Klangvolle Stille. Julian Schwarze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Schwarze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902901354
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Sie hielt plötzlich inne und starrte zum Fenster hinaus, als würde sie dort jemanden vermuten.

      »Was ist…?« – »Sei still!«, zischte sie und trat näher an das Fenster heran.

      Ein Surren erklang, danach schien alles still zu stehen, und während ich nachgrübelte, wo ich dieses Geräusch denn schon gehört haben mochte, schrie das Hexenweib auf, doch es war kein schriller Schrei, es war ein erstickendes Röcheln.

      Mit einem Schlag wurde mir bewusst, was das für ein Geräusch war! Ein Pfeil kam durchs Fenster geschossen und traf das Hexenweib am Hals. Von der Wucht des Geschosses wurde sie zurückgeworfen, wobei sie sogleich von einem weiteren Pfeil durchbohrt wurde. Blut befleckte mein Gesicht. Das warme Rot brannte auf meinen Wangen wie Feuer und tausend Messerstiche.

      Das Hexenweib fiel – fiel zurück in das Bett, in dem sie so viele Männer beglückt hatte. Blut floss aus der Wunde an ihrem Hals, bahnte sich den Weg zwischen ihren Brüsten und färbte den Stoff ihres Kleides tiefrot. Ein dritter Pfeil durchstieß ihren Unterleib. Noch immer stand ich regungslos vor ihr, die Arme ausgestreckt, um sie zu halten, doch sie entglitt meinen Händen. Ihr Mund war halb geöffnet, die Augen weit aufgerissen. Sie streckte die bereits kraftlosen Finger nach mir aus.

      Verzweifelt stürzte ich mich auf sie, umfasste ihren Kopf, betastete die Wunde an ihrem Hals. Ich konnte all dies nicht fassen! Warum? Warum sie? Warum jetzt?

      »Mein Werk ist getan.« Mit ihrem letzten Atemzug hauchte sie diese Worte und schwand danach mit einem friedlichen Blick und einem nahezu glücklichen Lächeln in meinen Armen dahin.

      Lautes Poltern erklang am Gang vor dem Zimmer. Ich zählte die Schritte vierer Männer, die – dem metallenen Klang zufolge – vermutlich alle bewaffnet waren.

      Mit einem schnellen Satz war ich beim Fenster, wo ich im letzten Schein der Sonne die Umrisse zweier Gestalten erkennen konnte, die mit Bögen und Köchern das Weite suchten.

      So schnell ich konnte, war ich aus dem Fenster und auf das Dach geklettert, von wo aus ich zum Nachbarhaus hinübersprang.

      Die vier Männer waren mir bereits auf den Fersen und erklommen eine Leiter, die von den Dächern zur Straße hinunterführte.

      Die Holzhäuser in diesem ärmlichen Wohnviertel waren eng aneinandergereiht und man konnte so mühelos von Dach zu Dach springen.

      Hinter mir waren die Rufe der Soldaten zu hören, die das Zimmer, in dem das Hexenweib in einer Blutlache lag, gestürmt hatten. Inzwischen war ich zu jener Stelle gekommen, von wo aus die Pfeile abgeschossen worden waren.

      Noch nie zuvor war ich so schnell über Dächer gesprungen oder Leitern hinabgestiegen. Ich bahnte mir einen Weg durch die Menschenmenge und jagte den flüchtenden Mördern hinterher, die brutal jeden beiseite drängten, der sich ihnen in den Weg stellte.

      Männer, die Waffen bei sich trugen und nicht in den Rüstungen der Stadtwachen und Soldaten steckten, erregten mehr Aufmerksamkeit als ein Fremder, der mit Blut befleckt war – was allerdings im Dämmerlicht nicht so deutlich sichtbar war.

      Hinter mir konnte ich die Schritte und warnenden Rufe der Soldaten hören – aber ich bezweifelte, dass sie dasselbe Ziel verfolgten wie ich.

      Den beiden Männern gelang es trotz ihres Vorsprungs nicht, mich abzuschütteln, im Gegenteil, da die Soldaten dicht hinter mir waren, wichen die Leute rasch zur Seite und boten mir somit die Möglichkeit, schneller voranzukommen.

      Ich sah die beiden Schurken von der Hauptstraße in eine menschenleere Gasse abbiegen und konnte ihnen gerade noch rechtzeitig folgen, um zu erkennen, dass sie in eine andere Nebengasse verschwanden.

      Meine Verfolger schienen sich aufgeteilt zu haben, da das Klirren der Schwerter und Rüstungen nicht mehr so laut zu hören war. Auch war die Gasse nicht breit genug, als dass mehr als zwei Mann nebeneinander laufen konnten.

      Die beiden Männer vor mir schienen sich im Gewirr der Gassen und Wege gut auszukennen und wechselten häufig die Richtung, doch ihre lauten Schritte, die von den Mauern der Häuser widerhallten, verrieten mir stets ihren Fluchtweg.

      Plötzlich war nichts mehr zu hören. Ich eilte das letzte Stück einer schmalen Gasse entlang, die schließlich in einen kleinen Platz mündete, von dem kein weiterer Weg fortführte. Für einen Moment befürchtete ich, die beiden Männer verloren zu haben, als hinter mir die Rufe der Soldaten erschallten und ich zur nächsten Scheune eilte, um mich dort zu verstecken.

      Kaum hatte ich das Scheunentor zugezogen, konnte ich hören, wie der erste der Soldaten laut keuchend stehen blieb.

      Finsternis umgab mich. Ich war in einem Meer aus Schatten und Dunkelheit gefangen. Leise schlich ich über den mit Stroh ausgelegten Boden zur Wand, um mich dort niederzukauern.

      Draußen waren immer noch die Stimmen der Soldaten zu hören. Sie berieten sich kurz und begannen dann die angrenzenden Häuser und Scheunen zu durchkämmen.

      Der Duft von Heu stieg mir in die Nase und ich folgte diesem Geruch, bis ich den Schatten eines großen Haufens vor mir liegen sah, in dem ich mich schnell versteckte.

      Doch nun nahm ich noch einen weiteren Geruch wahr, es war der Gestank von Schweiß, gemischt mit jenem, den man aus den Gerbereien kannte.

      Angst stieg in mir auf. Ich hielt verzweifelt den Atem an und lauschte. Anfangs konnte ich nur mein laut hämmerndes Herz hören, aber war da nicht auch noch das Hämmern eines zweiten Herzens? Ich begann sachte herumzutasten und berührte den Stoff eines Mantels, der den weichen Körper eines Menschen umhüllte.

      Plötzlich fühlte ich mich schwach, Schweiß trat aus all meinen Poren, meine Hand zitterte, die Muskeln spannten sich an, doch bevor ich etwas sagen oder tun konnte, wurde die Tür der Scheune mit einem lauten Krachen aufgestoßen und Soldaten stürmten mit Fackeln in den Händen herein.

      Nun war es an der Zeit zu kämpfen. Ich hatte schon nach meinem Schwert gegriffen, war bereit, aufzuspringen und die Gestalt neben mir anzugreifen, doch seltsamerweise verharrte ich weiter reglos in meinem Versteck. Es war nicht Angst, die mich dazu trieb, sondern vielmehr meine Vernunft, die mir eingab, dass ich mich besser ruhig verhalten solle.

      Die Soldaten wechselten ein paar Worte, fluchten vor sich hin und verließen die Scheune, nachdem sie jeden Schlupfwinkel abgesucht hatten.

      Kaum waren die Soldaten außer Hörweite, sprang der Mann neben mir aus seinem Versteck und warf ein Messer, das nur um Haaresbreite an meinem Kopf vorbeizog.

      Geschwind sprang ich rückwärts, rollte mich über den Boden und zückte sogleich mein Breitschwert, um den nächsten Angriff zu parieren.

      Es folgte ein schneller Schlagabtausch. Mir wurde sofort bewusst, dass mein Gegenüber ein geübter Kämpfer war, und seine Vermummung ließ darauf schließen, dass er im Auftrag von jemandem gehandelt hatte.

      Vom Heuboden, der über der Scheune lag, sprang eine weitere Gestalt herab, die mich mit einem Kurzschwert von hinten angriff.

      Ich wich seitlich aus und zog mit einer geübten Bewegung mein langes Messer, welches ich am Gürtel trug. Mit beiden Klingen bewaffnet griff ich nun die zwei Vermummten an, um bald darauf herauszufinden, dass sie mir in der Schwertkunst ebenbürtig waren und einzig die Ausdauer über den Sieg entscheiden würde – doch da ich alleine war, die Müdigkeit der letzten Tage sich bemerkbar machte und ich auf keinen Kampf eingestellt gewesen war, zweifelte ich nicht daran, schlussendlich der Unterlegene zu sein.

      Mir war klar, dass ich sie mit dem Schwert nicht besiegen können würde, und plötzlich stieg eine unbändige Wut in mir auf. Beinahe hatte ich vergessen, was der Grund für diese Verfolgungsjagd war, aber nun wurde er mir schlagartig wieder bewusst: Dies hier waren die Mörder des einzigen Menschen, der mir je wirklich nahe stand.

      Mit der Wut schien auch mein Blut erneut aufzuwallen – genau genommen war es nicht nur das Blut, sondern die Magie, die in meinen Adern floss.

      Jeder der folgenden Schläge war von ungeheurer Wucht. Es gelang mir, die beiden Angreifer zurückzudrängen, doch ich wollte sie brennen sehen,