»Innerhalb der Stadtmauern habe ich genügend Schutz. Was ist mit Euch, warum seid Ihr ohne Weib?«
»Ich bin ein Ausgestoßener. Keine Frau würde sich freiwillig einem Mann wie mir anvertrauen wollen.«
»Wir Elfen urteilen anders. In Dagorra werden keine Kinder ausgestoßen.«
Ihre Antwort brachte mich zum Lachen. »Das ist der Fluch der Armut, und Armut trifft Euer Volk genauso wie das meine!«
Wir saßen noch bis zum späten Abend in der gemütlichen Stube beisammen. Als es draußen dämmerte und sich alle in ihre eigenen Häuser begaben, machte auch ich mich daran aufzubrechen. Zwar bot mir die Elfe an, an ihrer Seite zu nächtigen, doch lehnte ich ab. Zum einen könnte es Schande über sie bringen, wenn ein fremder Mann bei ihr nächtigte, zum anderen fühlte ich mich unwohl bei dem Gedanken, nackt neben einem fremden Körper zu liegen.
Nach ein paar Stunden Schlaf warf ich mir am nächsten Morgen nach einem kurzen Reinigungsritual wieder die Elfenkleidung über und stieg die Treppen empor. Die Pforte in der Baumrinde, welche in der ersten Nacht für mich noch geschlossen gewesen war, ließ sich diesmal mühelos öffnen.
Dichter Nebel hatte sich über die Stadt gelegt. Es war kalt und trüb. Wie sehr sehnte ich mich nun nach meinem dicken Mantel.
Ich durchschritt den verlassenen Garten und gelangte zur breiten Straße, welche wie ein Burggraben um den Park herum angelegt war. Noch immer war – bis auf wenige Wächter, die mit Laternen den Weg beleuchteten – niemand auf den Straßen unterwegs.
Bei einem der Ställe, die nahe dem Garten standen, traf ich dann endlich auf einen Elfenjungen, der damit beschäftigt war, den untergestellten Pferden frisches Heu zu richten.
Kaum hatte der Junge mich wahrgenommen, stellte er die Heugabel beiseite und sattelte meinen schwarzen Hengst. Ich bedankte mich und gab ihm ein Kupferstück.
Bei den Kasernen herrschte hektische Aufregung. Soldaten eilten umher, Schmiede, die auch während der Nacht gearbeitet haben mussten, brachten neu angefertigte Waffen, Frauen kamen mit geflickten und frisch gewaschenen Uniformen und Bäcker verteilten Brot.
Als ich vom Pferd stieg, eilte ein jüngerer Soldat herbei und bat um die Zügel, während ich die große Halle der Gemeinschaftsküchen betrat. Anders als an den Tagen zuvor nickte man mir nun respektvoll zu. Natürlich gab es auch noch den einen oder anderen feindseligen Blick in meine Richtung, doch kaum blickte ich zurück, wurden die Köpfe abgewandt. Demnach hatte Haren das Elfenvolk über mich unterrichtet. Ich war nicht länger ein fremder Mensch, ich war zumindest ein geachteter Gast.
Vielleicht war es auch der Kampf mit dem Feldherrn Dagara gewesen, der mir diesen Respekt verschaffte.
Nachdem ich mir ein paar Scheiben Roggenbrot und Äpfel genommen hatte, setzte ich mich auf eine der freien Bänke und begann zu essen. Kurz darauf erschien ein Soldat, der mich zögerlich anredete. »Verzeiht Herr, gestattet Ihr, dass ich mich zu Euch geselle?«
Mir war zwar nicht nach Gesellschaft, doch fand ich es unhöflich, dem Mann den Wunsch abzuschlagen, und so willigte ich mit einem knappen Kopfnicken ein.
»Ich habe Euch gestern gesehen.« Er klang schüchtern, als befürchtete er, ein falsches Wort könne meinen Zorn erwecken. Da ich nichts erwiderte, fuhr der Mann fort. »Ihr habt gegen den Feldherrn Dagara gekämpft.«
»Er ist ein erfahrener Kämpfer«, sagte ich zustimmend. »Dennoch hätte er gut daran getan, einen Fremden nicht herauszufordern.«
»Oh, die ganze Stadt spricht davon! Dagara zählt zu unseren stärksten Kriegern, es war… noch nie zuvor wurde einer unserer Feldherrn von einem Menschen bezwungen.«
»In einer Schlacht sind solche Kämpfe keine Seltenheit.«
»Natürlich, doch war dies keine Schlacht. Dagara hatte seine Soldaten bei sich und dennoch ist es Euch gelungen, ihn zu überwältigen.«
»Ich hatte die Magie als meinen Verbündeten und konnte ihn überraschen. Es war ein Kampf mit ungleichen Mitteln. Völlig gleichgültig, wer den anderen bezwungen hat, gesiegt hat keiner!«
»Und dennoch seid Ihr in aller Munde!«
Ich schüttelte abwehrend den Kopf.
Der Soldat sah sich nach allen Seiten um und beugte sich flüsternd vor. »Ist es wahr, was man munkelt?«
»Was munkelt man denn?«
»Die Hohen Offiziere haben Späher ausgeschickt. Man sagt, wir müssen uns auf eine Schlacht vorbereiten.«
»Auf eine Schlacht sollte man immer vorbereitet sein – ganz besonders, wenn man inmitten eines feindlichen Reichs lebt.«
»Seid Ihr der Auserwählte, von dem die Männer sprechen?«
»Wie ich sehe, seid Ihr bereits in Gesellschaft. Schade, ich hätte Euch gerne auf ein Wort gesprochen!« Der Offizier Marth war zu uns gestoßen und gab dem Soldaten mit einem Wink zu verstehen, den Platz zu räumen, was dieser auch sofort tat.
»Ich bin Euch etwas schuldig – Ihr habt mich vor diesem geschwätzigen Soldaten gerettet.«
»Das freut mich zu hören. Begleitet mich ein Stück.«
Fragend hob ich den Blick. Marth hatte einen Brotkorb und einen Holzteller mit Wurst und Käse in der Hand.
»Wir Offiziere speisen nicht mit den gewöhnlichen Soldaten«, erklärte er und deutete zu einer Treppe am Ende der Halle, die zu einem Balkon hinaufführte, von dem man den Saal überblicken konnte.
Als wir oben waren, nahmen wir an einem schmucken Holztisch Platz. Die Bänke waren mit roten Samtkissen gepolstert und selbst die Stühle hatten einen weichen Überzug.
»Ich wollte Euren persönlichen Rat einholen«, begann der Elf und biss von einer Brotscheibe ab.
»Meinen persönlichen Rat? Da seid Ihr wohl der einzige Elf, der sich dafür interessiert.«
»Sagt dies nicht! Soweit ich weiß, scheint Ihr bereits lange Gespräche mit Shania und Aran geführt zu haben.«
»Zugegeben, das sind zwei Ausnahmen.«
»Ihr sagtet, Ihr seid aus Hesana geflohen. Mich würde interessieren, ist dort etwas vorgefallen? Wie war die Stimmung in der Stadt?«
»Es soll Angriffe von Arasien gegeben haben. Auch habe der Kaiser unlängst einen weiteren Stamm gefangen nehmen können.«
»Konntet Ihr Genaueres in Erfahrung bringen?«
Nachdenklich schüttelte ich den Kopf. »Die Boten des Kaisers scheinen bewusst Falschmeldungen zu verkünden. Demnach wünscht Mandossar nicht, dass die Bürger der Städte von seinen Plänen erfahren.«
»Wenn er einen Angriff auf unsere Stadt plant, ist ihm dies nicht zu verdenken. Er weiß, dass wir Spione unter seinen Leuten haben. Ist Euch sonst noch etwas von Bedeutung aufgefallen?«
»Nein, abgesehen davon, dass der Hass auf die Arasien deutlich stärker ist als der Hass auf die Elfen. Niemand redet über Euer Volk, es ist, als würden die Elfen die Menschen nicht interessieren.«
»Wie ist die Stimmung?«
»Hesana ist vielleicht nicht gerade der geeignetste Ort, um auf das restliche Reich zu schließen. Die Bürger sind verschlagen und hinterhältig wie eh. Aber es fällt doch auf, dass es mehr gezielte Anschläge und verdeckte Morde zu geben scheint. Irgendjemand, der sehr reich und einflussreich ist, beginnt ein Spiel zu spielen. Keiner weiß, wohin das führen soll, doch ich befürchte, dass eure Soldaten recht bald erfahrenen Söldnern gegenüberstehen werden, die nicht so leicht zu bezwingen sind wie die Miliz des Kaisers.«
»Ihr meint, es bildet sich so etwas wie eine neue Eliteeinheit?«
»Weniger eine Einheit als vielmehr eine gewaltige Ansammlung verbitterter Krieger. Die Armut treibt die Menschen in die Verzweiflung und macht viele von ihnen unberechenbar. Mandossar braucht diese Männer nicht ausbilden