Klangvolle Stille. Julian Schwarze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Schwarze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902901354
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mir auf den Fersen.

      Pfeile pfiffen an mir vorbei. Glücklicherweise konnten die Schützen mich genauso schlecht ausmachen wie ich sie, und so waren die Geschosse unpräzise und verfehlten mich.

      Inzwischen hatte ich die Orientierung vollkommen verloren. Von allen Seiten hörte ich Rufe, Soldaten hatten die umliegenden Häuser erklommen und schossen mit Pfeilen auf mich.

      Plötzlich wurde ich der brennenden Fackeln gewahr, die unweit von mir die Stadtmauern beleuchteten. Mit letzter Kraft wählte ich eine neue Route und versuchte auf die höchsten der an die Stadtmauer angrenzenden Häuser zu gelangen.

      Das Ziel war nahe, und mir war, als könnte ich die Freiheit förmlich riechen, sie fühlen, als ob sie ihre Arme ausstrecken und nach mir greifen würde, nur noch wenige Häuser trennten mich von ihr, als plötzlich ein Surren die Luft durchschnitt und mir ein brennender Schmerz durchs Bein schoss.

      Ein Pfeil hatte meinen rechten Oberschenkel getroffen. Der Schmerz durchfuhr mich bei jedem Schritt, als würde ich durch die lodernden Flammen eines Feuers schreiten. Schließlich versagte mir das Bein und ich stürzte nach vorne und schlug mit dem Gesicht hart gegen die Holzschindeln des schrägen Dachs. Sofort schmeckte ich das Blut, das aus der aufgeplatzten Lippe floss. Auch am Kopf musste ich mich aufgeschlagen haben, denn ein warmes Rinnsal lief mir über Stirn, Wange und Kinn.

      Meine Verfolger waren bereits ganz nah, ich konnte ihre Stimmen hören, ihre Fackeln sehen, das Aufblitzen der Schwertklingen erkennen.

      Plötzlich tauchte das Hexenweib vor meinen Augen auf, wie eine Gestalt aus einem Traum. Sie sah mich auffordernd an. »An deinem Schwert haftet eine Geschichte. Jene Geschichte, die bei den Elfen beginnt.«

      Dann war sie wieder verschwunden, aber mit einem Mal fühlte ich eine Kraft, die den Schmerz verdrängte und mich auf die Beine zwang. Mit einem entschlossenen Griff brach ich den Pfeil, der mein Bein durchbohrte, entzwei und zog die beiden Hälften aus dem Oberschenkel.

      Und wieder fühlte ich die magische Kraft durch meinen Körper strömen. Ich lief zum nächsten Dach, sprang über die Gasse zwischen den beiden Häusern hinweg und erreichte die kalte Fassade der Stadtmauer. Erst in diesem Moment kam mir der Gedanke, dass es mir unmöglich sein würde, die Mauer zu erklimmen. Die Steine waren sauber mit Mörtel abgedichtet und es gab kaum einen Spalt, an dem man sich festkrallen konnte. Zugleich waren meine Verfolger schon bis zum letzten Haus vorgedrungen, wagten jedoch nicht den Sprung über die Gasse.

      Bögen wurden gespannt, und als ich mich umdrehte, schossen bereits unzählige Pfeile auf mich zu.

      Doch jeder Pfeil, der mich treffen und töten hätte sollen, flammte in einem roten Schein auf und verglühte, ehe er meinen Körper erreichte. Die Magie, die nun aus meinem Inneren herausgetreten war, umhüllte mich wie ein undurchdringlicher Panzer.

      Obwohl ich wusste, dass ich über Magie verfügte und mein Blut sich wie Weinbrand entzünden konnte, hatte ich noch nie zuvor eine solche Kraft gespürt. Oder war dies doch der Einfluss der Gottheiten, die über mich wachten?

      Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Ich starrte in die verblüfften Gesichter der Soldaten, die erneut nach Pfeilen griffen, welche allesamt sofort aufglühten, kaum dass sie abgefeuert waren.

      Ich wandte mich zur Mauer und tat einen Sprung in die Höhe. Kaum hatten meine Füße die Haftung zum Dach verloren, war mir, als ob eine unsichtbare Hand meinen Körper emporkatapultierte, sodass ich leichtfüßig auf den Zinnen der Stadtmauer landete.

      Sogleich sprangen mit Schwertern bewaffnete Soldaten auf mich zu. Ich griff nach meinem Breitschwert und schlug jeden Angriff gezielt zurück.

      Die meisten der Wachen waren im Kämpfen ungeübt, da es kaum je ein Bürger wagte, sich mit ihnen anzulegen. Zudem löste die Vorstellung, gegen einen Magier anzutreten, zusätzliche Verunsicherung aus, und so fielen ihre Attacken ungezielt und schwach aus.

      Mein Schwert durchstieß bereits den Körper des dritten Soldaten, als Paladine des Kaisers im Schein der Fackeln erschienen. Die Paladine gehörten zwar dem Heer an, doch waren sie ebenso wie die Rejèss und die Blutigen Schneiden ausgezeichnete Schwertkämpfer.

      Ich griff nach der Fackel, die mir am nächsten war, und warf sie über die Mauer, um die Höhe des Walls abschätzen zu können. Als die Fackel zischend im dreckigen Gewässer des Stadtgrabens erlosch, verbarg ich mich unter meinem Umhang und verschmolz so mit der Dunkelheit, bevor ich mich – unbeachtet von den Soldaten – in die Tiefe stürzte.

      Mit einem lauten Klatschen verschwand ich im übel riechenden Wasser und versuchte mich tauchend so weit wie möglich von der Stelle wegzubewegen. Die Zähne aufeinandergepresst, riss ich die Augen auf und sah mich um. Über mir loderte die Wasseroberfläche mehrmals hell auf, als Fackeln von der Mauer herabfielen.

      Es war ein Tauchgang voller Qualen. Meine Augen brannten, die Gliedmaßen schmerzten, das Übelkeitsgefühl war unerträglich. Schließlich zog ich meinen Kopf wieder aus dem Wasser, holte tief Luft und schwamm zum Rand des Grabens, um mich dort ans Ufer zu ziehen.

      Kaum spürte ich festen Boden unter meinen Füßen, begann ich zu laufen und versuchte den brennenden Pfeilen, welche unweit von mir im feuchten Gras einstachen, zu entkommen.

      So schnell ich kannte, durchquerte ich die offene Landschaft und hielt auf den Wald zu, der sich im Mondlicht abzeichnete.

      Inzwischen hatte man das Stadttor geöffnet und Reiter ausgeschickt, die nun die Verfolgung aufnahmen.

      Da ich außer Reichweite der Feuerpfeile war und mein schwarzer Umhang mich in der Dunkelheit fast unsichtbar machte, mussten die Reiter mühevoll nach meinen Spuren suchen.

      Endlich hatte ich den Wald erreicht, wo ich mich durch das dichte Geäst der Sträucher kämpfte. Für einen kurzen Moment hielt ich inne und starrte auf die Ebene hinaus, wo sich die Reiter, mit Fackeln, Bögen, Speeren und Schwertern ausgerüstet, sammelten und Richtung Wald ausschwärmten.

      Kaum hatte ich etwas verschnaufen können, da stieg wieder Übelkeit in mir auf und ich musste mich mehrmals übergeben. Der Gestank der Kloake aus Abwässern und allen möglichen Abfällen würde sich kaum noch aus meiner Kleidung herauswaschen lassen.

      Als ich mich der letzten Nahrungsreste entledigt hatte, hastete ich weiter.

      Die Reiter konnten es nicht riskieren, mit ihren Fackeln einen Waldbrand auszulösen, und so konnte ich etwas Vorsprung gewinnen. Doch war es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis die Soldaten ihre Bluthunde auf mich hetzen würden, oder – was ich noch mehr befürchtete – die Hetzer ausschickten. Die Hetzer, wie mir vor ihnen graute! Man sagt, es seien die Seelen jener Männer, die durch ihre grausamen Taten zu Lebzeiten im Tode auf Ewigkeit verflucht waren. So ritten sie auf toten Tieren, welche durch den Fluch – oder durch Magie – zum Leben erweckt worden waren. Zwar unterstanden sie nur den Blutigen Schneiden und nicht dem Kaiser, doch handelten die einstigen Leibwächter des Kaisergeschlechts – und Vorgänger der Rejèss – stets im Sinne Mandossars.

      Die Hufschläge der Pferde waren vollkommen verstummt. Die Fackeln waren längst hinter den Bäumen verschwunden und es umgab mich nur noch die Finsternis der Nacht. In regelmäßigen Abständen blieb ich stehen und lauschte in den Wald hinein, doch nirgends war das Kläffen der Hunde oder Geheule der Hetzer zu hören.

      Und so marschierte ich weiter, in der Hoffnung, mich mit jedem Schritt weiter von der Stadt entfernen zu können.

      Müdigkeit drohte mich zu übermannen, und die Trauer um das Hexenweib legte sich wie ein dunkles Tuch über meinen Geist, hielt ihn gefangen und ließ ihn an nichts anderes mehr denken.

      Es dämmerte bereits, als mein Magen zu knurren begann, meine Beine mich kaum noch einen weiteren Schritt tragen würden und die Augen halb geschlossen waren. Ich war zu müde, um mich nach einem sicheren Versteck umzusehen – obwohl ich wusste, dass bei Tagesanbruch die Soldaten auf ihren Rössern den gesamten Wald durchkämmen würden.

      Schließlich gelangte ich zu einem Bach, der sich leise plätschernd seinen Weg durchs Flussbett bahnte, das von Unwettern, die vor nicht allzu langer Zeit