Die Namenlose - Schicksal eines vertauschten Kindes Bd.1. Anny von Panhuys. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anny von Panhuys
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711570524
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Ehe noch liebten wie am Tage, da sie die Ringe gewechselt.

      Auf wundervoller, durch ein Land der Romantik sich hinziehender Chaussee gelangten sie an das Gasthaus „Zur Seebrugg“, wo sie eine Erfrischung genossen, das Auto zurückliessen und den kurzen Weg zum Schluchsee zu Fuss machten. Bald hatten sie ihn erreicht. Schmal und langgestreckt lag sein Wasser vor ihnen, wie ein Hauch von Melancholie ging es von dem stumpfgrauen düsteren See aus.

      Die Sonne barg sich schon hinter dem Wald, der die Ufer säumte, und es war Karola, als senke sich ein düsterer Schleier nieder, umhülle die Landschaft und ersticke jedes Hoffen für immer in dem Gespinst grenzenloser Trostlosigkeit.

      Ganz anders hatte sie sich diesen See vorgestellt.

      Ganz anders!

      Als ein helles, freundlichschimmerndes Auge in dunkler Waldesmitte, als ein frohes Lachen der Natur, als einen Trost für Zage und Lebensbange.

      Sie schmiegte sich eng an ihren Mann.

      „Hier dürften nur ruhige, zufriedene Menschen hergehen,“ sagte sie leise, „wem schon bedrückt zumute ist, den schreckt hier so vieles, was Fröhliche gar nicht sehen würden.“

      Ihre Rechte wies über die stumpfen Wasser.

      „Schau nur, Günter, dort drüben zwischen den Baumstämmen spaziert der Tod umher, dort der Kahn am Ufer gehört ihm. Darin kommt er herübergefahren, um uns unser Trautchen fortzuholen.“

      Günter Overmans überlief es kalt, und ihm war es fast, als grinse dort drüben hinter einem der Baumstämme wirklich des Knochenmannes grauses Antlitz hervor.

      Er zog die geliebte Frau fest an sich.

      „Karola, einziggeliebte Karola, was redest du nur? Um Christiwillen, nimm dich zusammen, werde nicht krank vor Jammer und Aufregung. Vergiss nie, bitte, vergiss nicht einen einzigen Augenblick, dass du mein Alles auf der Welt bist. So lieb ich das Kind habe, schon weil es unser Kind ist, so habe ich dich doch noch lieber. Ohne dich ginge ich zugrunde, wäre der elendeste Mensch. Deshalb erhalte dich mir, denke immer und immer an unsere Liebe. Sprich nicht solche Dinge wie eben, du erschreckst mich masslos.“

      Sie fuhr sich mit der Rechten über die Stirn, hinter der viele schmerzliche und traurige Gedanken kreisten.

      „Sei mir nicht böse, Günter, aber ich bin so sehr durcheinander von dem, was Dr. Frank heute gesagt, ich kann nicht damit fertig werden.“ Sie schob sich langsam mit ihm einige Schritte zurück. „Ich habe dich auch sehr lieb, Günter, ich habe dich unendlich lieb, aber wenn ich mir vorstelle, Klein-Trautchen wird eines Tages nicht mehr bei mir sein und niemals mehr wiederkehren, dann vergesse ich beinahe meine Liebe zu dir und denke, die ganze Welt würde zu einem grossen Grabe.“

      Sie blickte sich scheu um, doch keiner war weiter in der Nähe zu sehen, als ein Stückchen hinter ihnen im Walde ein älterer Mann mit einem Mädchen. Anscheinend ein Bewohner des Dorfes mit seiner Enkelin.

      „Wahnsinnige Angst habe ich vor deinem Vater. Und wenn du mir noch so fest deinen Schutz versprichst, ich wage mich bestimmt nicht in seine Nähe, wenn Trautchen nicht am Leben bleibt. O, weshalb tat der Himmel kein Wunder? Wie lieb und schön hätte alles werden können, wenn sich dein Vater endgültig mit mir ausgesöhnt hätte! Und nun wird er mich, da seine Natur nun einmal so ist, bald hassen wie seinen schlimmsten Feind.“

      Unter den langen Wimpern drängten sich ein paar grosse Tränen hervor und sie zogen mit feierlicher Langsamkeit über die sanft gerundeten Wangen, erweckten heisse Rührung in dem Manne, der sich so entsetzlich machtlos fühlte, gegen das bittere Weh der liebsten Frau anzukämpfen.

      Plötzlich schrie sie leicht auf und taumelte zurück, irgend etwas war ihr gegen den Kopf geflogen.

      Günter bückte sich, hob einen kleinen bunten, aber schon stark verfärbten Gummiball auf.

      „Siehst du, hier ist der Uebeltäter,“ suchte er zu scherzen.

      Beide schauten sich um.

      Der ältere Mann, der im Walde mit dem Kind gespielt, stand jetzt auf dem Weg zum Dorf, nicht allzu weit von ihnen entfernt.

      Seinen Hut trug er in der Hand und man erkannte jetzt deutlich, dass er kein Bauer war.

      Das Kind aber kam mit überhasteten, etwas grotesken Sprüngen näher, langsam folgte ihm der Mann.

      Und als das Kind sich so näherte, und die beiden am Seeufer Stehenden es immer deutlicher betrachten konnten, fühlte Günter förmlich das Zittern des schmalen Frauenkörpers mit, und ohne, dass Karola ein einziges Wörtchen sprach, wusste er, was sie jetzt empfand.

      Denn er erblickte ja dasselbe, was ihre Augen erblickten: Das kleine, schlicht und bäuerisch gekleidete, ungefähr vierjährige Mädchen, das täppisch lebhaft auf sie beide zusteuerte, weil es seinen Ball in den Händen Günters sah, ähnelte Trautchen fast zum Verwechseln.

      Nur dass die Wangen des fremden Kindes, von der Gesundheit geküsst, in leuchtendem Rosenrot blühten und sein Körperchen vor Lebenswonne strotzte.

      Die Lippen waren wie ein Herzkirschenpaar und die grauen Augen funkelten vor Uebermut.

      Der Mann setzte sich jetzt auch in Trab, und er holte das Kind denn auch ein, gerade als es dicht vor dem Paare stand, seine dicken Patschhändchen verlangend nach dem Ball ausstreckte.

      Karola war tief erschüttert von der Aehnlichkeit des fremden Mädelchens mit ihrem Kinde.

      Der Begleiter der Kleinen, der mit einer gewissen saloppen Eleganz gekleidet war, wie man von nahe erkannte, grüsste durch eine leichte Verneigung, den Hut in der Hand.

      „Ich bitte die Herrschaften vielmals um Vergebung, an dem unglücklichen Ballwurf trage ich die Schuld. Ich wollte den Ball nur gerade soweit werfen, um mein kleines Dickchen hier zum Laufen zu bringen. Und ich warf zu weit! Ich bitte nochmals recht herzlich um Verzeihung.“

      Ein bewundernder Blick traf die reizvolle junge Frau.

      Günter hatte dem Kind den Ball schon zurückgegeben, er bemerkte nun, dass Karola die Augen gar nicht von der Kleinen abzuwenden vermochte.

      Er lächelte: „Das war ja nichts Schlimmes mit dem Ball. Uebrigens wollen wir auch ins Dorf, wenn es Ihnen recht ist, können wir ja zusammengehen.“

      Der Aeltere, mit dem markanten Gesicht und dem leicht ergrauten Haar, nickte. „Aber gerne, mein Herr.“ Er lachte. „Da hat sich mein Babettchen schon ganz freundschaftlich an die Seite der jungen Dame gemacht, um recht genau das schöngestickte seidene Kleid zu bewundern. Mein Babettchen putzt sich nämlich gern und es gibt sicher mal ein Modenärrchen.“

      Karola sah auf das Kind nieder und voll unsagbarer Bitternis dachte sie, warum war Trautchen nicht so ein frisches, gesundes Ding wie diese Kleine.

      Die Tränen drängten sich ihr schon wieder in die Augen und die Kleine schaute zu ihr auf, blieb stehen und zwitscherte verwundert: „Hat dir mein Ball Weh-Weh gemacht?“

      Karola schüttelte mit schmerzlichem Lächeln den Kopf.

      Die Kleine schien flüchtig nachzudenken und zwitscherte nach einem Weilchen:

      „Dann brauchst auch nit zu heule!“ Und nach kurzer, neuer Ueberlegungspause: „Babettli heult nur, wenn’s Weh-Weh hat.“

      Günter wandte sich an seinen Begleiter.

      „Meine Frau hat heute eine traurige Nachricht erhalten.“

      Er sagte es, um Karolas tränenverschleierte Augen zu erklären.

      Der Fremde neigte den Kopf.

      „Da dürfen wir aber wirklich nicht stören.“

      Er grüsste und wollte, seinen Schritt verlangsamend, zurückbleiben.

      Doch Karola bat: „Gehen Sie doch mit uns zusammen. Das Kind erinnert mich so sehr an mein Liebstes und ich freue mich seiner Frische und Gesundheit.“

      „Da hat die gnädige Frau wohl ein