Ellen. Carolin Schairer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolin Schairer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783897419964
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kannst nicht du gehen? Ich weiß nicht …«

      Jasna unterbrach sie. »Nein, Nina. Ich habe jetzt dann einen Termin mit einer Journalistin, den ich wirklich nicht absagen kann. Und Pharma ist sowieso dein Aufgabenbereich. Ich schule dich gerne ein, aber arbeiten musst du schon selbst.«

      Als ob es darum geht, dachte Nina bitter. Sie wagte einen neuerlichen Anlauf.

      »Ellen McGill ist stocksauer auf mich.«

      »Sie war vielleicht etwas ungehalten, weil du trotz Einladung nicht zu dieser Sitzung erschienen bist«, beschwichtigte Jasna. »Schau – hier oben, gleich das erste Mail von heute früh, das war die Einladung zur Sitzung. Das Mail ist sogar mit »dringend« versehen. Aber du hast es noch nicht mal geöffnet. Und das Mail mit den Unterlagen hattest du zwar geöffnet, aber nicht an sie weitergeleitet, wie ich sehe.« Sie sah Nina beschwörend an. »Du musst Mails, die du von der Konzernzentrale zu solchen Themen bekommst, sofort an Ellen weiterleiten – und an die Medizinabteilung und den zuständigen Produktmanager. Es ist außerordentlich wichtig, dass im Falle einer potentiellen Krise alle frühzeitig informiert sind. Und es ist auch wichtig, dass du dich in die Unterlagen, die dir geschickt werden, eingelesen hast, noch ehe ihr euch zu einer Besprechung trefft.«

      »Woher soll ich denn wissen, was wichtig ist?«, verteidigte sich Nina kläglich.

      »Ich weiß, dass es momentan noch schwierig für dich ist«, gab Jasna zu. »Aber du kannst mich ja fragen, wenn du dich nicht auskennst. Lieber fragst du einmal mehr als einmal zu wenig.«

      »Als das Mail wegen Reroxin gestern kam, warst du in einer Sitzung … und dann haben wir uns nicht mehr gesehen«, warf Nina ein. »Ich hätte dich heute sowieso gefragt, aber dann kam schon der Anruf von Ellen.«

      »Es hat keinen Sinn, Nina, wenn wir jetzt weiter darüber diskutieren«, entgegnete Jasna. »Du weißt, was ich meine. Pharma ist ein sensibler Themenbereich, und Verzögerungen können wir uns da nicht leisten. – Nimm jetzt diese Ausdrucke und geh zu Ellen, danach sehen wir weiter.«

      Nina fühlte sich abgekanzelt wie ein unmündiges Schulkind. Sie kam sich wieder einmal völlig fehl am Platz vor. Mit einer Mischung aus Furcht, schlechtem Gewissen und dem Empfinden, zu allem unfähig zu sein, betrat sie wenige Minuten später Ellen McGills Büro. Fünf Leute saßen hier zusammen und diskutierten bereits heftig über nächste Schritte – dies in Englisch, wie Nina entsetzt feststellen musste. Von Ellen McGills Seite schlug ihr Eiseskälte entgegen. Sie bot ihr nicht einmal einen Sitzplatz an, sondern forderte sie gleich auf, über ihre geplanten PR-Maßnahmen zum aktuellen Thema zu berichten.

      Nina fühlte sich an die Wand gedrückt. Unerwartete Hilfe kam von Georg Waldmeister, dem Leiter der Medizinabteilung, der über Informationsmaßnahmen für die Ärzte und Apotheken erzählte und hinzufügte, dass in diesem Fall hinsichtlich der Pressearbeit vorerst sowieso nur reaktiv – also auf Nachfrage – agiert werden sollte.

      »Ich rechne nicht damit, dass Sie viele Journalistenanrufe zu diesem Thema bekommen werden, Frau Blume«, meinte er gelassen. »Dieses Nierenleiden, das hier erwähnt ist, kann auch in anderem Zusammenhang stehen. Wir kennen noch nicht den genauen Studienhintergrund. Solange wir nicht mehr Informationen haben als diesen verkürzten LANCET-Artikel, besteht aus meiner Sicht kein Grund zur Sorge.«

      »Das Pressestatement muss es auf Deutsch geben«, bemerkte Ellen knapp. »Besorgen Sie sich das – für den Außendienst.«

      Nina hatte wenig Ahnung, woher sie sich das Pressestatement auf Deutsch besorgen sollte und was der Außendienst damit zu tun hatte, doch sie schämte sich für ihre Unkenntnis so sehr, dass sie sich nicht nachzufragen traute.

      Als sie zehn Minuten später Ellen McGills Büro verließ, fühlte sie sich noch niedergeschlagener und unfähiger als zuvor. Sie hatte fast nichts von dem verstanden, was in der Folge besprochen wurde. Von einem »Dear Doctor Letter« war die Rede, von einer Behörde namens AGES, die verständigt werden musste, von so genannten KOLs, die nach Einschätzung von Waldmeister diese oder jene Meinung zu dem Thema »Reroxin« vertreten würden und nach Meinung von Ellen McGill eine andere. Obgleich beide heftig miteinander diskutierten, fiel Nina durchaus auf, dass Ellen mit Waldmeister wesentlich respektvoller umging als mit ihr.

      Als sie in ihrem Büro ankam, stellte sie fest, dass Jasna bereits gegangen war. Das kam ihr gerade recht, denn so konnte sie ihren Tränen freien Lauf lassen.

      Lukas lag auf der Couch und hörte lautstark einen Ausschnitt aus »Cats«. Nina, die sich nach diesem Tag regelrecht erschlagen fühlte, wünschte sich beim Entreten nichts mehr, als dass jemand von den Nachbarn Beschwerde gegen die permanente musikalische Berieselung zu späterer Stunde und in dieser Lautstärke einlegen würde. Gleichzeitig wusste sie, dass dieser Wunsch nicht erfüllt werden würde – die alte Dame, die nebenan wohnte, war nahezu taub, und unter ihnen befand sich eine Studenten-WG, deren Bewohner entweder unterwegs waren oder selbst lärmende Partys feierten. Über ihnen war nur noch der Dachboden.

      Während Nina den Mantel am Garderobenständer aufhängte, fiel ihr Blick auf das schmutzige Geschirr, das sich im Spülbecken stapelte. Ärger keimte in ihr auf. Auf dem Herd stand eine Pfanne, in der trockene Reisreste klebten. Konnte Lukas nicht ein Mal abwaschen? Schließlich war er es, der hier tagtäglich Geschirr benutzte. Seit sie bei LENOPHARM arbeitete, frühstückte sie im Büro und nahm ihr Mittagessen in der Kantine ein. Abends aß sie meist nur ein Stück Brot oder Obst.

      Heute hatte sie nicht einmal darauf Lust. Sie fühlte sich erschöpft, ausgezehrt und deprimiert.

      Sie hatte Stunden damit verbracht, das Stand-by-Pressestatement mit Hilfe eines Fachwörterbuches ins Deutsche zu übersetzen. Als sie endlich damit fertig gewesen war, hatte sie es an Ellen McGill geschickt, die sich prompt nicht vorstellen konnte, dass die Formulierung in dieser Art korrekt war und von der Medizinabteilung so freigegeben würde. Was sie wortwörtlich sagte, blieb Nina unerschlossen, da die Pharma-Marketingleiterin sich nicht die geringste Mühe gab, wenigstens am Telefon langsamer und deutlicher Englisch zu reden.

      Entmutigt versuchte sich Nina in Folge an Korrekturen. Mit der zweiten Lösung war auch sie selbst zufriedener. Da sie nicht erneut eine Rüge einstecken wollte, ging sie mit dem übersetzten Statement gleich zu Georg Waldmeister und bat ihn um die Freigabe des Textes. Dieser tauschte rasch ein paar Worte gegen andere, weniger absolut klingende Phrasen aus und fügte einige Fachausdrücke ein, die Nina noch nie in ihrem Leben gehört hatte.

      Nina schickte das Endergebnis wiederum an Ellen McGill und bekam sofort eine Lesebestätigung, aber keine Antwort. Nach zwei Stunden fasste sie sich ein Herz und fragte telefonisch nach, ob das Statement nun so okay war.

      »Pressestatement?«, wiederholte Ellen mit kühler Stimme. »Ach – das. Ich habe es schon seit Stunden in Deutsch.«

      Nina konnte nicht glauben, was sie da hörte.

      »Aber … wieso? Woher?«, stammelte sie verwirrt.

      »Woher nur? Natürlich vom Konzern«, ätzte Ellen Mc-Gill herablassend. »Ich habe es angefordert. Das ist nicht meine Aufgabe. Aber ich kann nicht Stunden warten. Ich brauche das sofort. Und mir ist Qualität wichtig.«

      Sie legte grußlos auf.

      Nina hatte verdattert den Telefonhörer in der Hand gehalten und sich wiederholt gefragt, was hier eigentlich falsch lief. Auch jetzt, wo sie zu Hause im Wohnzimmer stand, kämpfte sie erneut mit den Tränen. Sie wollte nichts anderes, als von Lukas getröstet werden.

      Als Lukas ihr Gesicht sah, sprang er sofort auf und drehte die Musik leiser. Besorgt kam er auf sie zu und nahm sie in den Arm.

      »Nina-Schatz, was ist denn los?«

      Unter Tränen erzählte sie von ihrem schrecklichen Tag und Ellen McGill. Dann teilte sie Lukas mit, was sie sich im Laufe des restlichen Nachmittags überlegt hatte.

      »Ich halte den Job nicht aus, Lukas. Ich bin nicht gut genug dafür qualifiziert, ich habe keine Ahnung von Medizin und Arzneimitteln. Weiß der Himmel, warum ich überhaupt eingestellt worden bin. – Noch bin ich in der Probezeit. Ich kann einfach gehen. Und genau das will ich tun. Ich