Klangvolle Stille. Julian Schwarze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Schwarze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902901354
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dem Hexenweib angetreten war, hatten wir unzählige Städte aufgesucht, die meisten davon hatten jedoch weniger als tausend Einwohner. Hesana zählte zu den größten Städten, in denen ich je war, denn das Hexenweib hatte mich vor den großen Städten gewarnt, besonders vor jenen im Süden, wo auch die kaiserliche Hauptstadt Elena lag.

      Dagorra hatte mit jenen Siedlungen kaum etwas gemeinsam. Wir schienen endlos lang zu reiten, ständig in dieselbe Richtung – und dennoch war das andere Ende der Stadt noch nicht zu sehen. Zugleich fragte ich mich, wie es den Elfenmagiern gelungen sein konnte, eine so riesige Stadt verborgen zu halten.

      Wir erreichten einen Bezirk, in dem die Häuser kleiner waren und in größeren Abständen zueinander standen. Auch schienen hier hauptsächlich alte Elfen zu wohnen, viele gingen in gekrümmter Haltung. Kaum ein Kind huschte von Haus zu Haus, es waren keine Jugendlichen zu sehen.

      »Die ist einer der älteren Bezirke unserer Stadt. Unsere Ältesten ziehen sich hierher zurück, wo es keine lärmenden Kinder gibt oder das Gebrüll der Soldaten stört. Hier legt man besonderen Wert auf ein gepflegtes Leben und vor allem auf Ruhe«, erklärte die Elfe. »Könntet Ihr Euch vorstellen, hier zu leben? An einem solch… ruhigen Ort?«

      Verständnislos sah ich die Elfe an. Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte die Elfe schon begriffen: Ich war ein Einsiedler und als solcher verbrachte ich die meiste Zeit meines Lebens in einsamen Wäldern und an anderen menschenleeren Orten.

      »Würde ich in einer Stadt leben, so würde ich aber einen anderen Bezirk bevorzugen. Andererseits wäre ein Zuhause in der Nähe des Marktplatzes oder der Stadtmauern für mich auch unvorstellbar.«

      »Ihr habt Euch also schon einmal vorgestellt, wie es wäre, in einer Stadt zu leben?«, fragte die Elfe interessiert.

      »Ja, doch habe ich diese Gedanken verworfen, kaum dass sie mir gekommen waren. Die stinkenden Gassen, die hohen Steuern, das Geschrei der Händler, die strenge Kontrolle durch die Stadtwachen, ständig zwischen kaltem Stein und Bretterverschlägen zu leben, das alles wäre nichts für mich.«

      »Wartet ab, bis Ihr Euch erst einmal in einer Stadt eingelebt habt!« Die Elfe hielt ihr Einhorn an und stieg aus dem Sattel. Wir banden die Tiere an einem Torpfosten an und durchquerten einen kleinen Kräutergarten vor einer kleinen Hütte.

      Die Elfe klopfte an und sogleich wurde die Tür einen kleinen Spalt geöffnet. Nach einem kurzen Wortwechsel in einer mir fremden Sprache wurde der Spalt etwas breiter und die Elfe deutete mir einzutreten.

      Wir betraten ein kleines, schmuckloses Zimmer. In einer Ecke stand ein Tisch, an der Wand gegenüber war eine kleine Feuerstelle, und an der anderen Wand hingen mehrere Waffen: Schwerter, Messer, Speere und noch ein weiteres, offensichtlich kostbares Stück. Langsam trat ich näher und begutachtete diese Waffe. Sie hatte den Griff in der Mitte und Schwertklingen zu beiden Seiten.

      »Ihr habt noch nie zuvor ein Doppelschwert zu Gesicht bekommen?« Erschrocken wandte ich mich um. Hinter der Tür kam ein alter Elf zum Vorschein. Sein Haar war ergraut, das Gesicht voller Falten, der Rücken gekrümmt. Sich auf einen Stab stützend, trat er näher. »Ein Mensch, ein junger Einsiedler«, sprach er mit Flüsterstimme, als er mich mit seinen schmalen Augen musterte. »Ein Mann von starker Statur, ein Magier noch dazu… Ihr seid wahrlich der Preston, von dem das Hexenweib gesprochen hat.«

      »Ihr kanntet meine Mutter?«, fragte ich überrascht.

      »Eure Mutter?«

      »Sie war meine Ziehmutter, hat mich aufgenommen, da sie ihr eigenes Kind wenige Tage zuvor verloren hatte. Ihr habt sie gesprochen? Wann?«

      »Diese Waffe wird kaum noch angefertigt«, sagte der Elf, als hätte er meine Fragen nicht gehört. Er betrachtete das Doppelschwert ehrfürchtig und in seine Augen trat ein Glanz, als erinnere er sich an alte Zeiten mit dem Schwert. »In einer Schlacht war die Doppelklinge ausgesprochen hilfreich, doch im Zweikampf nicht zu gebrauchen. Viele Krieger haben sich damit selbst größere Wunden zugefügt als dem Feind, und so verzichteten die Lehrmeister darauf, unsere jungen Krieger in die Kunst dieses Schwertkampfes einzuweihen. Ein Jammer, wenn man mich fragt.« Der Elf seufzte und fuhr sich mit den Händen über die Brust. Langsam wandte er den Kopf zu mir um und zuckte überrascht zusammen, gerade so, als hätte er meine Anwesenheit erst jetzt bemerkt.

      »Oh, entschuldigt meine Unhöflichkeit.« Er kicherte und deutete zum Tisch. »Bitte, nehmt Platz, nehmt Platz! Shania, meine Liebe, es müsste noch etwas Wasser da sein.« Die Elfe nahm den Wasserkessel und stellte ihn auf die Steinplatte über der Feuerstelle, dann setzte sie sich zu uns an den Tisch.

      »Shania, meine Liebe, wer ist dieser junger Mann?« Der Elf deutete mit seinem krummen Finger auf mich, als hätte er mich noch nie zuvor gesehen.

      Verwirrt legte ich den Kopf schief: Hatte er mich nicht eben erst bei meinem Namen genannt und gar über das Hexenweib gesprochen?

      »Sein Name ist Preston, er ist der Auserwählte«, klärte ihn die Elfe auf.

      »Ah, gewiss, der Auserwählte. Dann hat man ihn bereits zum König gewählt? Ich fragte mich schon, wann unsere Stadt endlich wieder ihren eigenen König haben würde.«

      Als er kurz wegsah, sah ich die Elfe an und deutete mit der Hand, ob der Alte denn nicht gar zu sehr unter seinem Alter und dem Verschwinden seines klaren Geistes leiden würde.

      »Nur weil ich alt bin, braucht Ihr nicht zu glauben, ich sei schwer von Begriff!«, schrie mich der Elf empört an, als hätte er meine Gesten gesehen. »Ihr solltet Euch vorsehen, Mensch! Macht Euch nicht auch noch die wenigen Freunde, die Ihr habt, zum Feind!«

      »Ihr spracht von dem Hexenweib – kanntet Ihr denn diese Frau?«, versuchte ich das Thema zu wechseln.

      »Ich wette, Haren hat sie als Hure bezeichnet!« Der Elf kicherte amüsiert. »Ja, ich kenne sie. Sie ist eine ungewöhnlich kluge Frau – und eine Schönheit noch dazu. Sie war vor etlichen Jahren hier, damals war auch ich noch ganz ansehnlich. Wie geht es ihr?«

      »Sie ist tot.«

      »Das tut mir leid. Vermutlich hatte sie wieder einmal den Mund zu weit aufgemacht! Ich nehme an, sie wurde von Soldaten ermordet? Oder hat sie sich gar eine dieser Krankheiten geholt… Ihr wisst schon, bei ihrer Arbeit.«

      »Ja, sie wurde ermordet, doch es waren die Rejèss.« Nun würde mich nichts mehr überraschen können. Woher wusste der Alte all das?

      Plötzlich wurde der Elf ganz ernst. Er legte die Stirn in Falten – sofern dies noch weiter möglich war – und starrte mir in die Augen.

      »Mir scheint, Ihr wisst mehr über ihren Tod als ich.«

      »Sie war ein wunderbares Geschöpf.« Er seufzte schwer, ehe er fortfuhr. »Doch andauernd musste sie diese Geschichte mit dem Auserwählten erzählen. Der Kaiser werde nach immer mehr Macht streben, sagte sie, und eines Tages werde er in der Lage sein, die Arasien und das Elfenvolk zu vernichten – ein Glück, dass ich dies nicht mehr erleben werde.«

      »Der Kaiser ist inzwischen bereits stark genug, um gegen euch vorgehen zu können. Die Arasien hat er im Westlichen Reich nahezu ausgerottet, einzig eure Stadt ist ihm noch ein Dorn im Auge.«

      »Oh, dann hat sie also tatsächlich recht gehabt«, bemerkte der Alte trocken.

      »Womit hatte sie recht?« Allmählich verlor ich die Geduld.

      »Sie sagte, Mandossar hätte sich von seinem ursprünglichen Weg abgewandt.«

      »Seinem Weg? Welchem Weg?«

      Diesmal war es die Elfe, die antwortete. »Mandossar war bereits in jungen Jahren zum Kaiser gekrönt worden. Anders als seine Vorgänger strebte er nicht nach Macht und Ruhm. Er war ein ausgesprochen gebildeter Herrscher, der nach Gerechtigkeit und Frieden strebte, doch eines Tages – keiner weiß, was in seinem Inneren geschehen war – wandte er sich von diesem Weg ab. Er wurde immer machthungriger. Es kam sogar zu einem Konflikt mit den Blutigen Schneiden, und so schuf er sich eine neue Leibgarde: die Rejèss. Anders als die Blutigen Schneiden wenden die Rejèss auch Foltermethoden an. Sie wurden zu