sie wusste nicht, was man von ihr wollte, und verstand keineswegs, weshalb diese penetrante Frau dermaßen aufgebracht war. Als die Tirade offenbar geendet hatte, hing bleierne Stille in der Leitung.

      Zu spät realisierte Nina, dass ihr gerade eine Frage gestellt worden war.

      » Would you answer my question, please!«

      Das Please klang für Nina wie ein Befehl mit fünf Ausrufezeichen. Sie hatte die Frage nicht verstanden, wusste nicht, um was es überhaupt ging, war verwirrt und auch verletzt von dem Tonfall, in dem mit ihr gesprochen worden war, und sagte deshalb das einzige, was sie sagen konnte: »I don’t know.«

      Schweigen am anderen Ende. Ellen McGills Tonfall klang sehr kühl, als sie schließlich auf Deutsch sagte: »Geben Sie mir bitte Jasna.«

      Nina streckte den Telefonhörer mit zitternder Hand Jasna entgegen, die ihn mit fragendem Gesichtsausdruck an sich nahm.

      »Hallo? – Nein. – Ach so? – Ich wusste davon nichts. – Nein, nein. Bisher nicht. – Natürlich. Sie wird gleich kommen.«

      Sie legte auf und schob Nina, die mit kläglicher Miene auf ihrem Schreibtischstuhl saß, mit sanfter Gewalt von ihrem PC weg.

      »Lass mich mal in deine Mails schauen.« Sie durchforstete mit prüfendem Blick Ninas geöffnete Mailbox und entdeckte schließlich, was sie gesucht hatte. »Da ist es. Das Mail von Ansgar Hüter von der Konzernzentrale.« Sie öffnete es. »Nina, da geht es um Reroxin, ein Antibiotikum von LENOPHARM. Es wird in THE LANCET eine Studie veröffentlicht werden, in der eine signifikant hohe Anzahl von Nierenschädigungen bei Patienten festgestellt wurden, die Reroxin länger als zehn Tage genommen haben. Dieser Artikel könnte ein Presseecho nach sich ziehen – auch bei den Laienmedien. Ansgar Hüter ist der Pharma-PR-Chef auf globaler Ebene. Er hat einiges Material vorbereitet, falls Medienanfragen kommen. Ein Stand-by-Statement, einen FAQ-Katalog mit den wahrscheinlichsten Fragen dazu, die von Journalistenseite kommen könnten. Er hat das gestern noch geschickt. Ellen hat bereits eine Krisensitzung einberufen. Es müssen ja auch die wichtigsten Ärzte und der Außendienst darüber informiert werden. Du solltest diese Unterlagen ausdrucken und zu Ellen ins Büro gehen. Sie sitzt da bereits mit den Kollegen aus der Medizinabteilung und dem Produktmanager zusammen.«

      Verzweiflung machte sich in Nina breit. Nicht nur, dass sie im Moment noch nicht sah, welche Rolle genau sie in dieser Reroxin-Krise