Karola dachte, wie eine Tote sah das Kind aus und sie nahm sich vor, morgen einen kleinen roten Seidenschirm für das Lämpchen zu machen, damit die Wangen ihres Lieblings davon rosig würden, damit sie sich der Illusion hingeben konnte, die Gesundheit erblühe wieder auf den schmalen Kinderwangen.
Hedwig Ritter trat leise ein.
„Gnädige Frau, ich möchte gern ins Bett, darf ich also gnädige Frau bitten, zu gehn. Herr Overmans ist auch soeben nach Hause gekommen.“
Karola erhob sich zögernd, aber da die Nurse im Zimmer des Kindes schlief, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich zu entfernen.
An so vieles hatte sie heute abend denken müssen und neue Hoffnungen hatte sie aufgebaut, denn sie wollte immer noch an ein Wunder glauben, darauf hoffen und warten.
Sie warf noch einen letzten, langen Blick auf das schlafende Kind und verliess dann den Raum mit einem leichten Kopfneigen gegen die Nurse.
Weshalb durfte sie nicht das Zimmer mit Trautchen teilen, nicht die ganze Nacht in ihrer Nähe sein?
Aber Lamprecht Overmans hatte bestimmt: Die Nurse muss bei dem Kind schlafen, sie ist als Pflegerin ausgebildet und dafür da, jederzeit dienstbereit zu sein!
Und was Lamprecht Overmans bestimmte, war so gut wie der Befehl eines Vorgesetzten.
Karola fand ihren Mann im Wohnzimmer in einem Korbstuhl sitzend.
Seine Stirn erhellte sich bei ihrem Anblick, in seinen Augen leuchtete es auf.
Sie sah ihn traurig an.
„Wie tot hat Trautchen jetzt wieder in ihrem Bett ausgesehen,“ klagte sie, noch immer unter dem starken Eindruck von vorhin, „aber weisst du, daran trägt nur der blöde blaue Seidenschirm die Schuld, der über dem Nachttischlämpchen liegt, morgen nähe ich einen leuchtend roten. Der rote Schein malt ihr dann rosige Bäckchen.“
Er sagte wie bittend: „Du wirst dich in deiner Angst um das Kind noch zugrunde richten. Denke doch, bitte, auch an mich und daran, dich für mich zu erhalten. Was soll denn werden, mein Lieb, wenn das Unglück, auf das wir doch vorbereitet sind, wirklich geschieht?“
Sie erwiderte seinen Blick voll Verzweiflung.
„Ach, ich nehme mir so oft vor, stark zu sein, schon deinetwegen, aber es gelingt mir doch nicht. Wenn das Unglück wirklich geschieht, ist alles gleich, dann mag werden, was will.“ Sie murmelte: „Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie wirr es in meinem Kopfe aussieht, aber die Angst vor deinem Vater ist doch das Schlimmste.“
Er erhob sich und nahm sie mit unendlicher Zärtlichkeit in die Arme.
„Glaubst du, Karola, dass ich dich über alles in der Welt liebe?“
Sie sah ihn nur stumm an, aber in ihrem Blick lag vollste Bejahung.
Er fragte weiter: „Glaubst du, ich würde dir jemals etwas raten, was nicht zu deinem Besten wäre?“
Sie bewegte verneinend den Kopf.
Er sagte nach längerem Zögern: „Der Doktor und ich wissen zwar keinen Rat, wie du um das Traurigste und Schmerzlichste, um Trautchens Tod herumkommst, aber wir wüssten einen Ausweg, dich von der Angst vor dem Vater zu befreien und zugleich endgültigen Frieden zwischen dir und ihm zu stiften. Es könnte sich dann noch alles gut zwischen euch beiden gestalten.“
Karola erwiderte mit zitternder Stimme: „Nie wird das geschehen, nie, wenn uns das Kind für immer verlässt. Er wird mich dafür hassen!“
Günter Overmans schien die Gelegenheit überaus günstig, Karola jetzt von dem Vorschlage Nelly Browns zu sprechen.
Er sagte leise: „Ich möchte dir gern davon reden, auf welche Weise sich zwischen meinem Vater und dir noch alles gut gestalten könnte.“
Ihr ungläubiges Gesicht liess ihn den Satz noch einmal etwas betonter wiederholen.
Er gab sie frei, schloss die Fenster und zog sie dann sanft mit sich zum Sofa.
„Aber leise, sehr leise müssen wir uns unterhalten, mein Lieb, niemand darf auch nur den Bruchteil eines Satzes auffangen.“
Sie schenkte ihm einen Blick, in dem sich ihre ganze Liebe zu ihm kundtat.
„Ich weiss, Günter, du gäbest wer weiss was dafür, mir helfen zu können. Was ihr euch aber auch ausgesonnen habt, der Doktor und du, ihr werdet bestimmt kein Mittel gefunden haben, deinen Vater günstiger gegen mich zu stimmen, ausser, wenn unser Kind so gesund wird, wie er es wünscht, und dann bedarf es auch keines besonderen Mittels mehr. Dann würde sich alles von selbst zum besten ändern.“
Ihr Mann rang mit sich. Sollte er es wagen oder nicht?
Er begann zögernd. „Wir dachten nämlich, der Doktor und ich, man müsste, falls Trautchen —“
Er stockte schon. Es war doch eigentlich schrecklich, immer von dem möglichen Sterben des Kindes zu reden.
Noch lebte und atmete es ja.
Gottlob, dass es noch lebte und atmete.
Noch durfte er immer wieder versuchen, die Fahne der Hoffnung aufzupflanzen.
Er sagte mit förmlicher Inbrunst: „Unser Trautchen muss gesund werden!“
Um ihre Lippen zuckte der Schmerz.
„Und wenn sie nicht gesund wird?“
„Dann muss mein Vater getäuscht werden, Karola, denn unsere ganze Zukunft hängt davon ab, bedenke das. Und vor allem dein Seelenfrieden. Erinnere dich, bitte, an die kleine Babette, die wir am Schluchsee trafen.“
Karolas Augen weiteten sich.
„Meinst du, wir könnten das Kind an Stelle Trautchens annehmen? Aber ich bitte dich, so etwas ginge doch gar nicht ohne deines Vaters Vorwissen und er müsste doch auch Trautchens Tod erfahren.“
Er bettete ihren Kopf an seine Brust.
„Geliebte kleine Frau, was wir dir vorschlagen, geht etwas weiter. Bitte, erschrick nicht.“
Er flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Sie legte ihm hastig die Hand auf den Mund.
„Ich soll mein totes Kind gegen die lebende Kleine umtauschen, damit nach Davos gehen, mindestens ein Jahr dort leben und dann mit dem falschen Trautchen nach Stuttgart zurückkehren? So etwas soll ich tun? Davon soll ich sprechen und darüber nachdenken, und mein Kind lebt noch! Günter, mein Kind, unser Kind, lebt noch, und du redest davon, als sei es schon gestorben. Das ist ja furchtbar! Und furchtbar ist die ganze Zumutung. Glaubst du, eine einzige Mutter auf der Welt würde ihr Kind auf diese Weise hergeben? Täte sie es, verdiente sie den Namen Mutter nicht. Günter, dem Doktor nehme ich den Vorschlag nicht einmal so übel, er hat sein eigenes Interesse im Auge, er meint es wahrscheinlich sogar gut mit uns, aber wenn er Trautchen noch so gern hat, sie bleibt für ihn immer nur ein kleines fremdes Mädel. Doch dir, Günter, habe ich nach diesem Vorschlag sehr viel zu verzeihen. Und ich tue es, weil ich weiss, nur durch deine Liebe zu mir konntest du dich soweit verirren.“
Günter Overmans streichelte ihre blassen Wangen.
„Wenn uns Trautchen erhalten bleibt, brauchen wir niemals wieder davon reden, wenn es aber anders kommt —“
„Und wenn es anders kommt,“ empörte sie sich, „so tausche ich doch mein Kind nicht um wie eine Ware!“
Er lächelte müde.
„Du hast wohl recht, mein Lieb, ganz recht, und ich bin ein miserabler Mensch, dir so etwas zuzumuten. Aber wenn das Glück gegen uns sein sollte, wenn Trautchen fort muss und mein Vater dich weiter, oder wie zu erwarten ist, noch mehr quält, dann kann und darf ich nicht mehr untätig zusehen, dann lasse ich es darauf ankommen und wenn er uns die Wege weist.“
Sie erwiderte ernst: „Auch ich bin sehr, sehr glücklich durch dich, Günter, aber, bitte,