Just Frank erhob sich hastig.
Er fühlte, es war nicht mehr der geringste innere Widerstand mehr in ihm gegen den Plan vorhanden. Auf seine Entscheidung allein kam es ja auch nicht an, wenn es aber so wäre, dann würde sein Wehren jetzt nichts weiter mehr bedeuten, als Angst vor etwaigen Folgen, falls etwas schief ginge.
Es war, als erriet Nelly Brown auch diesmal wieder seine Gedanken.
Sie zupfte an ihrem schwarzen Kleide herum, blickte auf ihre eleganten Schuhe nieder. Auf elegantes Schuhzeug hielt sie, und hätte lieber gehungert, als sich mit einem billigen Schuh gezeigt. Ihre Tänzerinneneitelkeit liess das nicht zu.
„Gefahr besteht gar keine!“ erklärte sie, ohne dass er die Besorgnis laut geäussert. Ihre Stimme ward zum Flüstern: „Das Allerwichtigste ist es, dass Sie ganz genau wissen und davon überzeugt sind, die kleine Schwächliche wird bald sterben müssen.“
Just Frank erwiderte lebhaft: „Natürlich weiss ich es, das ist ja gerade das Verzweifelte, wenn der Tod einem Zeit liesse, könnte man auch noch hoffen.“
Er machte einen kleinen Schritt. Nein, er wollte der Versuchung nicht länger sein Ohr leihen und lieber fortgehen.
Nelly Brown hielt ihn resolut am Aermel fest und er taumelte unwillkürlich zurück, sank wieder auf die Bank nieder.
Die Frau flüsterte weiter: „Schenken Sie mir noch ein wenig von Ihrer Zeit, Herr Doktor, denn wer weiss, ob sich noch einmal so eine gute Gelegenheit zu einer Aussprache zwischen uns findet. Wenn Sie gehen, dann plagen Sie sich, trotzdem Sie die Vorteile meines Vorschlags anerkennen, mit allerlei Wenns und Abers herum, mit verfrühten und höchst überflüssigen Gewissensbissen, und lassen sich, als natürliche Folge davon, hier nicht mehr sehen. Die Sache drängt aber, wenigstens was unser Einigwerden betrifft, und deshalb möchte ich Ihnen noch schnell von den Einzelheiten meines Planes sprechen. Er muss gelingen, wenn er resolut, klug und verschwiegen ausgeführt wird.“
Just Frank rang mit sich. Aber weshalb sollte er die alte Tänzerin eigentlich nicht weiter anhören? Das verpflichtete ja zu gar nichts.
Harry Brown erhob sich, wollte zu dem Kinde gehen.
Seine Frau lachte. „Bleib nur hier, Mister Hasenfuss, es ist gut, wenn du dich gleich mitorientierst, wenn mein Plan zur Ausführung käme.“
Er schüttelte den Kopf.
„Mir summt es hinter der Stirn schon genügend, ein ganzer Spatzenschwarm scheint da Flugübungen zu veranstalten.“
Er winkte der kleinen Babette, die ihm entgegengesprungen kam.
Ein leichter Geruch von Parma-Veilchen entströmte dem Kleide Nelly Browns, ihr Puder wiederum duftete nach Nelken, und die Brillantine, die ihr gefärbtes Haar zum Glanze des Mahagonis zwang, roch ganz anders, ein wenig säuerlich.
Diese unangenehm ineinander zerfliessenden Parfüms störten Just Frank, verursachten ihm Kopfweh.
Oder trug nur das lebhafte Flüstern der Frau die Schuld daran? Trugen die Anweisungen und Erklärungen die Schuld daran, die alles, was ihm noch Bedenken schuf, so einfach und leicht erscheinen liessen.
Nelly Brown merkte genau, sie fing den Mann neben sich immer mehr ein für ihre Idee. Für diese Idee, die ihr vorhin erst durch den Kopf geschossen und ihr jetzt schon so vertraut und selbstverständlich geworden, als hätte sie seit langen Tagen darüber nachgesonnen.
Eben spazierte der alte Tänzer mit dem Kind an der Hand vorbei.
Er sagte halb ernst, halb belustigt: „Meine liebe Nelly, so endlos lange Jahre sind wir nun schon verheiratet, aber dein Talent zur Intrigantin entdecke ich erst heute.“
Sie zuckte die Achseln.
„Ich möchte der kleinen Babette und uns helfen, wenn dabei noch zugleich eine Hilfe für andere wird, so kann es sich um keine böse Tat handeln.“
Ihr Mann blickte auf das Kind nieder und spazierte mit ihm an der Hand weiter durch die kurzen und engen Gartenwege.
Just Frank atmete, als die Versucherin ihr Flüstern eingestellt, tief auf.
Es beschwerte seinen Kopf ganz gewaltig, was ihm die alte Tänzerin auseinandergesetzt und was in der Ausführung gar keinen besonderen Schwierigkeiten begegnen würde.
Er ertappte sich dabei, dass er sich im Geist schon die Sätze zurechtlegte, durch die er Günter Overmans beeinflussen wollte.
Er gestand ehrlich: „Ihr Plan leuchtet mir ein, Frau Brown, aber ob ich den Mut aufbringen werde, den Eltern meiner kleinen Patientin davon zu sprechen, das bezweifle ich noch stark.“
Die Frau lächelte aufmunternd: „Sehen Sie, Herr Doktor, ich denke dabei an den Vorteil für mein Grossnichtchen, an die Entlastung für meinen Mann und mich. Ihnen rate ich, denken Sie nur an Ihren Vorteil dabei, der wohl auch nicht zu unterschätzen ist!“
Daran brauchte sie ihn gar nicht zu erinnern, er dachte gerade genug daran, ausserdem tat ihm die reizende junge Mutter leid, er verehrte sie sehr, vielleicht barg sich in seiner Verehrung sogar ein bisschen heimliche Liebe. Ihre Angst vor Lamprecht Overmans aber hatte vor allem sein Mitleid erregt.
Er erhob sich wieder, doch diesmal liess er sich nicht zurückhalten.
„Vielleicht komme ich wieder, Frau Brown, vielleicht sage ich mir aber schon, wenn ich kaum zehn Schritte hier vom Hause entfernt bin, Ihr Vorschlag war nichts weiter als ein Alpdruck.“
Er grüsste hastig und wandte sich. Er mochte der Frau keine Gelegenheit mehr geben, von neuem auf ihn einzusprechen.
Nelly Brown rief ihm nach: „Wir werden noch ein Weilchen bleiben, lassen Sie sich bald bei uns blicken. Auf Wiedersehen!“
Am Gartentor stand der Tänzer. Er sagte: „Wir werden uns wohl kaum noch sehen, viele gute Wünsche für die Genesung des Kindes!“
Und Babette reichte ihm ihr molliges Patschhändchen, und wie er die Kleine nun noch einmal ansah, dachte er, dass die überraschende, seltsame Aehnlichkeit fast wie ein Fingerzeig des Schicksals war.
6. Kapitel.
Während Just Frank die Bekanntschaft der kleinen Babette gemacht, war in St. Blasien ein Brief angekommen von Lamprecht Overmans.
Der Brief war nur kurz, aber Karola war ganz verstört nach dem Lesen.
Lamprecht Overmans schrieb: „Ich meine fast, Ihr färbt Eure Mitteilungen über Trautchens Zustand etwas zu rosig, um Euch bei mir beliebt zu machen. Vergesst, bitte, nicht, falls Ihr übertreibt, dass ich doppelt enttäuscht sein würde. Karola vor allem müsste mir dann Rede stehen, die grösste, schwerste Verantwortung trüge sie in meinen Augen. Ich höre, auf meinen besonderen Wunsch, auch öfter durch die pflichtgetreue Nurse über Trautchen und ich glaube, sie steht mit der Wahrheit auf besserem Fuss wie Ihr. Ich kann leider jetzt hier kaum abkommen, sonst würde ich mich persönlich überzeugen.
Sollte Doktor Frank mich ebenfalls täuschen, würde er sich meines Wohlwollens nicht mehr lange zu erfreuen haben.“
Dieses Schreiben hatte Karola in einen Abgrund von Furcht und Verzweiflung gestürzt, ihr Mann fand, trotz aller Mühe, die er sich gab, nicht die rechten Trostworte für sie.
Das Kind lag in seinem Bettchen und Hedwig Ritter sass am Lager, machte keine Miene aufzustehen, als Karola sagte, sie selbst wünsche jetzt ein Weilchen bei der Kleinen zu bleiben.
„Bedaure, gnädige Frau,“ kam es ölglatt zurück, „aber Sie machen einen etwas erregten Eindruck und das Kind braucht ruhige Gesellschaft, falls es munter