Mit schnellen Schritten eilte ich von diesem Ort fort. All dieser Hass auf andere Völker führte zu ständigen Kämpfen und Überfällen. Wenn die Menschen die Arasien derart behandelten, wunderte es mich nicht, dass diese eine Siedlung angegriffen hatten.
Ich gelangte zum Hauptplatz, in dessen Mitte ein großes Podest stand. Mehrere Zimmermänner waren gerade dabei, einen Galgen aufzustellen, während zwei kräftige Burschen einen ungefähr hüfthohen blutdurchtränkten Baumstumpf anschleppten, an dessen Seite ein Brett mit halbrundem, halsbreitem Ausschnitt angebracht war. Folglich waren für den morgigen Tag gleich mehrere Hinrichtungen vorgesehen.
Ich nahm die erste Straße, die von dem Platz weg in westliche Richtung führte, wo sich das Hurenviertel befand.
Ich musste nicht weit gehen, als auch schon ein junges Weib mit offenem lockigen Haar und einem Kleid, das nur leicht zugeschnürt war, auf mich zukam. Sie grinste mich auffordernd an und entblößte dabei ihre schief stehenden Zähne.
Nachdem ich sieben Straßendirnen abgewiesen hatte, kam keine weitere mehr auf mich zu, denn wer sieben abweist, der sucht entweder nach einer bestimmten oder einem bestimmten.
Inzwischen war ich zur Straße des Vergnügens gelangt, wo ein jedes Haus ein Bordell war und eine jede Frau – sofern sie nicht in teuren, geschlossenen Kleidern steckte und das Haar unter einer Haube zusammengebunden hatte oder in Begleitung eines Mannes war – zur Verfügung stand. Dies war das Paradies für einen jeden Freier, hier tummelten sich unzählige junge Mädchen, die kaum dem Kindesalter entwachsen waren, hier wurde man für die Gewaltanwendungen an den verstümmelten Frauen nicht bestraft und hier war man vom ehelichen Treuegelübde entbunden.
Entschlossen schritt ich auf eines der älteren Mädchen zu. Als sie meinen Blick auffing, lächelte sie mich an, fuhr sich verführerisch mit den Fingern durchs Haar und ließ die andere Hand über ihre Rundungen gleiten, die unter der eng geschnürten Bluse deutlich sichtbar waren. Ich schenkte ihr auch ein Lächeln, nahm ihre Hand, führte sie an meinen Mund und küsste sie, wie es unter den wohlhabenden Edelmännern Brauch war. Als die Dirne die Hand wieder zurückzog, umklammerten ihre Finger die Kupfermünze, die sie unauffällig in ihre Tasche gleiten ließ. Sie ließ sich nichts anmerken, woraus ich schlussfolgerte, dass sie die Geste verstanden hatte. »Ich bin auf der Suche nach einer Frau«, sagte ich leise.
»Deshalb kommt ihr Männer doch her!«, hauchte sie mit lasziver Stimme.
»Gewiss.« Ich räusperte mich. »Die Frau, die ich suche, ist jedoch als das Hexenweib bekannt.«
Schlagartig verfinsterte sich das Gesicht der Hure. Nicht bloß hatte sie eben einen Kunden verloren, er fragte auch noch nach ihr. »Ich weiß nicht, wen Ihr meint.«
»Sie betreibt vermutlich ein Bordell in dieser Straße, und bestimmt hast du von ihr gehört.«
»Es tut mir leid, doch ich kann Euch nicht weiterhelfen.« Sie schickte sich an zu gehen, als ich sie am Handgelenk fasste und zurückzog.
»Sie ist eine Bekannte von mir. Ich bin mir sicher, ein weiteres Kupferstück wird deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen.«
»Drei!«
Ich griff in meine Tasche und gab ihr das Geld. Mit einem schnellen Blick vergewisserte sie sich, dass uns keiner beobachtete, und ließ die Kupferstücke in ihrem Kleid verschwinden. »Wenn Ihr der Straße nach Süden folgt, so ist zu Eurer Rechten ein Haus mit roten Fensterläden. Dort lebt ein altes Weib, das die Soldaten als Hexe bezeichnen.«
»Hab Dank!«
»Ihr solltet dort nicht hingehen, sie ist… sonderbar.« Ihr Blick wirkte besorgt.
»Das war sie schon immer.« Der sanfte Tonfall meiner Stimme schien sie zu beruhigen, schließlich zuckte sie mit den Schultern und strich mir mit der Hand über die Wange. »Wenn ich etwas für Euch tun kann, so lasst es mich wissen!«
»Heute nicht, danke. Wie ist dein Name?«
»Die meisten nennen mich Resa.«
»Vielleicht begegnet man sich ja aus einem anderen Anlass wieder. Einen schönen Tag noch, Resa.« Ich winkte ihr zum Gruß und eilte die Straße weiter. Zum einen war ich überrascht, wie schnell – und einfach – ich den Aufenthaltsort des Hexenweibs in Erfahrung gebracht hatte, zum anderen wunderte es mich, dass die Dirne überhaupt bereit gewesen war, über die Hexe zu sprechen. Ich glaubte ihren Worten, ihre Augen sprachen die Wahrheit, es sei denn, sie war durch und durch verlogen, was bei einer wie ihr nicht undenkbar war.
Tatsächlich befand sich ein Haus mit roten Fensterläden am Ende der Straße. Das Gemäuer machte einen schlechten Eindruck, der Mörtel des unteren Stockwerks war herabgebröckelt, das Holz, aus dem die beiden oberen Stockwerke gebaut waren, bog sich in alle Richtungen, war teils von undefinierbarem Grün überzogen und durchnässt von den Regengüssen der Wochen zuvor.
Als ich die Tür, die aus den Angeln gerissen war, aufschob, kam mir ein modriger Gestank entgegen. Der Boden war mit einem roten Teppich ausgelegt, der einst prächtig geleuchtet und Kunden angelockt haben mochte, nun war jedoch nur noch ein zerschlissener, mit Löchern durchsetzter Bodenbelag übrig geblieben. An den Wänden konnte man die Umrisse eines dicken Vorhanges und hinter Wandschirmen verborgene Kerzenhalterungen ausmachen.
Im spärlichen Licht, das durch die Fensterläden fiel, tappte ich die knarzenden Stufen hinauf und sah mich im Obergeschoss um. Vom Gang führten fünf Türen weg. Hinter der einen oder anderen war das lüsterne Stöhnen von Freiern zu vernehmen.
»Ein neuer Kunde?« Erschrocken riss ich den Kopf herum und sah eine Frau lautlos die Treppe vom zweiten Obergeschoss herunterkommen. Sie trug ein ausladendes schulterfreies Kleid, das über der Brust mit ein paar Schnüren zusammengehalten war. Die Wangen und nackten Schultern waren von prächtigen dunklen Locken umrahmt. Ihre haselnussbraunen Augen, die von unzähligen kleinen Fältchen umgeben waren, leuchteten im schummrigen Licht.
»Aber das ist doch… Preston, du bist es wirklich!« Gebannt starrte mich das Hexenweib an, die Hand vor die Brust gehalten. Kurz huschte ein Lächeln über ihre Lippen, das jedoch gleich wieder einem sorgenvollen Blick wich. »Ich hatte dich gebeten, den Städten fernzubleiben.«
Ich schwieg. Wie sehr sehnte ich mich danach, hinzulaufen und sie in meine Arme zu schließen, doch ihre Augen, den Tränen nahe, schienen mir Enttäuschung auszudrücken. Wie sehr hatte ich sie vermisst, und nun stand sie mir so abweisend gegenüber.
»Komm, hier oben können wir ungestört reden«, sprach sie mit leiser Stimme, senkte ihr Haupt und ging die Treppe hinauf.
Wortlos schloss sie ihr Zimmer auf und riss die Vorhänge auf.
Das kleine Zimmer war lediglich mit einem breiten Bett, einer großen Kleidertruhe, einem Tischchen mit einem Stuhl und einer Waschschüssel ausgestattet.
Mit einem unangenehmen Gefühl setzte ich mich auf die Bettkante. Wie viele Männer sich wohl schon in diesem Bett vergnügt hatten?
Das Hexenweib schloss die Türe ab und wandte sich mir langsam zu. Sie stand eine Weile wortlos da, dann endlich kam sie auf mich zu und schloss mich fest in ihre Arme. Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange und fuhr mir durchs Haar. »Du hast dich so verändert!«, stieß sie unter Tränen hervor. »Ich hätte dich kaum wiedererkannt!«
Ich löste mich aus ihrer Umarmung und trat einen Schritt zurück, um sie betrachten zu können. »Du hingegen bist immer noch so hinreißend schön wie vor Jahren.«
Sie lächelte und ließ sich auf dem Bett nieder. Ihr Blick glitt zu meinem Schwert, das in der goldenen Scheide an meinem Gürtel hing.
»Was erfüllt dich so mit Sorge?«, ergriff ich das Wort.
»Ich weiß, dass du die Stadt trotz meiner Warnung bereits mehrmals aufgesucht hast – doch nie bist du zu mir gekommen.«
Mein Gesicht errötete vor Scham. Wie hatte ich nur annehmen können, dass ihr meine Besuche in der Stadt verborgen bleiben würden. »Ich befürchtete…