Hunter sah Tipler an. »Professor?«
Der alte Mann legte ihm die Hand auf die Schulter. »Das wird schon klappen, mein Junge. Ich habe, wie du weißt, einige anstrengende Expeditionen in den letzten Jahren hinter mich gebracht.« Er lachte und lehnte sich zurück. »Ja, ich bin etwas alt. Und wenn ich zu irgendeinem Zeitpunkt das Gefühl habe, dass ich dich bremse, dann werde ich meine, äh, wie nennen Sie das, eine …?«
»Eine Extraktion«, steuerte Maddox bei. »Eine Notfallextraktion.«
»Ja.« Tipler wedelte mit der Hand. »Eine Notfallextraktion, wie man sagt.«
»Aber Professor, das wird eine harte Verfolgungsjagd. Und Sie wissen, wie ich mich fortbewege. Sie werden nicht mithalten können. Selbst das sogenannte Support-Team könnte nicht mit mir mithalten, wenn ich es ihnen nicht gestatte. Abgesehen davon wissen wir nicht, was dieses Ding ist. Wir wissen nur, dass es gefährlich ist. Gefährlicher als alles, was wir je gesehen haben. Vielleicht gefährlicher als alles, was irgendwer je gesehen hat. Wir wissen nicht, wo es sich aufhält, wie seine Instinkte funktionieren, ob es ein Territorium verteidigt oder nachtaktiv ist. Wir wissen nicht, was es tun wird, wenn es verwundet oder in die Ecke gedrängt wird. Wir wissen nicht, ob es zum Gegenangriff übergeht oder uns gleichzeitig jagt, während ich es jage. Ich weiß, Sie sind immer noch gut in Form für Ihr Alter, aber das ist keine Jagd nach alten Knochen. Wir verfolgen etwas, das einen Tiger umbringen kann. Aber es ist schlimmer, denn es tötet ohne Grund. Dieses Ding tötet, nur um des Tötens willen, Professor.«
Tipler lachte wohlwollend.
»Deine Sorge schmeichelt mir, Nathaniel. Das tut sie tatsächlich. Du hattest stets meine besten Interessen im Sinn und mich immer unterstützt. Aber es ist beschlossene Sache: Ich werde dich auf diesem Trip begleiten.« Er sah Hunter in die Augen und lehnte sich nach vorn, anscheinend beschäftigte ihn etwas. »Verstehst du nicht, was wir hier vielleicht vor uns haben, mein Junge?« Er machte eine Pause. »Ich meine, hast du es dir wirklich ausgemalt?«
Hunter blinzelte nicht. »Wir haben einen Killer vor uns, Professor. Und es wird Sie oder mich so schnell töten, wie es auch jeden anderen töten würde.« Hunter war sich sicher, was seinen Tonfall sanfter werden ließ. »Diesem Ding ist es egal, ob wir Waffen haben oder mehr Leute sind. Professor. Es wird sich nicht treiben lassen wie ein Tiger. Und ich glaube nicht, dass man es in einen Hinterhalt locken oder ihm eine Falle stellen kann. Was immer es ist – und im Moment habe ich keine Ahnung – es ist vermutlich die effizienteste Tötungsmaschine auf Erden. Und wir werden allein mit ihm sein, in seinem Territorium. Diese Leute reden eine Menge von ihrem Support-Team, aber wenn das Ding uns angreift, werden wir nicht mehr am Leben sein, wenn das Team hier ist. Also sollten Sie sicher sein, dass Sie bereit sind, deswegen zu sterben, wenn Sie in diese Berge gehen, um es zu finden.«
Anscheinend dankbar für diese Worte, zeigte Tipler seine Entschlossenheit. »Ich verstehe, Nathaniel. Aber ich habe mich diesem Abenteuer verschrieben.« Er lachte heiser. »Vielleicht wird es in meinem Alter das letzte Abenteuer meines Lebens sein. Du solltest nicht einem alten Mann die letzte Gelegenheit nehmen, sich richtig lebendig zu fühlen.«
Nach einem Moment sah Hunter zu Boden. Sein Kiefer verspannte sich beinahe unmerklich und er nickte.
»Okay.« Der Professor klatschte kurz in die Hände. »Das wäre geklärt. Nun, wo ist dieses Pferd von einem Hund?«
Hunter schüttelte den Kopf mit einem leichten Lächeln. »Er ist draußen.«
Mit einem Lachen stand Tipler auf und ging zu der schiefergrauen Rampe, die zu der Doppeltür führte. Als er draußen war, hörten sie seine dröhnende Stimme. Durch das Fenster sah Hunter, wie Ghost sich auf die Hinterbeine stellte, damit so groß war wie der Professor, und dem alten Mann das Gesicht ableckte. Er konnte leise Tiplers donnerndes Lachen hören.
Es war Tipler, der vor so langer Zeit Hunter dabei geholfen hatte, Ghost vor dem Tod zu bewahren. Ohne etwas dafür zu verlangen, hatte der Professor Antibiotika und alle nötigen Medikamente und Vitamine zur Verfügung gestellt, während er sich liebevoll um die Wunden des Welpen gekümmert hatte. Und als Ghost Parvovirose bekam, war es Tipler gewesen, der ihn in seinem eigenen Haus versorgt hatte, bis der Wolf die Infektion los war.
Sechs Wochen lang hatte sein Leben auf Messers Schneide gestanden, aber Tipler war unerschütterlich zusammen mit Hunter an der Seite des Wolfes geblieben und hatte ihm manchmal beinahe tödliche Dosen an Salzlösung und Thorazin gegeben, damit die endlosen Krämpfe nicht die Gedärme des Tieres zerrissen. Am Ende war es nicht die Wissenschaft gewesen, welche die Krankheit besiegt hatte; es waren Ghosts schiere Stärke und sein unbeugbarer Wille gewesen. Er hatte sich einfach geweigert, zu sterben, als die Schmerzen und die Natur es ihm gesagt hatten. Und nach drei Wochen hatte er auf schwachen Beinen gestanden.
Nun sah Hunter Tipler lachen, während er fast mit dem Wolf balgte, und er wusste, dass ein Teil von Ghosts animalischem Verstand diese Freundlichkeit niemals vergessen hatte. Der alte Mann war neben Hunter die einzige Person, die ihn anfassen durfte. Dann wandten sich Hunters Gedanken anderen Dingen zu. Dunkleren Dingen.
Er beendete sein Mahl und stand auf.
»Okay«, nickte er. »Lassen Sie uns loslegen.«
»Diese Kreatur« – Maddox verwendete einen Laserpointer auf der topografischen Karte – »bewegte sich in gerader Linie nach Süden. Sie hat den Anaktuvuk-Pass genutzt, um über die Endicott-Bergkette zu kommen. So viel haben uns unsere Spurenleser verraten. Dann ist sie nach Süden weiter. Die Scouts haben die Spur irgendwo hier verloren.« Er deutete auf die Sistanche-Schlucht, die eine Meile hinter dem Pass lag.
Das Support-Team war noch nicht angekommen. Hunter sah sich im Raum um. »Sie schicken den Professor und mich allein da rein?«, fragte er verhalten.
»Nun.« Maddox hielt für einen bedeutungsschwangeren Moment inne. »Das ist kein Team, das wir vorher schon einmal eingesetzt haben. Mr. Hunter. Wie Sie wissen, waren wir gezwungen, es aus der ganzen Welt zusammenzustellen. Und, wenn ich daran erinnern darf, es sind die besten weltweit in dem, was sie tun. Alle handverlesen, aufgrund einer bestimmten Fertigkeit. Es sind Soldaten, aber es sind auch, bis zum letzten Mann, erfahrene Jäger.«
Hunter starrte vor sich hin und sagte nichts, während Tipler laut lachte. Dann: »Sie lassen das so klingen, als wäre es eine enorme Leistung, ein solches Team zusammenzustellen, Colonel. Ist das so schwer?«
»Nein, nein«, sagte Maddox überzeugend. »Wir haben die besten Leute der Welt, Gentlemen. Seien Sie daran erinnert, wir reden hier über das Militär der Vereinigten Staaten. Aber die unnatürlichen Ereignisse der letzten Woche haben einige, äh, Aufregung hervorgerufen und … äh, wie es der Zufall will, haben wir auch ein oder zwei Ausländer für das Team angeheuert. Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme und wird die Integrität der Einheit nicht beeinflussen.«
»Wann kommen die an?«, fragte Hunter.
»Nun … wieso fragen Sie?«
»Weil die Spur kalt wird.« Hunter lehnte sich nach vorn. »Der Boden ist fest, das ist gut fürs Spurenlesen. Aber es gibt dennoch Erosion. Die Spur verschlechtert sich. Und auf den Fotos sieht es so aus, als ob die Spuren bereits leicht verwittert sind, wodurch sie noch schwerer zu lesen sind. Außerdem werden eine Menge davon durch Blätter oder loses Material verdeckt. Es gibt starke Temperaturschwankungen in der Bergkette und das wird sie noch schneller altern lassen, denn durch die Temperaturschwankungen verblassen die Umrisse. Wenn Sie wollen, dass ich dieses Ding verfolge, dann sollten wir so schnell wie möglich aufbrechen. Jeder Tag, den wir warten, wird es schwieriger machen.«
Maddox ließ das sacken und starrte Hunter einen langen Augenblick an. »Okay, Mr. Hunter. Unsere neuesten Informationen legen nahe, dass das Team morgen früh ankommen wird. Dann können Sie anfangen.« Er