„Ich möchte nichts mehr wissen von alledem, Doktor Frank. Sie beleidigen mich schon durch die Zumutung einer solchen Ungeheuerlichkeit, wie sie das Hirn dieser Deutschengländerin ausgebrütet.“
Just Frank bewahrte seine Ruhe.
„Verehrter Herr Overmans, ich fragte Sie, weil ich Ihre Empörung voraussah, schon ehe ich das Thema anschnitt, ob Sie imstande wären, Empörungsrufe und ähnliches zu unterdrücken. Sie versprachen mir, ruhig zuzuhören.“
„Ja, das tat ich. Aber wie konnte ich auch dergleichen erwarten, denn es handelt sich, um das gleich klarzustellen, um ein Verbrechen, das Sie mir zumuten,“ erfolgte die Antwort, die zwar leise gegeben wurde, aber mit Empörung geladen schien.
Just Frank erwiderte den Blick des ihm Gegenübersitzenden mit Offenheit.
„Nein, Herr Overmans, Ihr Urteil ist unüberlegt und vorschnell, es handelt sich um kein Verbrechen. Niemals würde ich irgendeinem Menschen ein Verbrechen zumuten, also auch Ihnen nicht und niemals meine Hand dazu leihen. Es ist allerdings ein delikater Fall, den die Gerichte, wenn sie davon Kenntnis erhielten, nicht straflos durchgehen liessen. Aber von Ihrem und meinem Standpunkt aus, sowie vom allgemein menschlichen, kann man den Plan vielleicht eigenartig und romantisch nennen, aber das Wort Verbrechen verdient er nicht.“
Da sein Gegenüber schwieg, wiederholte er beim Weitersprechen manchmal ganze Sätze, durch die ihn Nelly Brown überzeugt hatte, und er merkte, wie Günter Overmans ihm jetzt schon viel aufmerksamer zuhörte, von der ersten Empörung blieb immer weniger übrig.
Doch mitten im Satz brach Just Frank ab, ein Wehelaut aus dem Nebenzimmer, dem ein dumpfer Fall folgte, liess beide Männer aufhorchen.
Einen Augenblick später stürzte Günter Overmans zur Schlafstubentür, riss sie weit auf und dann rief er auch schon: Doktor! Doktor!
Karola war nach der Erregung, in die sie der Brief des Schwiegervaters und das impertinente Betragen der Nurse versetzt, aus ihrer knienden Haltung vor dem Stuhle umgesunken und ohnmächtig zusammengebrochen.
„Sie ist ganz verhetzt und übernervös aus Angst um das Kind und vor meinem Vater,“ klagte Günter Overmans und trug die am Boden Liegende, mit Hilfe des Arztes, auf ihr Bett.
Just Frank mühte sich um sie, tröstete den erregten Mann: „Es ist nur eine ganz leise Ohnmacht!“
Er dachte, dieses Ohnmächtigwerden der jungen Frau unterstützte seine Ueberredungsversuche von vorhin bei Günter Overmans gerade im geeigneten Moment sehr wirksam, illustrierte sie gewissermassen.
Es dauerte auch nicht allzu lange, bis Karola wieder die Augen aufschlug, die grossen, tiefdunklen Blauaugen, die, seit er sie zum ersten Male gesehen, über Günter Overmans Leben standen als die herrlichsten Sterne.
Niemals vordem war es Just Frank so sehr aufgefallen wie eben, von welcher rührenden Kindlichkeit das feine Gesichtchen der jungen Frau noch war, trotz ihrer fünfundzwanzig Jahre.
Es würde vielleicht gar nicht einmal so schwer sein, sie für den Plan zu gewinnen.
Vor allem lag ihr doch auch an Ruhe und an einem guten Leben. Ihre immer sehr modisch und sorgfältig ausgewählte Kleidung, ihre Freude an wertvollem Schmuck waren beachtenswerte Bundesgenossen.
Karola klagte: „Ich schäme mich meiner Schwäche, aber es war so heiss heute, das hat mich erschlafft.“
Ihr Mann nahm ihre beiden Hände, führte sie abwechselnd an die Lippen, ohne zu sprechen.
Es war Ingrimm in ihm und auch Kummer.
Wie brav Karola zur Lüge griff, um nicht die Schuld auf den Vater zu schieben.
Die Hitze war gar nicht so besonders gewesen, nur der Brief aus Stuttgart und die Frechheit der Nurse hatten die schon durch und durch Nervöse umgeworfen.
Befand sie sich aber jetzt schon in diesem Zustand, was sollte erst werden, wenn das Kind wirklich starb und sie dann wieder mit seinem Vater zusammentraf, was doch gar nicht zu umgehen war?
Just Frank verabschiedete sich.
„Ich schaue noch einmal nach Trautchen und gehe dann in mein Hotel. Wenn Sie mich nochmals wünschen, bitte ich, wie immer, anzutelephonieren.“
Günter Overmans war es, als traf ihn dabei ein ganz besonderer Blick.
„Bleiben Sie noch lange auf, Herr Doktor?“ fragte er. „Denn dann mache ich Ihnen nach dem Nachtessen vielleicht noch einen Besuch.“
„Ich begebe mich nie vor Mitternacht zur Ruhe,“ erklärte Just Frank, „die Sommernächte hier oben im Schwarzwald sind gar so wundervoll. Ebenso die frühen Morgenstunden, die ich besonders liebe. Da laufe ich oft stundenlang in der Umgebung umher, lege mich irgendwo an einen saftgrünen Bergeshang und schaue den weidenden Kühen zu. Wenn es einen aber plötzlich packt, und man erinnert sich mit einem Male an die grosse lebhafte Stadt, in die man bald zurückkehren muss, und an all die graue stumpfe Kleinlichkeit, von der man dort erwartet wird, dann friert man in der köstlichsten Morgensonne. O, wie möchte man dann so herzensgern mit dem kleinsten Bauer tauschen in seinem niedrigen Hause, unter dem tiefgehenden, weitüberhängenden Dach, wie gern möchte man dann dem Kuhhirten zurufen: Gib mir deinen Stecken, das Zeichen deiner freien Herrscherwürde, und ziehe anstatt meiner in die laute Stadt! Aber wenn sich der Wunsch erfüllte, wäre man wohl erst recht ein armer Schlucker, weil man sich ja auf die Dauer doch nicht mehr in der überwältigenden Schlichtheit der Natur zurechtfände, man ist verdorben dafür, die Stadt hat uns das Blut vergiftet.“
Karola Overmans konnte schon wieder ein ganz klein wenig lächeln.
„Sie scheinen Anlage zum heimlichen Dichter zu haben, Herr Doktor!“
Er lächelte ebenfalls.
„Vielleicht!“
Er verabschiedete sich und während er seinem Hotel zuschritt, dachte er nur daran, ob ihn Günter Overmans heute wohl noch aufsuchen würde.
Er hatte so das Gefühl, es wäre möglich.
Er hatte ihm vorhin am Lager der Ohnmächtigen deutlich vom Gesicht abgelesen, er beschäftigte sich in Gedanken doch schon mit dem Plan, von dem er nichts hatte wissen wollen.
Und richtig, kaum hatte er auf der Veranda des Hotels sein Nachtmahl verzehrt, als Günter Overmans schon vor ihm stand und ihn bat, noch einen kleinen Spaziergang mit ihm hinaus in die Natur zu machen.
Just Frank war sofort dazu bereit.
Er liess seinen Nachtisch im Stich, holte seinen Hut vom nahen Garderobenhaken, und von allerlei oberflächlichen Dingen redend, wanderten die beiden irgendeiner kleinen Einsamkeit entgegen, um dort von dem zu sprechen, was ihnen auf dem Herzen brannte.
Weit draussen an der Alb fanden sie eine Bank, die ihnen für ihr Gespräch der rechte Platz zu sein schien.
Es war eine jener wundervollen hellen Sommernächte, die wie Extrageschenke des Himmels sind.
Köstliche Frische kam von dem Flüsschen her, mischte sich mit dem kräftigen starken Odem der Berge, und Günter Overmans fand, hier draussen in der Reinheit der Natur war es schwerer als in irgendeinem Zimmer, das Thema zu besprechen, das ihm keine Ruhe mehr liess seit Karolas Ohnmacht vorhin.
So phantastisch und unmöglich ihm der Vorschlag der alten Tänzerin auch erst geschienen, so beleidigt er sich gefühlt, weil ihm Just Frank davon gesprochen, so annehmbar dünkte er ihm, seit er wieder den Beweis erhalten, wie sehr Karola litt und wie sie sich meist nur zusammennahm, um ihn nicht zu erschrecken und zu betrüben, bis sie dann ab und zu widerstandlos wurde.
Er begann hastig: „Ich bin in grosser Besorgnis wegen meiner Frau, es geht einfach nicht so weiter. Raten Sie mir doch bitte, Herr Doktor, was geschehen soll, um ihr zu helfen.“
Just Frank erwiderte ohne Umschweife: „Sie wissen so gut wie ich, seelische Leiden lassen sich nicht mit Pillen und Tropfen verjagen. Die Angst, das Kind verlieren zu müssen, quält Ihre Frau stark, aber beinahe