Hufschläge, die langsam näher kamen, brachten das Unterholz laut zum Knacken.
Mit einem Schlag war ich munter. Ich hielt den Atem an und lauschte. Leise hob ich den Kopf, um durch die Äste, die meinen Leib verdeckten, hindurchzuspähen, doch ich konnte nichts erkennen. Dennoch war ich mir sicher, dass sie mich aufgespürt hatten, aber wo blieben die triumphierenden Rufe oder der Befehl, mich zu ergeben?
Das Pferd gab einen mir vertrauten Laut von sich und stampfte mit den Hufen in den lehmigen Boden. Sofort war mir klar, dass kein Soldat, sondern ein alter Gefährte mich aufgespürt hatte. Ich schob das Geäst beiseite und sprang auf die Beine.
Nothon stand da, gesattelt und mit meinen Taschen bepackt. Tom hatte demnach Wort gehalten und den Hengst an den Wachen vorbei bis vor die Stadtmauern geführt.
Mit einem erleichterten Seufzen eilte ich auf den Hengst zu, der bei der ersten Witterung meines Gestanks zurückschrak und den Kopf zur Seite drehte.
Etwas beschämt betrachtete ich meine Kleidung, welche von oben bis unten beschmutzt und von kleinen Rissen durchzogen war. »Ich weiß selbst, dass ich schon einmal besser ausgehen – und gerochen – habe!«, zischte ich dem Hengst zu und zog mich in den Sattel.
Prüfend blickte ich in alle Richtungen, um mich zu vergewissern, ob wohl niemand Nothon gefolgt war, dann versetzte ich ihm einen Tritt und ritt los.
Nothon fand selbstständig den Weg zurück zum nächsten Pfad, der breit genug war, um schnell voranzukommen.
Mit einem Blick zur Sonne stellte ich fest, dass ich in der Nacht zuvor nach Nordwesten geflohen war. Nun ritten wir nach Nordosten, auf der Suche nach den verborgenen Elfen.
Es war ein mühsamer Ritt. Ständig mussten wir anhalten: Während Nothon versuchte, fremde Gerüche zu wittern, hielt ich ständig Ausschau nach weiteren Soldaten. Bestimmt hatte man bereits beim ersten Morgenlicht begonnen, die Suche nach mir wieder aufzunehmen, und ich war überrascht, dass man mich noch nicht gefunden hatte.
Gegen Mittag rasteten wir bei einem kleinen Bach, in dem ich mich wusch und meine Kleidung notdürftig sauber zu bekommen versuchte. Der Schmutz ließ sich schnell abwaschen, aber gegen den Gestank war nichts auszurichten.
Es war bereits später Nachmittag, als wir eine schmale Straße, die durch den dichten Wald führte, dahinpreschten. Der unberührte erdige Boden verriet mir, dass die Soldaten diesen Pfad nicht entlanggeritten sein konnten, was beruhigend war.
Die Sonne verschwand schon fast wieder am Horizont und würde unseren Pfad nur noch kurze Zeit beleuchten.
Müde zügelte ich den Hengst und blieb mitten am Weg stehen. Im Wald war es still geworden, nichts schien sich mehr zu bewegen, es war, als wäre man in eine leblose Gegend eingefallen.
Erschöpft streckte ich meinen Körper durch und nahm einen Schluck aus meinem Trinkschlauch, den ich am Bach aufgefüllt hatte. In diesem Moment, dem Moment der Stille, überkam mich wieder die Trauer, die ich tagsüber unterdrückt hatte. Warum musste das Hexenweib sterben? Und hatte der Mord etwas mit meinem Erscheinen in Hesana zu tun? So viele Dinge waren mir unerklärlich. Tränen schossen mir in die Augen und das anfängliche Seufzen verwandelte sich in heftiges Schluchzen. Mit zittrigen Händen griff ich nach dem kleinen leeren Beutel, der an meinem Gürtel hing, und hielt ihn vor meine Augen. Bestimmt war es Hexenkunst – oder Magie –, die dieses Beutelchen so leer erschienen ließ. Doch was hatte das alles zu bedeuten? Welche Antworten würde der Inhalt mir wohl liefern? Die Erklärung, warum sie sterben musste? Oder warum sie von meinen Träumen – und meiner sogenannten Bestimmung – wusste? Sie sprach von meinem Schwert und von der Geschichte, die an ihm haftete. Bei den Elfen, so sagte sie, würde die Geschichte beginnen, doch wo würde sie enden?
Nothon schnaubte unruhig auf und riss mich aus den Gedanken. Schnell befestigte ich den Beutel wieder am Gürtel und sah mich um. Nichts. Die Dunkelheit zwängte uns wie eine heranrückende Mauer ein, man war gefangen wie in einem Käfig, ohne jedes Geräusch oder irgendein Anzeichen von Leben. Nichts schien sich zu bewegen, kein Tier schien sich hier aufzuhalten, selbst die Baumkronen, die sich im Wind wiegten, schienen erstarrt zu sein.
Einzig die Angst war spürbar. Angst, die langsam von den Beinen über den Rücken in die Arme und in den Kopf stieg. Dieses Gefühl, dieses vertraute Gefühl, das mich nun überkam, deutete zweifellos auf etwas hin, was ein jeder Wanderer, Einsiedler, Händler oder Soldat fürchtete. Dieses Etwas waren sie, das kriegerischste Volk, sie, die keine Gnade kannten, sie, die einst als die Wächter der Wälder erschaffen worden waren: die Arasien.
Nothon reagierte, noch bevor ich es tat. Er stürmte los, als würde ein Hornissenschwarm sein Hinterteil umkreisen.
Ganz in der Nähe war es nun deutlich zu hören: ein unheimliches Geräusch, ein Brummen, ein Knurren, ein Fletschen der Zähne, ein Schlangenzischen – kaum eine Beschreibung traf auf jenes Geräusch zu, welches selbst den furchtlosesten Krieger erzittern ließ.
Und da erschienen sie zwischen den Bäumen, von allen Seiten stürmten sie herbei, die mannshohen Kreaturen, mit zackigen Schwertern bewaffnet und mit giftgelber Haut, die mit Ruß überzogen war. Die leuchtenden Augen funkelten abwechselnd in Gelb und Rot. Man sah ihnen die Gier an, Gier nach Vergeltung für all die Gräueltaten, die ihnen von Menschen und Elfen angetan worden waren.
Sie waren schnelle Läufer, selbst Nothon konnte sie nicht abschütteln. Vermutlich hatten sie uns schon von Weitem gesehen und eingekreist, denn nicht nur hinter uns und von beiden Seiten erschienen die Krieger, auch von vorne liefen sie nun auf uns zu, als würden sie die schlagkräftigen Hufe des Hengstes nicht fürchten.
Mit einem lauten Kampfruf zog ich mein Breitschwert aus der Scheide und hielt es jenen Arasien entgegen, die auf mich zustürmten. Als sie nahe genug waren, sprang ich aus dem Sattel und stieß mit meinen Füßen gegen den Kopf des ersten Angreifers.
Kaum war ich zu Boden gegangen und hatte den Arasier unter mir begraben, rollte ich mich zur Seite und schlug mit dem Schwert auf eine dieser Kreaturen ein.
Es folgte ein erbitterter Kampf, der nicht zu gewinnen war. Die Arasien waren uns um Vielfaches überlegen, sie waren ausgeruht und auf den Kampf vorbereitet. Ihre Schlagkraft war enorm, die Schwertführung präzise. In meinem Leben hatte ich schon viele Krieger getötet, doch das war nichts im Vergleich zum Kampf mit diesen Arasien. Ich wusste, wie man einen Gegner überwältigen und kampfunfähig machte, doch kostete mich hier ein gewonnener Zweikampf mehr Kraft als jeder andere zuvor.
Für einen winzigen Moment dachte ich an die Magie in meinem Körper, aber das Feuer würde diesen Gegnern kaum etwas anhaben können. Sie fürchteten die heißen Flammen nicht, und mich würde es all meine Kräfte kosten, auch nur einen Einzigen von ihnen durch Magie zu schwächen.
Bisher waren vermutlich nicht mehr als drei Arasien gefallen – und unzählige hinzugekommen, die mich nun hämisch grinsend umkreisten und mit lauten Kampfrufen einzuschüchtern versuchten. Ein kräftiger Krieger, dem ich gerade einmal bis zur Brust reichte, trat vor und schlug mit seiner breiten Doppelaxt auf mich ein.
Ich verfiel in Panik, meine Schläge fielen schwach und ungenau aus. All die Kraft, die mir noch geblieben war, setzte ich ein, um den Axthieben auszuweichen und einen günstigen Moment abzuwarten, in dem der Arasier ohne Deckung sein würde. Dann holte ich geschwind aus und schlug zu, doch das Schwert zitterte in meinen Händen, und sogleich umfasste ein Krieger mit seiner linken Pranke die Klinge und das Schwert und riss sie mir mit einem Ruck aus der Hand.
Verzweifelt griff ich nach meinem Rückenschwert, zog es aus der Scheide und stach auf den Arasier ein, der breitbeinig vor mir stand. Die Klinge bohrte sich in seinen Brustpanzer, doch der Arasier zeigte keine Spur von Schwäche oder schrie vor Schmerz auf, wie es ein Mensch getan hätte. Er sah mich lediglich mit seinen leuchtenden rot-orangen Augen an und grinste. Die anderen fielen in das Gelächter ein und schienen sich nicht weiter um mich zu kümmern.