Die Fälle der Shifter Cops. Natalie Winter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Natalie Winter
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall der Shifter Cops
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948483685
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ins Gesicht. Dann streckte sie langsam die rechte Hand aus. »Geben Sie mir das Buch!«

      Mrs Saintclairs Augen weiteten sich. »Das … Das können Sie nicht tun«, stammelte sie.

      Etwas geschah mit Julie. Sie fühlte sich gut. Verdammt noch mal, gut war gar kein Ausdruck dafür. Es war ihr nie besser gegangen.

      Vielleicht ist das die Nähe zum Grimoire, dachte sie und erschrak vor sich selbst. Aber sie brauchte dieses Buch, und sie würde alles tun, um es in die Finger zu bekommen. Selbst wenn das bedeutete, diese Frau hier in Schrecken zu versetzen. Sie blähte die Nasenflügel und sog den Geruch der Angst ein, der von Mrs Saint­clair ausging.

      »Das Buch gehört rechtmäßig meiner Familie. Ich als Erbin der Mireau-Hexen fordere Sie ein letztes Mal auf, es mir auszuhändigen.« Julie war selbst erstaunt über diese pompösen Worte, doch sie bewahrte eine steiner­ne Miene – das hoffte sie zumindest.

      Drei Herzschläge lang geschah nichts, dann hielt ihr Mrs Saintclair das Grimoire mit zitternden Händen entgegen. »Nehmen Sie es! Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun.«

      Julie schnappte sich das Buch. Sie hätte schwören können, dass es sich wie ein lebendiges Tier an sie schmiegte. Gleich würde es anfangen zu schnurren. Oh nein – wurde sie jetzt auch schon verrückt?

      »Und den Schlüssel!«, forderte sie.

      Mrs Saintclair kramte in ihrer Tasche und zog ihn schließlich heraus. Ohne ein Wort warf sie ihn auf den Schreibtisch. Julie griff danach und lief in Richtung Ausgang. Auf den ersten Blick hielt sie die Frau, die sich im Glaseinsatz der Tür spiegelte, für eine Fremde. Langes dunkles Haar umspielte ein bleiches Gesicht mit scharfen Wagenknochen, blaue Augen leuchteten unter geraden, dichten Brauen. Sie wirkte dem Wahnsinn nahe, die Freude an der Grausamkeit war ihr deutlich anzusehen.

      Als Julie verstand, dass sie ihr eigenes Abbild sah, fiel jegliche Hochstimmung von ihr ab. Was hatte sie nur getan? Sie drehte sich um. Mrs Saintclair stand immer noch da, wo Julie sie verlassen hatte, und starrte sie mit einem nicht zu deutenden Ausdruck an. Furcht war es nicht mehr, aber auch keine Erleichterung, weil Julie endlich ging.

      Julie blinzelte. »Es tut mir leid. Ich lasse den Schlüssel am Eingang liegen. Sie können ihn sich dort abholen.« Sie schluckte. »Es tut mir leid«, wiederholte sie, als Mrs Saintclair keinerlei Reaktion zeigte. »Ich wollte Ihnen keine Angst machen.«

      Aber das stimmte nicht. Sie hatte es genossen, die Frau mit ihren Kräften zu drangsalieren.

      KAPITEL 10

      Sieben der Kelche

      Nachdem Julie endlich in ihre Einfahrt eingebogen war und den Motor abgestellt hatte, zog sie als Erstes die Handschuhe aus und warf sie aus dem Fenster. Zweifel­los würde sie die verflixten Dinger morgen früh wieder einsammeln, aber im Moment tat es gut, sie einfach ins Gebüsch zu schmeißen. Sie betrachtete das Buch auf dem Beifahrersitz und zögerte.

      Was war nur in sie gefahren? Sie hatte es gestohlen, und es war nicht einfach ein beliebiges Taschenbuch. Nein, sie hatte eine Rarität aus einem Museum an sich genommen. Andererseits gehörte dieses Grimoire ihrer Familie, und zwar seit Generationen. Müde strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Warum hatte Mrs Saintclair gesagt, man solle es nicht mit bloßen Händen berühren? Zaghaft tippte sie mit einem Finger an den Buchrücken und atmete erleichtert aus, als nichts geschah.

      »Du wirst mir nichts tun, oder? Ich bin eine Mireau«, sagte sie. Es kam ihr nicht einmal albern vor, mit dem leblosen Bündel Papier zu sprechen, zumindest nicht alberner als ihre böse kleine Show im Hexenmuseum von Salem. Entschlossen packte sie das Buch und stieg aus.

      Plötzlich wurde ihr schwindelig. Sie schaffte es ge­­rade noch bis zu ihrer Veranda, aber dort musste sie sich an einem Pfosten festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Langsam ließ sie sich zu Boden sinken, bis sie sicher auf einer der Stufen saß. Sie legte das Grimoire neben sich und barg den Kopf zwischen den Händen.

      »Ach, Laurie«, stöhnte sie leise. »Ich wünschte, du wärst noch hier und ich könnte dich nach den Dingen fragen, die du mir all die Jahre verschwiegen hast.« Wenn sie schon mit Büchern sprach, konnte sie auch mit Toten reden, die längst unter der Erde lagen.

      Zum ersten Mal zweifelte sie an der Weisheit ihrer Tante, die sie von der okkulten Seite der Mireaus ferngehalten hatte. Natürlich war sie aufgewachsen in der festen Überzeugung, Teil einer Hexenfamilie zu sein. Doch als Teenager hatte sie begonnen, sich von allem Paranormalen abzuwenden und sich stattdessen für die rationale Welt der Wissenschaft zu interessieren.

      »Kein Wunder, dass ich nicht weiß, wo ich hingehöre«, stellte sie fest.

      »Sind Sie nicht ein bisschen zu alt, um mit einem ­imaginären Freund zu sprechen?«

      Erschrocken sah Julie nach oben. Gegen das Licht einer Straßenlaterne zeichnete sich eine breitschultrige Gestalt ab, die von einem roten Schimmer umgeben war. Sie konnte gerade noch einen Schrei unterdrücken, als sie Mr Blair erkannte.

      »Sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Was machen Sie mitten in der Nacht auf meinem Grundstück? Und müssen Sie sich so anschleichen und mich halb zu Tode erschrecken?«

      Lachte er sie etwa aus? Sie konnte sein Gesicht nicht richtig erkennen. Zum Glück war wenigstens diese merkwürdige rote Aura verschwunden.

      Julie stand auf und schob dabei das Grimoire et­­was weiter nach hinten – unauffällig, wie sie hoffte. »Ich frage Sie noch einmal: Verfolgen Sie mich? Vielleicht sollte ich mich bei Ihrem Vorgesetzten über Sie be­schweren.«

      »Viel Vergnügen!«, erwiderte Mr Blair lässig. Er zog ein Handy aus seiner Tasche und tippte auf dem Display herum. »Sie heißt Catherine Belcott.«

      In der Stille der Nacht hörte Julie den Freiton und dann eine Frauenstimme.

      »Cat, hier ist Madoc«, meldete sich Mr Blair. »Tut mir leid, dass ich so spät noch störe, aber jemand möchte sich bei dir über mich beschweren.«

      Die Frau sagte etwas.

      »Ja, schon wieder«, antwortete Mr Blair. »Und nein, ich habe nichts abgefackelt. Nicht einmal ein kleines Lagerfeuer habe ich mir gegönnt.« Er reichte Julie das Telefon.

      Einen Moment lang starrte sie es nur an, doch dann reckte sie das Kinn vor. »Hallo! Mein Name ist Julie Mireau. Spreche ich mit der Vorgesetzten von Mr Blair?«, fragte sie, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

      Ein Seufzer drang durch den Hörer. »Ja, Catherine Belcott. Was kann ich für Sie tun, Ma’am? Hat er sich in irgendeiner Weise unangemessen verhalten?« Die Frau hatte eine angenehme tiefe Stimme. Die Art, wie sie die Silben präzise und melodisch zugleich aussprach, ließ Julie an eine Südstaatenschönheit mit milchkaffeefarbener Haut und glutvollen Augen denken.

      »Er verfolgt mich«, platzte Julie heraus und merkte gleich, wie albern das klang. »Ich meine«, korrigierte sie sich hastig, »er taucht dauernd in meiner Nähe auf und … und … Ich will das nicht.«

      Catherine Belcott machte ein Geräusch, das verdächtig nach einem unterdrückten Lachen klang. »Warum sagen Sie es ihm nicht?«

      Julie seufzte. Die Frage war durchaus vernünftig. Aber wie sollte sie jemandem dieses undefinierbare Gefühl erklären, das sie bei Mr Blairs Anblick überkam, wenn sie es nicht einmal für sich selbst klar definieren konnte?

      »Nun, wenn das alles ist, was Sie mir mitteilen wollten, dann geben Sie ihm doch das Telefon jetzt bitte zurück! Ich hätte noch etwas mit ihm zu besprechen«, sagte Catherine Belcott sachlich.

      Julie reichte Mr Blair das Handy. Diesmal war sie auf die Wärme seiner Haut gefasst und zuckte nicht zusammen. Widerstrebend zog sie die Hand zurück. Es musste praktisch sein, sich in der kühleren Jahreszeit an je­­manden wie ihn kuscheln zu können.

      »Ja?«, sagte Mr Blair in das Gerät.