»Aber Elfen und Menschen waren einander noch nie freundlich gesinnt.«
»Man hat einander zwar gehasst, ja, doch auch als ebenbürtig eingeschätzt und toleriert. Niemand hat je zuvor versucht, unsere Stadt gezielt anzugreifen. Wie es scheint, ist Mandossar dies nun jedoch gelungen.«
»Der Kaiser hat unsere Stadt angegriffen?«, fuhr der Alte erschrocken dazwischen.
»Noch nicht«, antwortete ich. »Was hat das Hexenweib noch erzählt – abgesehen von dem Auserwählten.«
»Es ist unmöglich, Mandossar zu überwältigen. Er ist ein starker Krieger, von starken Kriegern umgeben. Einen Kampf gegen den Kaiser würde man nicht gewinnen, denn seine treuen Diener sind teils magischer Herkunft und es ist nicht möglich, sie alle zu vernichten. Es gibt keinen Krieger im Volk der Elfen, der den Kaiser zu einem Schwertkampf herausfordern könnte. Denn der Kaiser würde sich nicht auf den Kampf mit einem bedeutungslosen Krieger einlassen.«
»Abgesehen vom Auserwählten – der nicht aus eurem Volk stammt.«
»Sofern man an ihn glaubt!«
»Das Hexenweib tat es.«
»Das Hexenweib ist aber tot«, warf der Elf trotzig ein. In dem Moment pfiff der Wasserkessel und Shania erhob sich, um Tee aufzugießen. Anschließend stellte sie den Krug, in dem einige Kräuter und Blätter schwammen, zusammen mit drei Holzbechern auf den Tisch.
»Ja, sie sprach von dem Auserwählten. Von einem König, der fähig sein würde, die Völker zu vereinen. Um uns das mitzuteilen, war sie zu uns gekommen.«
»Warum sollte sie ausgerechnet zu euch kommen? Sie hätte genauso gut die Arasien aufsuchen können.«
»Einzig das Elfenvolk hat das Recht, einen König zu krönen. Die Menschen haben sich dieses Recht herausgenommen, ohne dass es ihnen zusteht. Der einzig rechtmäßige König ist jedoch der König der Elfen.«
»Anfangs waren sie Könige, nun sind sie Kaiser – und stehen damit über eurem Oberhaupt«, widersprach ich.
»Worte, alles nur Worte! Damit versuchten sie bloß ihren Betrug zu verschleiern.«
»Wenn es also einen Mann gäbe, der von den Elfen zum König der Vereinten Völker gekrönt würde, dann hätte dieser also genügend Ansehen, um den Kaiser herauszufordern?«
»Ja.« Der Elf verfiel in einen Flüsterton und starrte in den leeren Becher, der vor ihm stand. »Jeden anderen König würde der Kaiser schlagen, einzig der Auserwählte wäre in der Lage, Mandossar zu stürzen. Er allein könne die Macht des Kaisers brechen.«
»Warum? Was macht diesen Mann so besonders?«
»Sein Schwert. Ein Schwert, wie Ihr es tragt.« Der Alte hob den Kopf und sah mich von der Seite an.
»Wie kann ein Schwert darüber bestimmen, ob man dazu fähig ist, den Kaiser zu bezwingen?«
»Darüber schwieg das Hexenweib. Sie hütete dieses Geheimnis wie ihren Augapfel. Doch vermutlich war jemand dahinter gekommen, denn sonst hätten die Rejèss sie nicht ermordet.«
»Ihr meint, jemand ganz Bestimmter sei dahinter gekommen?«
»Kaiser Mandossar.«
Seufzend lehnte ich mich gegen die Stuhllehne. Erstmals schien die Prophezeiung einen Sinn zu ergeben. Laut dem Hexenweib gibt es nur einen Mann – mich –, der den Kaiser in einem Zweikampf besiegen könnte, doch müsste ich davor zum König der Vereinten Völker gekrönt werden, um über genügend Ansehen, Macht und Einfluss zu verfügen. Doch warum König der Vereinten Völker? Die Antwort dämmerte mir bereits, als der alte Elf zur Erklärung ansetzte.
»Der Kaiser hat also seinen Schlachtzug gegen Arasien und Elfen begonnen, nachdem er die vergangenen Jahre damit zugebracht hat, ein gewaltiges Heer aufzustellen. Nur wenn wir uns vereinen, könnte es uns gelingen, ihm zu trotzen.«
»Ein Völkerkrieg wird ausbrechen! Und es braucht einen Führer, der weder den Arasien noch den Elfen angehört«, schlussfolgerte ich.
»Ihr seht, junger Mann, Ihr seid der Auserwählte. Und nicht nur, dass Ihr zur rechten Zeit am rechten Ort seid, Ihr seid auch ein Krieger! Und ein Magier, und glaubt mir, ich spüre die Kraft in Euch, und die ist ungewöhnlich stark für einen Menschen. Man wird Euch nach Alphradon schicken müssen.«
Es herrschte Stille, während wir Tee tranken und das Gesagte überdachten. Wenn das alles stimmte, so war meine Bestimmung tatsächlich schon vor meiner Geburt festgestanden. Doch wie konnte das Hexenweib die Zukunft vorausgesehen haben, denn dies übertrifft alle Magie- und Hexenkünste? Hier ging es nicht um das Schicksal einzelner Seelen, sondern um das Schicksal der großen Völker.
»Wie konntet ihr alle nur so blind sein?«, fragte ich vorwurfsvoll. »Wieso habt ihr nicht längst schon ein Heer gebildet, das einen Angriff auf eure Stadt abwehren kann?«
Der Alte lachte laut auf, ehe er antwortete. »Preston, mein Guter. Ihr seid jung und kennt das Elfenvolk nicht, doch sagt mir, wie hätten wir handeln sollen? Ein Weib kam einst in unsere Stadt. Sie war von niederem Stand, eine Hure, und sie sprach vom Untergang unseres Volkes. Mandossar, ein zwar mächtiger, aber friedlicher Kaiser, würde uns vernichten wollen. Das klang nach einem lächerlichen Märchen! Natürlich waren wir schockiert, als dann die ersten Elfenverfolgungen einsetzten. Der Kaiser hatte sich tatsächlich gewandelt und machte eine Politik, mit der wir nicht mitgehen wollten! Doch reicht dies aus, um den Worten einer Hure Glauben zu schenken? Wir sollten uns jemandem aus einem anderen Volk unterwerfen? Einen König krönen, dessen Wort über dem unseres eigenen Königs steht?« Er schüttelte den Kopf und erhob sich von seinem Sessel. Als er zum Fenster ging und ins Licht trat, sah ich mit Erstaunen, dass die vielen tiefen Falten in seinem Gesicht wie weggezaubert waren. Auch war seine gebückte Haltung in eine aufrechte übergegangen, das lichte Haar schien an Dichte zugenommen zu haben. Es schien, als sei er innerhalb kürzester Zeit um Jahre jünger geworden.
»Shania, meine Liebe, führe unseren Freund durch die Stadt, zeige ihm die Kasernen und alten Gebäude – in der Bibliothek wart ihr ja bereits, vermute ich. Ich habe etwas mit dem Offizierstisch zu besprechen.«
»Sollte ich dann nicht…«
»Nein Shania, ich bitte dich, kümmere dich um unseren Freund. Ich werde als ehemaliger Sprecher deine Funktion übernehmen.« Man sah ihm an, dass er voller Tatendrang war.
»Wenn dies dein Wunsch ist, dann kommt.« Die Elfe deutete mir, ihr zu folgen, und trat vor die kleine Hütte. Als wir uns verabschiedeten, fiel mir ein, dass wir einander gar nie vorgestellt worden waren. »Verzeiht die Frage, Ihr kennt nun meinen Namen, doch wer seid Ihr?«
»Ich bin Aran. Aran, der Magier.« Der Elf lächelte und schob die Türe zu, ehe ich weitere Fragen stellen konnte.
»Ihr seht hungrig aus«, stellte die Elfe fest und ging zu ihrem Einhorn. »Kommt, suchen wir die Gemeinschaftsküchen auf.«
Jene Gemeinschaftsküche – es gab mehrere in der Stadt –, die wir aufsuchten, grenzte an eine der größten Kasernen. Shania trug einem Soldaten auf, sich um unsere Reittiere zu kümmern, während wir speisen wollten.
»Ihr scheint sehr viel Einfluss auf die Soldaten zu haben.«
»Ich bin Sprecherin des Offizierstisches. Man hat mir Gehorsam zu leisten.«
»Für einen Moment dachte ich, es sei Eure Schönheit, die die Männer bändigt und es unmöglich macht, Euch zu widersprechen.«
Erstmals sah ich die Elfe an diesem Tag lächeln. Sie biss sich verlegen auf die Lippen und zog die Augenbrauen hoch. »Ihr solltet das nicht zu laut sagen, sonst werdet ihr euch bei meinem Volk wohl nie beliebt machen.«
»Ihr seid vergeben? Verzeiht, ich wollte nicht… Natürlich, ich war töricht anzunehmen, eine Frau wie Ihr sei ohne Mann.«
Die Elfe lachte laut auf, woraufhin