Klangvolle Stille. Julian Schwarze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Schwarze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902901354
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Vielleicht war es die Verantwortung, die ich nun hatte. Wie sehr hatte ich mich früher danach gesehnt, kein Ausgestoßener mehr zu sein, sondern geschätzt zu werden wie jene, die den Namen ihrer Vorväter kennen. Es war, als sei mir plötzlich eine Vergangenheit gegeben worden.

      Was war es nun also, das mich so erdrückte? War es die Erkenntnis, dass das Hexenweib nicht aus Versehen oder einem nichtigen Grund getötet worden war, sondern dass dahinter eine Verschwörung steckte, eine wirre Geschichte, die selbst den weisesten Elfen ein Rätsel war? Die Bestimmung, von der das Hexenweib sprach, holte mich aus meinem bedeutungslosen Dasein heraus und ich fand mich in der Rolle eines Auserwählten wieder. Ein Auserwählter, der zum König der Vereinten Völker gekrönt werden sollte. Was aber unterschied mich von allen anderen Kriegern und Magiern? War es, dass die Gottheiten über mich wachten?

      »Preston!« Die eindringliche Stimme des alten Magiers riss mich aus meinen Gedanken.

      »Verzeiht, ich war…« Ich presste die Hände gegen meine Stirn, als mich ein Schwindelgefühl überkam. Ich kippte zur Seite, wurde jedoch aufgefangen und von den Armen meiner wunderschönen Elfe gehalten. »Ihr seht erschöpft aus«, bemerkte Shania besorgt und half mir auf die Beine.

      »Mir geht es gut, ich war nur…«

      »Preston«, unterbrach mich Aran. »Ihr solltet Euch hinlegen.«

      »Nein, es geht mir gut.« Ich amtete tief durch und sah den Magier eindringlich an. »Dann ist es also wirklich wahr? Mandossar wird Dagorra angreifen?«

      Aran wechselte einen schnellen Blick mit Haren, der sich umdrehte und den Männer befahl, ihm zu folgen. Als wir alleine waren, fuhr der Magier fort. »Es ist zu früh, dies zu bestätigen, doch haben die Hohen Offiziere eingesehen, dass die Dinge sich… nicht zufällig ergeben haben. Unser König soll über Euer Schicksal entscheiden. Wir haben bereits einen Boten vorausgeschickt. Ihr werdet in den nächsten Tagen ebenfalls aufbrechen, egal was geschieht.«

      »Was aber geschieht mit mir, wenn diese Prophezeiung nicht eintrifft und der Kaiser gar nicht am Elfenvolk interessiert ist?«

      »Ihr habt uns bewiesen, dass Ihr ein erfahrener Krieger seid. Nur ungern würden wir jemanden wie Euch verlieren wollen. Ihr eignet Euch etwa für die Braunen Kutten, die Leibgarde unseres Königs. Vielleicht werdet Ihr in die Leibgarde aufgenommen und könnt in Alphradon verschiedene Schwertkünste erlernen. Oder Ihr erforscht die Hintergründe der Ermordung des Hexenweibs. Doch auch dafür müsst Ihr in unsere Hauptstadt reisen, denn auch sie war einst in Alphradon.

      Was auch geschieht, Eure Zukunft beginnt mit der Reise nach Alphradon – wo die Reise enden soll, ist Eure Entscheidung, wir werden Euch zu nichts zwingen.« Der Magier sah mir forschend in die Augen. »Und nun geht, Shania soll sich um Euch kümmern. Ihr habt eine Menge erfahren und braucht Zeit, um darüber nachdenken zu können!«

      »Die Bürger wirken beunruhigt.« Ich hielt die Zügel des Einhorns und meines Pferdes in den Händen, während Shania Vahn versuchte, die Tür einer Scheune zu öffnen. Schließlich schob sie das Tor zur Seite und nahm mir die Zügel ihres Reittieres wieder ab.

      »Haren beruft die Soldaten ein. Von einem Angriff ist derzeit noch keine Rede, doch hat sich schnell herumgesprochen, dass ein fremder Mann in unsere Stadt gekommen ist und die Hohen Offiziere seitdem ungewöhnlich angespannt sind. Auch wenn sie es nicht wirklich glauben – oder glauben wollen –, so weiß insgeheim doch jeder, dass uns ein Angriff bevorsteht.« Shania holte tief Luft, ehe sie ihr Einhorn in die Scheune hineinführte.

      Eine Weile stand ich noch auf der Straße und betrachtete die Bürger. Die Frauen eilten mit vollen Körben von den Märkten nachhause zurück. Händler, die Schuhwerk, Kleidung, Taschen oder Waffen verkauften, schienen ungewöhnlich viel Kundschaft zu haben. Jeder fühlte anscheinend instinktiv, dass eine Bedrohung in der Luft lag. In den nächsten Tagen würde etwas Ungewöhnliches, vielleicht etwas Schreckliches geschehen. Was mochte es wohl sein? Eine Schlacht? Oder eine Reise? Packtiere wurden beladen, Karren bespannt, viele rüsteten sich, die Stadt zu verlassen. Vermutlich würden sie Verwandte in den anderen Elfenstädten aufsuchen, wo es sicherer war, bis sich die Lage beruhigt hatte und Gewissheit herrschte. Gewissheit darüber, ob die Stadt Dagorra in Gefahr sei oder dem Elfenvolk etwas anderes drohe. Doch zweifellos war dieser Ort nicht mehr sicher. Wer nicht als Soldat bei den Wachen eingeteilt war oder bei der Aufrüstung der Stadtmauern und der Waffenkammern mithelfen musste, tat gut daran, seine Abreise vorzubereiten.

      Als ich Nothon in den Stall brachte, wo ich ihm den Sattel abschnallte und er frisches Heu fressen konnte, wartete die Elfe neben ihrem Einhorn. Auch sie war von der Furcht ergriffen worden, die sich in der Stadt ausgebreitet hatte.

      »Bestimmt schenken wir dieser Prophezeiung bloß zu viel Beachtung!«, versuchte ich sie zu beruhigen und trat näher an sie heran. »Wer weiß, vielleicht hat das Hexenweib alles nur erfunden, um mir ein Leben bei den Elfen zu ermöglichen? Wie sonst hättet Ihr mich in Eurer Stadt aufgenommen oder wie sonst wäre ich Euch begegnet?« Als sie mich ansah, war ich sofort wieder von ihrer überirdischen Schönheit gebannt. Wie konnte eine so wundervolle Frau ohne Mann sein?

      »Schweigt«, sagte sie leise und trat gleichzeitig etwas näher. Sie berührte den Stoff meines Gewandes und lehnte ihren Kopf gegen meine Brust. »Nicht der Zufall hat über Euer Schicksal bestimmt! Ihr seid hier, weil es der Wille der Gottheiten ist.«

      »Doch wie kann es der Wille der Gottheiten sein, dass ein Kaiser, von Macht besessen, das Elfenvolk vernichtet?«

      »Dagorra ist nur eine Stadt.« Sie hob den Kopf und sah mich an. Unsere Gesichter waren nur wenige Finger breit voneinander entfernt. »Ein Krieg der Völker würde Jahre dauern. Das ganze Land, das Westliche Reich und auch der Osten, wäre ein einziges Schlachtfeld. Doch dies würde erst der Anfang sein.«

      »Mandossar hat nicht genügend Soldaten für einen solchen Krieg!«, versuchte ich ihre trüben Gedanken zu verscheuchen.

      »Doch sein Heer ist groß genug, um unsere Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Ist erst einmal das gesamte Westliche Reich erobert, sind dem Machthunger des Kaiser keine Grenzen mehr gesetzt.«

      »Noch ist nichts geschehen!« Ich umfasste sanft Shanias Schultern. »Wir beide können den Lauf der Geschichte nicht verändern. Wir können nur leben und kämpfen, hier und jetzt.« Ich bemerkte, dass ihr Körper leicht zitterte. »Euch ist kalt, kommt, wir sollten ins Warme gehen.«

      Die Wohnstube der Elfe war direkt über dem Stall. Durch die kleinen Risse im Holzboden stieg an den kalten Wintertagen die Wärme aus dem Stall empor, wo neben dem Einhorn auch Schweine, Hühner und Rinder untergebracht waren. Die Wände waren schmucklos, aber sauber. Auch war der Boden gründlich gefegt worden. Von der Treppe führte ein Gang bis ans andere Ende des Hauses.

      »Ich habe dieses Haus von meinem Großvater geerbt. Einst wohnten hier mehrere Familien, doch da ich alleine bin und es keine weiteren Nachkommen gibt, habe ich die Hälfte des Hauses den Dienstboten überlassen. Sie kümmern sich im Gegenzug dafür um die Stalltiere und um das Haus, während ich meinen Arbeiten als Sprecherin des Offizierstisches nachkomme«, erklärte die Elfe, während wir den Gang entlanggingen. Wir kamen an einer Kammer vorbei, die direkt über der Güllegrube lag, was einen unangenehmen Gestank zur Folge hatte. »Es riecht zwar nicht sonderlich angenehm, doch ist dies eines der wenigen warmen Häuser, und es gibt sogar einen eigenen Raum zum Verrichten der Notdurft. In unseren Städten gibt es dafür gemeinschaftliche Räume und eine Kanalisation führt die Kloake zu großen Gruben außerhalb unserer Stadt, aber in der kalten Jahreszeit ist man dankbar, wenn man dafür das eigene Haus nicht zu verlassen braucht. Kommt, ich stelle uns einen Tee auf.«

      Wir saßen in der großen Wohnstube. Der Boden und die Wände waren mit dicken Teppichen und Tierfellen ausgelegt, der große Tisch, an dem wir unseren Tee tranken, stand neben einer gemauerten Feuerstelle, über der ein großes Bettgestell angebracht war.

      »Euer Schlafgemach?«, fragte ich und deutete über den Kamin.

      Die Elfe hob kaum die Augen und nickte. »Auch eine Idee meines Großvaters.«

      »Manche Bürger bevorzugen die Wärme eines anderen Körpers