»Kaum war das Bündnis geschlossen, konnte dieser eine Clan seinen Einfluss erweitern. Inzwischen kontrolliert er die gesamten nördlichen Wälder.«
»Lieber ein starker Verbündeter, den man zu beeinflussen weiß, als ein schwacher Feind«, fuhr die Elfe fort.
»Dann hattet Ihr recht.« Angst bohrte sich in meinen Körper wie die Krallen eines Renz. »Die Rejèss brauchten mich nicht weiter zu verfolgen – sie haben mich fliehen lassen, weil sie wussten, die Arasien würden mich aufspüren.«
»Vermutlich«, antwortete Marth nachdenklich. »Wie dem auch sei… Es scheint dir eine schwere Zeit bevorzustehen, Shania, Sprecherin des Offizierstisches.«
Die Elfe schien nicht minder überrascht als ich. »Was meinst du damit?«
»Der Kaiser tut sich mit einem mächtigen Arasienclan zusammen, beherrscht bald die Wälder des Nordens, wo eine junge Frau ein Kind, verborgen vor den neugierigen Blicken der Menschen, aufzieht, um wenige Jahre später durchs Reich zu ziehen und eine Prophezeiung zu verkünden. Sie spricht von einem magischen Schwert, das den Träger krönt.
Und eines Tages kommt alles so, wie sie es vorhergesagt hatte. Preston muss nun zu unserem König geleitet werden, und dies wird wohl kaum Parmun übernehmen! Du eignest dich für die Reise hervorragend, Shania Vahn. Es ist Zeit für mich zu gehen. Wir sehen uns morgen?« Er hob den Arm zum Abschiedsgruß. »Preston, es war mir eine Ehre, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben.« Dann wandte er sich um und lief die Stufen hinunter.
»Was meinte er damit? Warum eignet ausgerechnet Ihr Euch hervorragend für die Reise«, fragte ich, als der Elf verschwunden war.
»Ich stamme aus einer alten Handelsfamilie. Meine Vorväter stammen aus Alphradon, dem Königssitz. Als Sprecherin des Offizierstisches habe ich zugleich auch ein Botschafteramt inne. Kommt, Ihr habt bestimmt Hunger!«, wechselte sie das Thema und schenkte mir ein warmes Lächeln.
Erst jetzt bemerkte ich das Grummeln meines Magens. »Ja, meine letzte richtige Mahlzeit liegt einige Tage zurück.«
Wir gingen durch die Straßen zu einer kleinen Schenke, wo die Elfe um etwas Brot, Wurst, Käse und Met bat. Da man mich mit abschätzigen Blicken und drohenden Gesten aus dem Wirtshaus scheuchte, verspeisten wir das karge Mahl unterwegs. Die Elfe war von Eifer gepackt und wollte mir die Stadt zeigen, doch ich lehnte ab. »Mir scheint, als würde ich noch einige Tage Eure Gastfreundschaft genießen dürfen, doch für heute soll es genug sein. Mir ist nach Schlaf, denn die Anstrengungen meiner Flucht machen mir noch immer zu schaffen.«
»Natürlich, kommt, ich bringe Euch zu Eurer Unterkunft.« Bei der nächsten Querstraße bogen wir nach Norden ab. Die Straßen begannen sich nun langsam zu leeren, alle eilten in ihre Häuser, sperrten Tür und Fensterläden zu und begaben sich zur Nachtruhe. Die Wächter schritten in kleinen Gruppen die Hauptstraßen ab, die Späher verließen ihre Wachtposten auf den Türmen und selbst die Miliz verschwand in den Gemeinschaftshäusern.
Der Himmel verdunkelte sich rasch und schließlich erreichten wir eine kleine Scheune. Die Elfe öffnete die knarrende Tür und verschwand im Inneren.
Als auch ich eintrat, schlug mir der Duft von geschnittenem Gras und Stroh entgegen. Das Scharren von Pferdehufe auf dem erdigen Boden wart zu hören, und aus dem hinteren Teil der Scheune drang ein leises Wiehern.
»Ich hatte mich schon gefragt, wann Ihr Euch wohl erkundigen würdet«, erklang die schöne Stimme der Elfe aus der Dunkelheit.
»Erkundigen? Wonach?«
»Ihr seid nicht alleine von Hesana gekommen.«
»Oh, Ihr meint mein Pferd! Er ist ein starrköpfiger Hengst, doch bisher fand er sich immer zurecht – und es würde mich nicht wundern, wenn er bereits vor Euren Toren aufgekreuzt ist.« Vergeblich versuchte ich die Umrisse der Elfe in der Dunkelheit auszumachen.
»Ihr habt ein sehr eigensinniges Pferd! Kurz nachdem unsere Krieger Euch hierher gebracht hatten, marschierte dieser Hengst vor unserer Stadtmauer auf. Die Torwachen wollten ihn einfangen, doch es gelang ihnen nicht und Euer Hengst ist durch unsere Stadt gestürmt. Nur mit der Hilfe einiger Stallburschen und dem Charme eines weiblichen Reittiers war er zu bändigen.«
Ich musste laut auflachen. »Der Charme eines weiblichen Reittiers? Nothon konnte dem Duft einer Stute noch nie widerstehen!«
»Nein, keine Pferdestute, seht selbst!«
Die Elfe entzündete eine Kerze, schritt an mir vorbei und näherte sich einem weißen Pferd. Doch als sie die Kerze in die Höhe hielt, erschrak ich beim Anblick dieser gewaltigen Kreatur. »Das ist ein Einhorn! Ihr habt eines der Einhörner gefangen!«, schrie ich entgeistert auf.
»Ihr scheint Euch zu fürchten!«, stellte die Elfe mit sichtlicher Genugtuung fest.
»Das sind mörderische Geschöpfe! Sie sind gefährlich!« Unsicher war ich einige Schritte zurückgewichen.
»Es sind prachtvolle Geschöpfe! Nur wenige von ihnen haben überlebt. Dieses Tier gehörte einst meinem Vater, er hatte es meiner Mutter zur Hochzeit geschenkt.«
Vorsichtig näherte ich mich dem Schein der Kerze – das Tier niemals aus den Augen lassend.
Nun war ich nahe genug, um die ausgestreckte Hand vor die Nüstern dieses geheimnisumwitterten Tieres halten zu können.
»Habt keine Furcht, es ist ganz zahm.« Die Elfe nahm meinen Arm und zog ihn näher an das Einhorn heran. Vorsichtig strich ich mit den Fingern über seinen langen Kopf.
Man konnte die Anmut und Kraft des Tieres spüren. Vorsichtig griff ich nach dem Horn und meine Finger spürten unzählige kleine Einkerbungen, die von zahlreichen Kämpfen herrühren mussten.
»Dieses Einhorn war einst ein Krieger?«, fragte ich leise, als fürchtete ich, den Zorn des Tieres zu erwecken.
»Es ist ein Schlachtross«, antwortete die Elfe genauso leise und legte ihre Hand auf die meine, welche noch auf der Stirn des Einhorns ruhte. Etwas unsicher zog ich meine Hand zurück und wandte den Kopf zur Seite. Zwar war es in dem Stall beinahe stockdunkel, doch vermied ich es dennoch, der Elfe in die Augen zu blicken.
»Habt Ihr es bereits in eine Schlacht geführt?«, fragte ich, um die Situation zu überspielen.
»Nein, ich wurde zwar zur Kriegerin ausgebildet, doch konnte ich mich bislang von den Kampfhandlungen fernhalten.
»Dann werdet Ihr bald Gelegenheit haben, dies nachzuholen.« Noch ehe die Elfe antworten konnte, schnaubte ein weiteres Tier unruhig auf. »Nothon! Dachtest du etwa, ich hätte dich vergessen?« Ich lief auf meinen schwarzen Hengst zu und kaum berührte ich seine Nüstern, schob er mir den Kopf entgegen und schmiegte sich mit aller Kraft an meinen Körper.
Es war finstere Nacht, als wir ins Zentrum der Stadt ritten. Nicht selten redeten uns Soldaten oder Nachtwächter an, doch kaum erblickten sie das weiße Einhorn, stellten sie keine Fragen mehr und wichen zur Seite.
Schließlich zügelte die Elfe ihr Reittier und wartete, bis ich zu ihr aufgeschlossen hatte. »Seht Ihr die Bäume am Rande des Weges?«
Ich hob den Kopf und spähte in die Dunkelheit. Man konnte vage die Umrisse großer Eichen erkennen, die den breiten, geschotterten Weg säumten.
»Ursprünglich war dies unser Stadtgarten«, erklärte die Elfe mit gewissem Stolz. »Doch da die Stadt recht schnell anwuchs, wurde er bald zu klein und man legte größere Gärten an. So kam es, dass diese Bäume lange Zeit unbeachtet hier standen, bis einer der früheren Stadtfürsten sie zum Leben erweckte.«
»Zum Leben erweckte?«, fragte ich überrascht und zweifelnd. »Gewiss eine Elfenlegende?«
»Auch wenn es sich lächerlich anhört, doch viele unserer ältesten Bürger schwören darauf, dass es keine Legende sei. Andere wiederum halten es für ein Märchen – wie Ihr. Fest steht jedenfalls, dass in diesen Bäumen tatsächlich Magie schlummert.«
Ich