Als Marci wieder zu sich kam, dachte sie zunächst, sie würde träumen, weil sie sich in ihrem eigenen Bett wiederfand. Obwohl es kein richtiges Bett war, es war ein Ausklappsofa, das sie zur Nacht in ein Bett verwandelte und das breit genug war, um dort zusammen mit den Jungs schlafen zu können. Irritiert blinzelte sie in die Sonne, deren Strahlen schräg durch das viel zu kleine Fenster fielen. Hatte sie in Wahrheit einfach verschlafen? Instinktiv tastete sie nach links, wo normalerweise Logan lag, doch der war nicht da. Dann nach rechts, wo Willie Junior sich für gewöhnlich wie ein kleines Hündchen an sie heran kuschelte. Aber auch dort war niemand. Zutiefst beunruhigt schrak sie hoch… und blickte in das unbewegte Gesicht von Rob 007.
Für einen Moment glaubte sie zu ersticken und wiederholte damit die Panik, die sie auf ewig mit dem Anblick dieses Mannes in Verbindung bringen würde. Er hätte sie um Haaresbreite erdrosselt! Und da half es auch nicht, dass er nun so sanft lächelte wie ein Engel. Denn allem Anschein nach, vertrat er eindeutig die Gegenseite.
»Wo sind die Kinder?«, brüllte sie außer sich vor Sorge, nachdem sie einigermaßen zu Atem gekommen war.
»Hier«, rief eine piepsig klingende Stimme. Es war Willie Junior, dessen kurzes, blondes Haar total verstrubbelt war, während er mit noch herunter gelassener Hose aus der Toilette stürmte. Gefolgt von Logan, seinem dunkelgelockten älteren Bruder, der ihm wie üblich beim Hintern abwischen geholfen hatte.
Marci hielt es nicht auf dem Sofa. Wie eine Löwin, die ihren Nachwuchs mit dem eigenen Leben verteidigt, sprang sie auf und nahm die beiden Jungs schützend in ihre Arme, wobei sie Willie rasch die Hose hochzog. Dann warf sie Rob 007 einen mehr als feindlichen Blick zu. »Wenn du den Kindern etwas antust, reiße ich dir eigenhändig dein kaltes Herz aus der Brust!«
»Mum, warum bist du so böse zu dem Mann«, piepste Willie irritiert. »Er hat uns einen Kakao gemacht und Pizza bestellt, als du geschlafen hast.«
Ich hab nicht geschlafen, hätte sie am liebsten ihrem Jüngsten entgegen geschrien. Ich wurde entführt und bin dabei fast draufgegangen. Doch damit hätte sie die Jungs nur verängstigt. Im Grunde war sie froh, wenn dieses Monster ihre Kinder in Ruhe gelassen hatte.
»Es tut mir leid, Marci, wenn ich dich erschreckt habe«, begann der Fremde mit einer erstaunlich freundlich klingenden, tiefen Stimme, die seine unglaubliche Attraktivität unnötigerweise noch unterstrich. »Du und die Kinder habt von mir nichts zu befürchten. Deine Ohnmacht war eine Panne, wenn auch eine recht nützliche«, fügte er mit einem entschuldigenden Lächeln hinzu, wobei er für einen Moment seine makellosen hellen Zähne zeigte. »Wenigstens scheinen deine lebenserhaltenden Systeme, wie man sieht, einwandfrei zu funktionieren.«
»Häh?« Marci glotzte ihn ungläubig an. Der Typ hatte nicht mehr alle Tassen im Schrank. Vielleicht war ihm beim Vögeln mit Rochelle eine Sicherung durchgebrannt und nun spielte er trotz seiner Brutalität weiter den Womanizer. Entsprechend relaxt stand er mit gekreuzten Armen am Küchenschrank, was seine Schultern und Oberarme noch muskulöser erscheinen ließ, als ohnehin schon. Irgendwie erinnerte sie diese Pose schmerzlich an Will, der eine ähnliche Statur gehabt hatte, wenn auch nicht ganz so groß und monströs.
»Wer bist du und was willst du hier«, fragte sie mit bebender Stimme. Eher beiläufig fiel ihr auf, dass er noch immer die unzureichenden Klamotten aus Rochelles Kleiderschrank trug und mit seinen perfekt geformten nackten Füßen dastand, wie Adonis auf der überstürzten Flucht vor einem eifersüchtigen Ehemann.
»Wenn es dir nur um etwas Vernünftiges zum Anziehen geht, kannst du ein paar Sachen von meinem Ex-Mann haben«, fuhr sie ungerührt fort und deutete auf einen Wandschrank, in dem sie Wills alte Klamotten aufbewahrte. Sie hatte es bisher nicht über sich gebracht, seine Kleidung zu verschenken, vielleicht weil sie hoffte, er würde eines Tages zu ihr zurückkehren. In ihrer melancholischen Einfältigkeit schnupperte sie manchmal an seinen Hemden, um sich wenigstens an seinen Duft zu erinnern. »Will hat in etwa deine Größe. Das Zeug liegt hier nur unnütz rum. Da müssten auch noch ein paar Boots dabei sein, die dir passen könnten.«
»Es geht mir nicht um Kleider, Marci«, sagte der Robot ruhig und schaute ihr dabei seltsam verbindlich in die Augen. Schon alleine, wie selbstverständlich er ihren Namen aussprach, als ob sie sich schon ewig kennen würden, verunsicherte sie nur noch mehr. Doch sie wagte es nicht, noch einmal nachzuhaken. Vielleicht war es besser, wenn sie nicht allzu viel über ihn wusste und ihm gab was er wollte, damit er schnellstens verschwand.
»Mit Geld kann ich dir leider nicht dienen«, beteuerte sie ihm und deutete mit einer fast schmerzlichen Geste auf das heruntergekommene Inventar. »Schau dich doch um, ich habe kaum genug, um den Kindern etwas zum Essen zu kaufen und meine Creditkarte ist ausgereizt. Ich kann dir nichts geben.«
»Es geht auch nicht um Geld«, sagte er leise und ließ seine Arme sinken.
»Gott verdammt, worum geht es dann?« stieß sie verzweifelt hervor und bekam es nun doch mit der Angst zu tun. Der Kerl wollte sie vielleicht vergewaltigen, immerhin war er ein Sexroboter und so wie es aussah, war er bei Rochelle nicht zum Zug gekommen. Wahrscheinlich hatte man ihm zu der Fähigkeit einen Dauerständer haben zu können, zusätzlich eine unendliche Libido einprogrammiert, die nun nach Befriedigung verlangte. Marcis Blick wanderte unauffällig zu seinem Schritt, wo die enge Hose das Instrument seiner Begierde zu ihrer Beruhigung unauffällig unter Kontrolle hielt. Dann schaute sie hastig zum Ausgang. Wenn er wenigstens die Kinder rauschicken würde, bevor er … hoffte sie inbrünstig …
»Es geht um Will«, raunte er und sein offener Blick verdüsterte sich. Marci hätte nicht überraschter sein können. Dabei glaubte sie einen schmerzlichen Schatten zu sehen, der kurz über sein ansonsten ausdrucksloses Gesicht huschte.
»Um… Will?«, wiederholte sie ungläubig und verschluckte sich fast vor Aufregung. »W… was weißt du über ihn?«, stotterte sie und spürte zugleich wie sich ihr Herzschlag verdoppelte.
»Alles«, sagte er mit sanfter Stimme, was sie nur noch mehr verunsicherte. Zumal sein Blick mit einem Mal nicht mehr hart, sondern beinahe traurig war, als er auf die Kinder fiel. »Will hat mir einen Auftrag erteilt«, erklärte er mit fester Stimme, »und ich bin hier, um ihn auszuführen.«
Marci verstand überhaupt nichts mehr. Aber ganz gleich, was dieser Robot mit ihr vorhatte, sie würde jegliche Gelegenheit nutzen, Willie und Logan hinauszuschicken, damit sie es nicht mitansehen mussten. Obwohl sie am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre, blieb sie gefasst, als sie ihre beiden Jungs so selbstverständlich wie irgend möglich aufforderte, doch mal kurz zu Luise zu gehen, die gleich nebenan wohnte und sich des Öfteren um die Kinder kümmerte, wenn es bei ihr später wurde.
Rob 007 schien glücklicherweise nichts dagegen zu haben, was sie mit einem erleichterten Aufatmen kommentiere. Nachdem sie die Tür hinter den Jungs geschlossen hatte, atmete sie noch einmal tief durch und blieb in sicherem Abstand vor dem Robot stehen. Er stand noch immer am Küchenschrank, als ob man ihn dort geparkt hätte und schaute sie regungslos an.
»Hör zu«, sagte sie tapfer, »du kannst mit mir machen, was du willst, aber bitte lass mich am Leben. Die Jungs haben niemanden außer mir. Es sei denn, Will hat dich geschickt, um sie mir wegzunehmen. Dann wäre mir sowieso alles egal.«