Klangvolle Stille. Julian Schwarze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Schwarze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902901354
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      »Wie Ihr schon sagtet, innerhalb der Stadtmauern sind die Wachen für Eure Festnahme verantwortlich, außerhalb jedoch die kaiserlichen Truppen. Es stimmt also, was Ihr sagtet – die Rejèss oder gar die Blutigen Schneiden werden für Eure Verfolgung verantwortlich gewesen sein.«

      »Ihr meint, sie wollten mir folgen?«

      »Gewiss war es kein Zufall, dass das Hexenweib ausgerechnet an jenem Tag ermordet wurde, an dem Ihr sie aufgesucht habt.«

      »Wir hätten seine Verfolger aufgespürt!«, widersprach Haren in strengem Ton. »Außer den Arasien, die wir alle niedergemetzelt haben, war niemand im gesamten Gebiet zu sehen. Aber wir haben Späher ausgeschickt, die erkunden werden, was in Hesana tatsächlich geschehen ist.«

      »Sie haben unserem Freund hier vielleicht keine Soldaten nachgehetzt, doch traue ich ihnen zu, dass sie ihn mit einem Magiebann belegt haben.«

      Plötzlich trat Schweigen ein. Alle hielten den Blick starr auf mich gerichtet, während mir das Blut in den Adern gefror. »Einen solchen Magiebann hätte ich gefühlt!«

      »Wir alle wissen, dass erfahrene Magier zu unerklärlichen Dingen fähig sind.«

      »Ihr hättet ihn genauso wie die Arasien töten sollen, Haren!«, fuhr der kräftige Offizier dazwischen. Die Männer waren nun aufgesprungen und diskutierten wirr durcheinander. Immer wieder deuteten sie auf mich oder warfen mir abschätzige Blicke zu. Einzig die Elfe schien ruhig zu bleiben. Sie sah mich an, lächelte und griff nach meiner Hand, die ich jedoch erschrocken zurückzog.

      Schließlich klopfte der junge Offizier – welcher als Einziger mir gegenüber nicht feindlich gesinnt war – mit einem harten Gegenstand mehrmals auf den Tisch. »Ich bezweifle, dass Zeit für Streitereien bleibt, wenn unsere schlimmsten Befürchtungen eintreffen.«

      »Erzählt uns, Marth, was sind unsere schlimmsten Befürchtungen?«

      »Dass die Worte des Hexenweibs wahr sind.«

      »Das sind nicht unsere Befürchtungen!«

      »Das sollten sie jedoch sein! Ich scheine hier der Einzige zu sein, dem die Häufung seltener Zufälle zu denken gibt.« Eine Weile herrschte Schweigen, dann setzten sich wieder alle auf ihre Stühle und warteten gespannt, dass der Elf fortfuhr. »Das Hexenweib wird an jenem Tag getötet, an dem ein uns fremder Mann sie aufsucht. Ihre Ermordung erweckt ungewöhnlich viel Aufsehen bei den Stadtwachen, und vermutlich steckt sogar die Leibgarde des Kaisers hinter dem Attentat! Kurz darauf durchquert der fremde Mann unsere Wälder. Wäre er auf der Flucht, hätte er diese Region gemieden, da ein jeder weiß, dass hier Arasien leben. Dieser Fremde trägt ein Schwert bei sich, obwohl man ihm all seine Waffen abgenommen hat! Es ist keine gewöhnliche Klinge, sondern ein kostbares Schwert mit goldener Scheide. Wenn er, wie er sagt, ein Einsiedler ist, wie kommt er dann in den Besitz dieses Schwertes?

      Wenn wir uns an die letzte Begegnung mit dem Hexenweib erinnern – oder an die Aufzeichnungen darüber –, so sprach sie von einem edlen Schwert, das durch Magie an den Träger gebunden sei. Sie sagte voraus, dass es Krieg geben würde, sobald der Träger hier erscheine. Doch anstatt ihn aus unserem Reich zu verbannen, sollten wir ihn zu unserem Anführer küren, denn er trägt all unsere Hoffnung.«

      Eine ganze Weile sprach niemand ein Wort. Alle waren in Gedanken versunken, und selbst ich grübelte über das Gesagte nach. Schließlich durchbrach der kräftige Offizier, der gegen mich Stimmung gemacht hatte, die Stille. »Es deutet nichts auf diesen Krieg hin. Wo ist die Armee, die uns angreifen soll?«

      Haren erhob sich langsam von seinem Stuhl und schritt den Tisch ab. »Unsere Späher haben von einem Heer berichtet, das von Süden aus auf dem Weg nach Norden ist. Sie würden Katapulte, Bogenschützen, Reiter und Magier mit sich führen – sie sind gerüstet für die Eroberung einer Stadt.«

      »Wann gedachtet Ihr uns denn dies zu erzählen?«, fragte die Sprecherin wütend.

      »Die Späher waren sich der Sache nicht ganz sicher! Sie sind abermals ausgeritten, um zu überprüfen, ob das wirklich zutrifft. Wir alle wissen, welche Panik im Volk ausbrechen würde, wenn wir von einer Bedrohung berichten, die vielleicht gar nicht vorhanden ist!«

      »Ob wir der Prophezeiung nun Glauben schenken wollen oder nicht, unsere Verteidigung ist auf jeden Fall geschwächt. Das Elfenvolk hat zu viele Jahre in Frieden verbracht, kaum einer von den Bürgern ist je in eine Schlacht gezogen. Wir sind nachlässig geworden und sollten uns unbedingt für einen Kampf rüsten, denn wie es aussieht, ist für den Kaiser nun ein günstiger Zeitpunkt gekommen, unser Volk anzugreifen – und dass er dies eines Tages tun wird, wissen wir. Wir können zwar einzelne Wanderer durch unseren Schutzzauber in die Irre leiten, doch sind wir gegen ein großes Heer, das Magier mitführt, machtlos.«

      Es wurde eifrig getuschelt, selbst Haren war an seinen Platz zurückgekehrt und beriet sich mit seinen Sitznachbarn. Schließlich erhob sich die Elfe an meiner Seite und gebot mit einem Wink ihrer Hand Ruhe. »Als Sprecherin des Offizierstisches bitte ich um eine Abstimmung darüber, ob sich unsere Stadt für eine Schlacht rüsten sollte.« Die Abstimmung verlief überraschend eindeutig. Selbst der eine Offizier, der der Elfe und dem jungen Offizier stets widersprochen hatte, stimmte zu.

      »Ich danke für eure Offenheit. Es gibt jedoch noch eine weitere Sache, die es zu besprechen gilt«, fuhr die Elfe fort. »Wenn die Prophezeiung zutrifft und eine Schlacht bevorsteht, so sollten wir diesen Mann nicht mehr als einen Fremden, einen Feind behandeln!«

      »Und ihn stattdessen zu unserem Anführer ernennen? Selbst unser besonnener Freund Marth hat gesagt, es wäre möglich, dass sein Kommen den Standort unserer Stadt verrät!«, antwortete der kräftige Elf mit selbstbewusster Stimme und deutete mit abwertender Geste auf mich.

      »Da war ich noch nicht im Besitz aller Informationen. Aber wenn selbst der Feind davon überzeugt ist, dass dieser Mann der Auserwählte ist, warum sollten wir daran zweifeln?«, gab Marth zurück.

      »Warum sollten wir ihm trauen?«

      »Weil ich…«, rief ich laut in die Runde und ergriff erstmals wieder das Wort. »Weil ich an eurer Seite kämpfen werde. Die kaiserlichen Soldaten haben mir den einzigen Menschen genommen, der mir wichtig war, der mir nahe stand. Kurz bevor das Hexenweib starb, gab sie mir die Anweisung, die Elfen aufzusuchen. Sie sagte, mein Schwert berge eine Geschichte, die hier in Dagorra beginnt. Zuvor hatte ich nichts von dieser Bestimmung gewusst, aber nun bin ich bereit alles zu tun, um ihren letzten Wunsch zu erfüllen. Ich bin auf ihr Geheiß hier, nicht weil ich selbst es wollte!

      All die Jahre über hatte ich das Hexenweib für eine… Hure gehalten, doch nun scheint mir, als wäre sie alles andere als das gewesen. In den letzten Tagen hatte ich seltsame Träume von Elfen – obwohl ich nie zuvor einen von eurem Volk gesehen hatte. Ich war nach Hesana gekommen, um mit dem Hexenweib darüber zu reden. Kurz darauf…« Mir versagte die Stimme. Ich holte tief Luft und fuhr fort. »Die Soldaten jagten mich durch die Stadt, als wäre ich schuld an diesem Verbrechen! Warum geschieht dies alles? Und warum begegnet ihr mir mit Hass, wo ich doch nur die Wahrheit spreche und keine Gefahr für euch darstelle!«

      Erneutes Schweigen. Man warf einander vielsagende Blicke zu, die ich nicht zu deuten wusste, und mir schien, als würden sie mir noch etwas vorenthalten.

      »Ihr wisst nichts über die Prophezeiung des Hexenweibs?«, fragte die Elfe mit sanfter, jedoch ernster Stimme.

      »Sie sagte, dieses Gedicht – wie ihr es nanntet – sei kein Gedicht. Und dass mein Schwert mein Schicksal bestimme.«

      »Es sind die Schwerter… Von einem Schmied geschmiedet… Die Klinge den Träger krönt… Der Eine unterdrückt, der Andere befreit…«, wiederholte die Elfe langsam. »Das Hexenweib hat die Schlacht vorausgesagt, und wenn sie komme – und ein erneuter, verheerender und vermutlich letzter Krieg der Völker ausbricht –, so müssten wir den Träger des prachtvollen Schwertes zu unserem König krönen, denn einzig er sei fähig, dem Kaiser die Stirn zu bieten. Einzig er sei in der Lage, die Völker zu vereinen.«

      Heftige Diskussionen brachen los, kaum einer der Männer war