Ellen. Carolin Schairer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolin Schairer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783897419964
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erkundigte sich die Dame, die wohl nie ihre Kollegin werden würde.

      »Mein Freund macht hier eine Musicalausbildung«, antwortete Nina. Da sie innerlich sowieso mit dem angebotenen Job abgeschlossen hatte, machte sie sich schon keine Gedanken mehr, ob ihre Aussage negativ oder positiv bewertet wurde.

      »Und was sind Ihre familiären Pläne?«, erkundigte sich Brauer, ohne eine Miene zu verziehen. Nina wusste, auf was er anspielte. Ihre Antwort war ehrlich.

      »Mein Freund ist, wie ich sagte, noch in der Ausbildung. Wir haben derzeit keine Pläne, zu heiraten oder Kinder zu kriegen. Allerdings – sollte ich zufällig schwanger werden, würde ich nicht abtreiben.«

      Jasna Milic lächelte. Michael Brauner machte sich eine Notiz auf ihrem Lebenslauf.

      Nina malte sich aus, dass er etwas vermerkt hatte wie »karriereuntauglich« oder »sentimental«. Aber gut – der Job war ja, wie sie festgestellt hatte, sowieso nichts für sie.

      »Tja, nun gut«, setzte Michael Brauer erneut an und leitete damit offensichtlich das Ende des Gesprächs ein. »Gibt es von Ihrer Seite noch Fragen?«

      Nina kam nicht dazu, höflich zu verneinen. Denn im selben Moment klopfte jemand energisch an die Türe und trat ein. Dieser Jemand war ein schlanker, hochgewachsener Mann mit Brille, der in einem Alter war, in dem er Ninas Großvater hätte sein können. Er trug Anzug und Krawatte.

      »Oh, ich wusste nicht, dass Sie besetzt sind, Brauer«, sagte er. Nina bemerkte den norddeutschen Einschlag in seinem Tonfall. Sie spürte deutlich, dass das Verhältnis der beiden Männer nicht gerade von Sympathie geprägt war.

      Brauers Mienenspiel verriet Anspannung, als er eine Spur zu schnell sagte: »Keine Ursache. Nur ein Vorstellungsgespräch für die freie PR-Stelle. Wir wollten die Dame gerade verabschieden.«

      Nina wollte sich gerade gehorsam erheben, als der Blick des Norddeutschen auf sie fiel. Es war ein kurzes, irritiertes Aufflackern in seinen Augen, das ihr ebenso wenig entging wie Michael Brauers Reaktion zuvor. Ähnlich wie Brauer hatte sich aber auch der weißhaarige Herr sofort wieder unter Kontrolle. Zu Ninas Erstaunen streckte er ihr nun mit liebenswürdigem Lächeln die Hand entgegen.

      »Guten Tag. Philipp Michaelis, Teilhaber von LENOPHARM. Und mit wem habe ich das Vergnügen?«

      »Nina Blume.«

      Michaelis Lächeln vertiefte sich. »Das ist ein hübscher Name«, stellte er fest. Unaufgefordert nahm er auf dem überzähligen Stuhl auf Brauers rechter Seite Platz und griff nach dem Ausdruck ihres Lebenslaufs. Er überflog ihn kurz, dann sagte er: »Nun, Brauer, ich hoffe, Sie haben der jungen Dame die richtigen Fragen gestellt.«

      Brauer nickte, aber Nina merkte, dass ihm die Einmischung von Michaelis absolut nicht gefiel. Auch sie selbst fühlte sich unwohl, weil sie insgeheim froh darüber gewesen war, dass sie verabschiedet werden sollte, und nun hatte es den Anschein, als würde alles von vorne beginnen – nur mit einer anderen Person, die die Fragen stellte.

      »Hier steht: Familienstand ledig«, stellte Michaelis fest. »Wieso ledig?«

      Nina zuckte zusammen. Warum nicht ledig, ging ihr durch den Kopf. Warum stellte dieser Mann solch eine seltsame Frage? Wurde bei LENOPHARM erwartet, dass eine Frau mit siebenundzwanzig Jahren schon verheiratet war?

      Michaelis lächelte sie noch immer an. Es war offensichtlich, dass er auf eine Antwort wartete.

      Nina schluckte. »Ich … wir sind erst zwei Jahre zusammen«, sagte sie schließlich. »Das ist noch nicht so lange.«

      »So, so.« Michaelis legte die Hand auf sein Kinn und betrachtete sie eingehend. Nina zwang sich, ruhig sitzen zu bleiben, obgleich ihr innerster Wunsch war, den Raum sofort zu verlassen. Wie kam sie dazu, ihre Beziehung zu Lukas in dieser Form darlegen zu müssen?

      »Wissen Sie«, begann Michaelis nun, ohne sein Lächeln zu verlieren. »Ich denke immer ziemlich absolut, wenn es um Gefühlsangelegenheiten geht. Entweder passt man zusammen, oder man tut es nicht. Manchmal merkt man das nicht gleich, zugegeben. Aber nach einiger Zeit sagt das Herz immer, was es will – auch, wenn der Verstand es vielleicht nicht wahrhaben mag. Das Herz lügt nie. Stimmen Sie mir da zu?«

      Nina war völlig verwirrt. Sie fragte sich noch immer, was der Sinn dieser seltsamen Fragen war.

      »Ich weiß nicht«, sagte sie unschlüssig.

      »Es ist so«, meinte Michaelis. »Denken Sie darüber nach. – Was ist Ihre größte Schwäche?«

      Eigentlich war sie auf diese Standardfrage vorbereitet. Sie wusste, was Unternehmen und Personalchefs erwarteten, und sie formulierte in Gedanken bereits ihre Standardantwort: »Ich bin zu ungeduldig und zu gründlich«, doch Michaelis hatte sie durch seinen Exkurs über die Liebe so irritiert, dass sie mit der Wahrheit herausplatzte.

      »Trockene Arbeiten langweilen mich schnell.«

      Ihr entging der amüsierte Blick nicht, den Brauer mit Jasna Milic austauschte. Doch Michaelis veranlasste ihre Antwort nur zu einer weiteren Frage. »Was meinen Sie damit?«

      »Wenn etwas zu wenig kreativen Spielraum bietet. Und wenn keine Überraschungsmomente da sind.«

      »Tja, dann dürften Sie in der Pharmaindustrie genau richtig sein«, kommentierte Michaelis trocken. »Bei uns gibt es keine Woche ohne Überraschungen: Rückholaktionen, neue Studien, die eines unserer Medikamente in Frage stellen, plötzlich entdeckte Nebenwirkungen … langweilig würde Ihnen da sicher nicht, und kreativ werden können Sie auch, wenn es darum geht, diese Unregelmäßigkeiten in verständlichen Worten der Presse zu erklären. – Und was ist Ihre größte Stärke?«

      Nina konnte sich kaum vorstellen, dass dies die Art von Überraschungen war, die sie davor bewahrte, sich zu langweilen. Doch sie konnte dem Teilhaber eines Pharmaunternehmens schließlich nicht ins Gesicht sagen, dass sie Medikamente nur dann interessierten, wenn sie selbst krank war.

      Statt dessen suchte sie nach der Standardantwort auf ihre größte Stärke, resignierte und sagte, was ihr spontan in den Sinn kam.

      »Ich denke viel über Menschen nach.«

      Brauers Lippen formten sich zu einem dünnen Lächeln. Ihr entging nicht, dass er mit ihrer Antwort nichts anfangen konnte.

      Michaelis dagegen fragte weiter. »Wie meinen Sie das?«

      Nina wäre am liebsten einfach davongestürzt. Es wurde ihr hier gerade ein Seelenstriptease abverlangt und daran trug sie selbst die Schuld. Es hatte an ihr gelegen, das Gespräch auf einer Sachebene zu steuern. Stattdessen gab sie Einblicke in Aspekte ihrer Persönlichkeit, von denen selbst die meisten ihrer Freunde nichts wussten. Doch Michaelis wartete auf eine Antwort, und sie hatte nicht den Mut, ihm zu sagen, dass ihr seine Fragen zu nahe gingen.

      »Ich versuche, Menschen in ihrer Individualität zu begreifen. Ich mag Oberflächlichkeit nicht. Die meisten Menschen agieren ständig wie Besucher eines Maskenballs: Sie schlüpfen in Rollen und verdecken ihr Gesicht, um nicht in ihrer Seele erkannt zu werden. Sie haben für jeden Anlass eine passende Maske. Aber ihr wahres Ich zeigen sie selten. Ich will am liebsten hinter diese Masken zu blicken.«

      Eine Weile sagte keiner etwas.

      Sogar Brauer hatte aufgegeben, süffisant zu lächeln. Michaelis wirkte sehr nachdenklich, und Jasna Milic hing anscheinend ihren eigenen Gedanken nach. Überraschenderweise war sie es, die als erste die Stille durchbrach.

      »Das ist ein interessanter Vergleich. Ich habe neulich für meinen Sohn ein Kinderbuch gekauft, das genau dieses Thema behandelte – natürlich sehr vereinfacht dargestellt. Es ging um einen Prinzen, der furchtbare Angst hatte, sich seiner Prinzessin in seiner wahren Gestalt zu zeigen, und mit Hilfe von Magie immer wieder in andere Gestalten schlüpft. Ich nehme nicht an, dass Sie das Buch kennen, Sie haben ja keine Kinder …«

      Nina Herz begann freudig zu klopfen. Zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs fühlte sie sich in ihrem Element.

      »Ich kenne es«, sagte sie. Ihre Augen leuchteten. »Sehr