Kapitel 5
Während sie den Abhang hinabliefen, schien es zu warm für diese Jahreszeit – die Sonne brannte blendend vom Himmel, der blauer als blau war – und Hunter spürte, wie ihn das Adrenalin durchströmte, während er die Klauenspuren auf dem Felsen verfolgte.
Bis Ghost und er den Grund des Tals erreicht hatten, war er bereits zu einer reinen, animalischen Daseinsform regrediert. Ihm war nur vage bewusst, dass Bobbi Jo ein paar Schritte leise hinter ihm lief.
Er wusste, die anderen waren weiter zurückgefallen und ließen ihn seinen Job machen, wobei sie auf ihn herabsahen, weil sie glaubten, niemand könne diesen Job besser erledigen als das Militär. Aber es genügte schon, dass sie sich bewegten, ohne zu sprechen, denn Tiere – inklusive des Tieres, das sie jagten – würden die fremden Geräusche sofort wahrnehmen. Und in dieser Umgebung hätte eine leise menschliche Stimme denselben Effekt wie ein Schuss aus einer Schrotflinte.
Nein, sie mussten sich so leise wie möglich bewegen, wenn er irgendetwas im Wald entdecken wollte. Aber er war zuversichtlich, weil Takakura dabei war. Der Anführer des Teams schien bereit, bedingungslos mit ihm zu kooperieren. Fürs Erste.
Am Fuß des Abhangs hob Hunter eine Hand und Bobbi Jo stoppte, ging lautlos in die Hocke. Dann tat es ihr Hunter gleich und untersuchte den schlammigen Boden, befühlte die Festigkeit und Zusammensetzung, die Feuchte – ein Dutzend Faktoren, die ihm weit mehr verraten konnten, wenn er die Abdrücke dieses Dings finden würde.
Es gab nur spärliche und vereinzelte Vegetation in der Gegend. Er sah sich um und entdeckte eine Pfütze, die so groß wie sein Fuß war. Aber nur eine. Eine einzelne Vertiefung. Er streckte die Hand aus, um die wenig ausgeprägten Kanten zu betasten, die von dem schlammigen Wasser verdeckt waren.
Die Fährte hatte das richtige Alter, vielleicht ein Tag. Aber das Wasser hatte bereits die wichtigen Merkmale verwaschen, also würde er ohne Anhaltspunkt weitermachen müssen. Bobbi Jo schlich trotz ihrer Stiefel so lautlos hinter ihm, er hatte fast vergessen, dass sie da war. Er drehte sich um und gab ihr ein Zeichen, nach links zu gehen. Er bewegte sich nach rechts. Gemeinsam, etwa sieben Meter voneinander entfernt, betraten sie eine lange, breite Lichtung, die von hohem Gras bewachsen war.
Hunter brauchte fünf Minuten, um die zweite Spur zu finden, die auf ein etwas höheres Gelände führte. Aber sie war ebenfalls in schlechtem Zustand vom Wasser, das hier heruntergelaufen war. Sie war mit Blättern bedeckt und er hätte sie fast übersehen, wenn da nicht die tiefen Spuren der Klauen im härteren Boden gewesen wären. Diese waren nicht vom Sturm verwischt worden und erkennbar geblieben.
Er wandte sich um und sah Bobbi Jo an, wartete, ob sie aus dem Augenwinkel merken würde, dass er stehen geblieben war. Sie tat es. Langsam drehte sie den Kopf und er nickte.
Ohne einen Blick auf das Beutetier oder den Geruch in der Nase, blieb Ghost dicht hinter ihm, schnüffelte und suchte erfolglos.
Hunter bewegte sich den Hang hinauf und beugte sich nach unten, um die alte Fährte zu studieren. Er war ein wenig frustriert. Es gab eine lange Reihe von nach vorn gerichteten Abdrücken mit Klauen, die sich für einen besseren Halt tief in den Boden gegraben hatten, und etwas, das aussah wie der Abdruck einer menschlichen Ferse. Die nächste Spur der Fährte – der linke Fuß – war mehr als sieben Meter entfernt.
Dieses Ding war sieben Meter mit einem Schritt gesprungen.
Unmöglich …
Unmöglich, dass es das getan haben konnte …
Selbst ein Tiger hätte Mühe, weiter als eineinhalb Meter auf diesen Abhang zu springen. Hunter hielt inne, sah sich gezwungen, die Spur erneut zu prüfen, sicherzustellen, dass er nichts übersehen hatte. Aber nach einer sorgfältigen Betrachtung war er sich sicher. Nein, dem Wald ist es egal, was man will oder gern glauben möchte …
Das Ding war eindeutig sieben Meter weit gesprungen.
Hunter versuchte sich selbst zu überzeugen, dass es nur vorübergehende Stärke war, durch den Adrenalinstoß ausgelöst, der zu diesem Zeitpunkt seinen Körper durchfuhr. Und als Bobbi Jo näherkam, bewegte er sich weiter. Er konnte das Trittsiegel immer noch nicht identifizieren, aber er wusste, dass es nichts war, was er schon mal gesehen hatte.
Vielleicht etwas, das er niemals sehen wollte.
Im Tipler-Institut für Kryptozoologie und Paläontologie starrten Rebecca Tanus und Gina Gilbert nebeneinander, eine Hand ans Kinn gelegt, auf den Gipsabdruck, der ihnen von einem Boten des Militärs überbracht worden war. Der Abdruck, der gut 40 Zentimeter lang war, lag auf dem Tisch. Ihre Mienen konnten kaum die Tatsache verbergen, dass sie zutiefst verwirrt waren.
Rebecca, die das Labor leitete, bis Dr. Tipler zurückkam, seufzte. »Ich hab einen Doktor in Ökosystemen von Cambridge und einen Master in Paläontologie. Ich habe als Jahrgangsbeste in historischer Geologie und molekularer Theorie der Versteinerung abgeschlossen. Ich habe ein Jahr am renommiertesten Institut der Welt unter Anleitung des besten Paläontologen unserer Zeit verbracht.« Sie unterbrach sich, das Gesicht nur Zentimeter von dem Abdruck entfernt. »Und ich hab nicht den blassesten Schimmer, was das ist.«
Gina sagte nichts; die Stille dauerte an.
Mit einem schnellen Atemzug, der eine Locke kastanienbrauner Haare aus ihren Augen beförderte, fuhr Rebecca fort: »Meine Güte, Gina. Ich weiß nicht mal, wo ich anfangen sollte.« Sie dachte darüber nach, tappte mit dem Fuß auf den Boden. »Na ja, es sieht menschlich aus. Aber es hat fünf nicht-einziehbare Klauen. Also, es hat Klauen, demnach – ist es nicht menschlich.«
»Nein«, murmelte Gina. »Es ist nicht menschlich. Aber es ist auch kein Tier. Denn es sieht menschlich aus.«
»Hm-hm«, meinte Rebecca. Sie tippte auf dem Tisch herum. »Also … es ist nicht menschlich. Und es ist kein Tier.« Ihrem Lächeln fehlte jeder Humor. »Ich nehme an, da bleibt nicht wirklich viel übrig, oder?«
Wieder Stille.
»Okay.« Rebecca stand auf. »Versuchen wir mal, so zu denken wie der Doc. Wenn er ein Fossil nicht einordnen kann, dann kategorisiert er es anhand von Anzahl und Form der Gliedmaßen, Körpergröße, Ort und Alter. Er steckt es in eine Kategorie oder einen Stamm und versucht die dazugehörige Familie zu finden. Dann arbeitet er sich von dort nach unten. Normalerweise ist es eine verwandte Spezies, deren Gattung bestimmt ist, aber mit der wir nicht besonders vertraut sind.«
Gina schaltete sich ein. »Okay, machen wir das so. Spezies: Homo sapiens. Alter: eine Woche.«
Stille.
»Nun, das hat uns nicht wirklich weitergebracht«, überlegte die ältere Frau. »Schau dir die hier mal an.« Sie deutete mit einem Bleistift. »Das sind fünf einzelne Klauen. Außerdem große. Fünf Klauenfortsätze an etwas, das ein Fuß einer Spezies zu sein scheint, die mit Homo sapiens verwandt ist. Scheint nicht sehr wahrscheinlich. Also, welche andere Spezies hat fünf Zehen?«
Gina musste nicht lange nachdenken. »Nun, da wäre Homo habilis, Homo erectus. Dann die Menschenaffen, Großkatzen oder Bären – Grizzly, Kodiak, Braunbär, Schwarzbär – und, äh, die meisten der niederen, auf trockenem Boden lebenden Säugetiere, wie Vielfraße, Waschbären, Streifenhörnchen, Eichhörnchen, Stachelschweine …« Ihre Stimme wurde zu einer Art Singsang. »Dann wären da noch Biber, Nerz, Stinktier, Dachs …«
»Okay, okay.« Rebecca sah sie an. »Ich hab schon verstanden.«
Eine Weile sagte keine von beiden ein Wort.
»Wir machen Folgendes«, hob Rebecca an. »Wir wissen, was es nicht ist, richtig? Also beginnen wir bei null und nehmen an, dass es eine unbekannte Spezies ist.«
»Wie es der alte Mann macht.«
»Ja, wie der Doc es macht. Wir nehmen das hier und lassen einen optischen Scan drüberlaufen, um irgendwelche Spuren zu finden, die der Gips vielleicht aufgenommen hat. Der Gips ist