Klangvolle Stille. Julian Schwarze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Schwarze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902901354
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dennoch brachtet Ihr den Offizier zum Schweigen.«

      »Haren ist ein guter Mann, er ist sehr bemüht, unser Volk vor jeder Gefahr zu schützen.«

      »Er wäre ein schlechter Wirt in einem Gasthaus für fremde Durchreisende.«

      Erneut lachte die Elfe auf. »Ja, er hat nicht viel für Fremde übrig, doch wenn Ihr bedenkt, dass die meisten Fremden den Niedergang unseres Volks wünschen, dann würdet Ihr sein Misstrauen verstehen.«

      Wir stiegen die breiten Stufen zur majestätischen Bibliothek empor. Zu beiden Seiten standen Wächter mit Lanzen so reglos da, als seien sie aus Stein gehauen.

      Als wir das große Holztor am Ende der Treppe erreichten, klopfte die Elfe gegen einen Eisenring und wartete, bis ein kleines Guckfenster aufgemacht wurde und ein dürres Gesicht zum Vorschein kam. Die Augen des kleinen Kopfes huschten umher, dann verschwand das Gesicht, das Guckloch wurde zugeworfen und mit leisem Knarren öffnete sich eine Tür im Tor.

      Die Elfe wandte sich den Kriegern zu, die uns begleitet hatten, und gab ihnen mit einem Nicken zu verstehen, hier die Stellung zu halten, während sie mit mir hineinging.

      Hinter uns glitt die Tür wieder zu und ein kleiner Elf, der mir kaum bis zur Hüfte reichte, stellte einen Hocker vor das Guckloch. Dann deutete er uns mit seinem knochigen Finger, ihm zu folgen.

      »Ist er ein Oronin?«, flüsterte ich der Elfe leise zu. Sie war über meine Frage etwas überrascht und antwortete ebenso flüsternd. »Ja, einer der wenigen, die noch nicht mit den Elfen verschmolzen sind. Ihr Name gerät zunehmend in Vergessenheit, da man das Volk Dagorras als den Oronin-Stamm bezeichnet. Sie, die kleinen Elfen, werden nur noch Elfchen genannt – obwohl sie selbst die Bezeichnung Ursprungselfen bevorzugen.«

      Noch bevor ich etwas erwidern konnte, gelangten wir in die hohe Halle der Bibliothek. Bei dem Anblick versagte mir die Stimme. Der Raum war eine gewaltige Kuppel, die bis zum Himmel emporzureichen schien. Überall standen hohe Regale, vollgestopft mit Büchern und Schriftrollen. Vor den Fenstern befanden sich Pulte, an denen Gelehrte saßen und Abschriften anfertigten. Noch nie zuvor hatte ich eine so große Ansammlung an Aufzeichnungen gesehen. Hier mussten Hunderte, wenn nicht Tausende von Schriften lagern.

      Am anderen Ende des Raumes war ein langer Gang, von dem viele kleine Lesestuben wegführten, in denen überall Gelehrte saßen und unterrichteten, schrieben oder studierten.

      Das Elfchen blieb schließlich vor einer prächtig verzierten Türe stehen und griff nach der Laterne, die an einem Eisenhaken neben der Pforte hing. Der Oronin schnippte mit den Fingern und schon entflammte der Docht der Laterne.

      »Folgt mir!«, krächzte er in schrillem Tonfall und stieß die Türe auf.

      Als wir in den dunklen Gang eintraten, knallte der kleine Elf die Türe hinter uns wieder zu und lief an die Spitze. Es war – bis auf den Schein der Laterne – stockdunkel.

      Das Licht reichte gerade einmal aus, um zu erkennen, dass all der Prunk, welcher uns gerade noch umgeben hatte, verschwunden war. Der Boden war voller Staub, an der Decke hingen Spinnweben, von den Wänden bröckelte der Mörtel.

      Wir schritten durch ein endloses Gewirr an Gängen. Recht schnell hatte ich die Orientierung verloren und ich gab mir Mühe, immer dicht bei der Elfenfrau zu bleiben, um ja nicht zurückzufallen.

      Schließlich gelangten wir in einen Gang, der heller beleuchtet war. Vor einer wuchtigen Holztür standen zwei Wachen, die dem Oronin zunickten und zur Seite traten, ehe sich die Tür wie durch magische Hand auftat.

      Wir passierten den Eingang und das kleine Elfchen verließ uns mit einer knappen Verbeugung.

      Der Vorraum war zwar düster, doch gab es hier einen kühlen Windhauch, der Frischluft zuführte.

      Die Elfe schritt an mir vorbei und trat in den nächsten Raum, inmitten dessen ein großer schöner Holztisch stand, an dem mehrere Offiziere saßen – unter ihnen auch Haren. Als sie uns sahen, erhobenen sie sich und verharrten in einer Verbeugung. Auch wir verbeugten uns, ehe die Elfe mich anwies, mit ihr am Ende des Tisches Platz zu nehmen.

      »Bitte, setzt Euch.« Haren wies auf die beiden freien Stühle. Als alle saßen, fuhr der Offizier fort. »Nun, ehrenwerte Sprecherin, verkündet dem Offizierstisch den Grund der Einberufung.«

      Die Elfe ließ ihren Blick über die versammelten Männer schweifen, ehe sie das Wort ergriff. »Es freut mich, dass ihr so schnell kommen konntet. Rasches Handeln ist angesagt.« Sie atmete tief durch. »Vor einigen Jahren kam eine Fremde in unsere Stadt. Sie verkündete eine Prophezeiung, der keiner Glauben schenken wollte.«

      »Meint Ihr die Hure? Diese Hexe?«, warf ein kräftig gebauter Offizier ein. Noch ehe ich ihn anschreien konnte, fuhr Haren dazwischen. »Das Hexenweib, ja. Einige von uns haben sie selbst erlebt, andere haben nur die Berichte gelesen.«

      »Für jene, die sich nicht mehr erinnern können: Das Hexenweib war gekommen, um unser Volk zu warnen. Es hieß, ein junger Krieger, den sie selbst aufziehen würde, sei in den Wäldern des Nordens geboren worden. Würde der Kaiser unser Volk einmal vernichten wollen, so wäre dieser Junge unser Verbündeter, unsere Hoffnung. Einige Jahre später, als sie abermals zu uns kam, sprach sie von einem Schwert.«

      »Es sind die Schwerter… Von einem Schmied geschmiedet… Die Klinge den Träger krönt… Der Eine unterdrückt, der Andere befreit… Wir alle kennen diese Verse«, äußerte sich ein weiterer Offizier herablassend.

      Die Elfe warf ihm einen wütenden Blick zu, dann fuhr sie fort. »Das ist kein bedeutungsloses Gedicht! Sie sagte, es werde die Zeit kommen, da der Kaiser die Macht an sich reißen und die großen Völker vernichten wollen wird.«

      »Das zu prophezeien ist keine Kunst. Mandossar war schon immer machtbesessen. Wir alle hätten das voraussagen können, doch ist selbst er nicht in der Lage, alle Völker zu vernichten.«

      »Es hat bereits begonnen. Wie viele Arasien durchstreifen noch unsere Wälder? Unsere Kundschafter und Spione haben selbst berichtet, dass der Kaiser dabei ist, eine Armee zusammenzustellen, die einer jeden Streitmacht überlegen ist.«

      »Das sind doch alles nur Vermutungen«, wandte ein weiterer Offizier ein.

      »Vielleicht, doch lasst mich Folgendes berichten: Dieser Mann hier hat das Hexenweib in Hesana aufgesucht, kurz darauf wurde sie auf Geheiß der Rejèss ermordet.«

      »Wer behauptet das? Er?« Empört schleuderten sie mir Beschimpfungen entgegen.

      »Ruhe!«, polterte Haren. »Ihr behauptet also, die Rejèss sind für ihren Tod verantwortlich? Wie verlässlich ist Eure Quelle?«, fragte er mich.

      »Es gibt keinen Grund, warum der Mann, der es mir verriet, lügen sollte. Als ich die beiden Attentäter verfolgte, waren Dutzende Soldaten – und Paladine – hinter mir her. Sie verfolgten mich, bis ich sie im Wald in der Dunkelheit abschütteln konnte.«

      »Ein einzelner Mann? Wie konntet Ihr den Stadtwachen entkommen? Und wie in der Nacht die Stadtmauern überwinden?«, fragte Haren zweifelnd.

      »Durch Magie. Ich sprang in den Wassergraben hinunter und entschwand in der Dunkelheit.«

      »Das erklärt zumindest den Gestank«, witzelte einer der Offiziere und löste damit Gelächter aus.

      »Verzeiht meine Offenheit«, meldete sich ein recht junger, gutaussehender Offizier zu Wort. »Ihr seht wie ein kräftiger Krieger aus, und ich zweifle auch nicht an Eurem Mut. Dass Ihr über Magie verfügt, ist eine seltsame… Fügung des Schicksals, doch – wenn ich mir erlauben darf, dies zu sagen – glaube ich nicht daran, dass Ihr den Stadtwachen entkommen konntet.«

      Nachdenklich legte ich die Stirn in Falten. Der junge Elf schien Gründe für seine Skepsis zu haben, denn anders als die anderen Offiziere zweifelte er nicht an meinen Fähigkeiten. »Was bewegt Euch dazu, dies zu vermuten?«

      »Oh, schon mehrmals wurden unsere Spione in den Städten der Menschen enttarnt, doch nur sehr wenigen gelang die Flucht – und sie waren alle kampferprobte