Mit einem Schlag fühlte ich mich trotz meiner Kräfte, meiner Schwertkünste, meiner Magie und meiner Erfahrungen machtlos. Wie ein kleines schutzloses Kind stand ich nun da, das versuchte, mit einem Holzschwert einen steinernen Wall zu Fall zu bringen.
»Wenn dir die Truppen des Kaisers gefolgt sind, werden sie dich bis hierher verfolgen können! Du musst sofort aufbrechen, bei Tagesanbruch wird die Stadt voller Soldaten sein, und sie werden die Tore streng kontrollieren. Lass deine Satteltaschen in der Truhe, ich lass dein Pferd satteln und schicke morgen jemanden, der es bis vor die Stadtmauern führt.«
Zweifelnd sah ich den Wirt an. Gewiss fürchtete er um seine eigene Haut, war ich doch eine große Gefahr, wenn ich blieb, doch konnte ich ihm trauen? Andererseits konnte ich tatsächlich nicht zusammen mit dem Pferd fliehen.
»Wie viel wird es mich kosten?«
»Gar nichts. Da die beiden Auftragsmörder ihre Arbeit ausgeführt haben, aber nicht zurückkommen können, um ihren Lohn einzufordern, ist es ein gutes Geschäft für mich gewesen.«
»Wie kannst du mir trauen, dass ich auch wirklich die beiden Richtigen getötet habe?«
»Die Furcht steht dir ins Gesicht geschrieben, außerdem bezweifle ich…«, abrupt hielt er inne und lauschte. Männer hatten eben die Wirtsstube betreten und einer von ihnen rief nun laut nach dem Wirt. Die Stimme gehörte zweifellos einem Soldaten.
»Verschwinde von hier«, flüsterte Tom mir zu. »Und schwöre, dass du nie mehr hierher zurückkommst! So will ich dein Pferd satteln und vor die Stadtmauern bringen lassen.«
Ich willigte mit einem Nicken ein und versteckte mich hinter ein paar Kisten, als auf der Treppe oben der Schein einer Fackel erschien und auf den Stufen Schritte zu hören waren.
»Ich komme ja schon! Was, bei all den Gottheiten, ist hier los?«, rief Tom mit gespielter Verärgerung.
»Bist du der Wirt?«, fragte eine polternde Stimme.
»Ja, wer will das wissen?«
»Wir sind Soldaten des Kaisers. Ein Verbrecher hat sich hier versteckt – was machst du eigentlich da unten im Keller?«
»Ein Verbrecher?« Tom tat schockiert. »Aber, aber«, fuhr er tadelnd fort, »wenn Ihr jedes Mal so viel Aufruhr wegen eines einzelnen Verbrechers verursacht, verscheucht Ihr mir die ganze Kundschaft! Ihr wisst ja selbst, wie viele Verbrecher in diesem Viertel leben – da würde es für einen Wirt wie mich den Ruin bedeuten, wenn ich den Gästen unangenehme Fragen stelle.« Er setzte das Fass ab und wischte sich mit dem Tuch über die Stirn. »Was ich hier gemacht habe?«, brummte er. »Ich habe den Jungen gesucht – Ihr habt selbst gesehen, welch Betrieb heut’ herrscht, und wir kommen mit dem Einschenken nicht nach. Der Bursche – Arasis möge ihn bestrafen – schläft sich hier ab und zu den Rausch aus… aber diesmal ist er nicht anzufinden. Hätte ihm auch eine ordentliche Tracht Prügel eingebracht. Wenn ich das nächste Mal…«
»Schon gut, schon gut!« Der Soldat war inzwischen heruntergekommen und warf einen Blick in den düsteren Raum. Ich presste mich gegen eine der Kisten und flehte, er möge nicht noch weiter herumsuchen.
»Ich bin mir sicher, das Problem mit diesem… Verbrecher lässt sich gewiss mit einer Flasche edlen Tropfens aus der Welt schaffen.« Der Wirt klopfte dem Soldaten auf die Schultern und griff ins nächste Regal, um eine verstaubte Flasche hervorzuholen.
»Wir suchen keinen kleinen Gauner, der beim Würfelspiel betrügt! Behalte deinen Wein, und sieh zu, dass dir die Namen deiner Gäste wieder einfallen.«
Es folgte kurzes Schweigen, von meinem Versteck aus konnte ich nicht erkennen, was los war, bis Tom wieder das Wort ergriff. »Wenn selbst der edelste Tropfen den hart arbeitenden Soldaten nicht ablenkt, so müsst Ihr wahrlich hinter einem dicken Fisch her sein.«
»Mir scheint, du hast einen ganzen Teich voller Fische.«
»Gewiss doch, aber in meinem Teich schwimmen nur die kleinen Fische.« Der Wirt hob das Bierfass wieder auf die Schultern und schritt die Stufen empor. »Kommt, ich muss in den Papieren nachsehen, doch soweit ich weiß, nächtigt derzeit nur ein Ehepaar in meinem Haus«, rief er laut genug, dass auch ich die Worte verstehen und deuten konnte.
Sobald der Soldat dem Wirt in die Wirtsstube gefolgt war, schlich ich ebenfalls die Treppen hoch und lugte in die verrauchte Stube. Tatsächlich standen fünf Soldaten inmitten des Raums und hielten die Gäste unter ständiger Beobachtung, während der Wirt das Fass auf den Tresen stellte und dem Befehlshaber der Soldaten einen Wink gab, ihm zu folgen. In einem unbeobachteten Moment huschte sein Blick noch schnell zu mir herüber, dann blieb er stehen und sah mit genervter Miene die Soldaten an.
»Aber bitte, muss das sein? Die Männer ruinieren die ganze Feierstimmung! Ist das denn notwendig?«, klagte er. Der Befehlshaber seufzte und scheuchte seine Männer mit einem ungeduldigen Wink hinaus. Der Wirt zeigte sich hocherfreut und rief sein Weib zu sich. »Matilde, schenk doch unseren lieben Freunden von der Stadtwache etwas ein. Sie haben hart gearbeitet und sollen draußen in der Kälte nicht vor Durst umkommen!«
Kaum war die Frau den Soldaten mit den Bierkrügen nachgefolgt, setzte auch schon wieder die Feierlaune der Gäste ein und man bestellte Nachschub. Tom war inzwischen mit dem Soldaten ans andere Ende des Zimmers gegangen und stöberte in verschiedenen – gefälschten – Aufzeichnungen.
Schnell huschte ich ins Obergeschoss hinauf, wo ich gebückt den Gang bis zur letzten Tür entlangeilte, die zur Wendeltreppe führte. An den Abdrücken in der Staubschicht auf den Stufen konnte ich erleichtert feststellen, dass nach mir niemand mehr die Wendeltreppe emporgestiegen war – und mich somit auch niemand erwarten würde.
Als ich in meinem Zimmer war, schloss ich die Truhe auf, band mir das Rückenschwert und die Messer um, packte die Taschen zusammen und sperrte sorgfältig wieder ab. Den Schlüssel zur Truhe hängte ich auf den einzigen Kleiderhaken, der hoch genug angebracht war, um im spärlichen Licht nicht weiter aufzufallen.
Dann öffnete ich das kleine Fenster und kroch leise ins Freie. Als ich auf das Dach des Nebengebäudes hinüberkletterte, um mich dort hinter einem Kamin zu verstecken und mir einen Überblick zu verschaffen, nahm ich die lauten Rufe der Soldaten wahr. Ihre Fackeln waren in der ganzen Stadt zu sehen, vor allem im Südwesten, wo noch immer das von mir entfachte Feuer wütete. Erstmals gelang es mir, alles Geschehene zu überdenken. Wenn es tatsächlich stimmte, was der Wirt erzählte – und davon ging ich aus –, dann hatte der Kaiser die Ermordung des Hexenweibs so in die Wege geleitet, dass auf ihn selbst kein Verdacht fallen würde. Zum Zeitpunkt des Attentats hatten die kaiserlichen Truppen – die bekanntlich nicht mit den Rejèss zusammenarbeiteten – das Zimmer der Hexe gestürmt und die Mörder verfolgt. Wie hatten sie davon erfahren? Wer steckte hinter all dem? Oder sollte alles nur eine Falle sein und man wollte mir den Mord anhängen – doch wer konnte gewusst haben, dass ich das Hexenweib ausgerechnet an diesem Tag aufsuchen würde – schließlich hatte Tom von dem Mordauftrag bereits vor meiner Ankunft erfahren…?
Schmerz und Trauer lasteten schwer auf mir, und es wurde mir bewusst, dass ich die Tat nicht rächen können würde. Die Leibgarde des Kaisers war zu mächtig, um sich mit ihr anzulegen. Die Soldaten hielten mich für den Mörder und Brandstifter und der Kaiser selbst war weit entfernt in der Hauptstadt Elena.
Rufe rissen mich aus meinen trüben Gedanken und ich sah zur Straße hinunter. Mehrere Soldaten stürmten nun das Wirtshaus, einige blickten sogar zum Dach empor, als würden sie mich dort vermuten.
So schnell ich konnte, huschte ich in geduckter Haltung weiter zum nächsten Dach.
»Er ist dort oben! Ich habe ihn gesehen!«, erschallte die Stimme eines Soldaten. Nun zählte jeder Augenblick. Ich achtete nun nicht mehr auf meine