HUNTER. James Byron Huggins. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: James Byron Huggins
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958354197
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größeren Entfernung kam. Ghost hatte, ganz allein, sein Territorium abgesteckt.

      Seine Beziehung zu Ghost hatte sich nicht langsam entwickelt, sondern bestand von Anfang an. Und Hunter vermutete, es lag daran, dass er selbst nie jemandem oder etwas nahegestanden hatte, abgesehen von dem alten Trapper, der ihn mit aufgezogen hatte. Genau wie Ghost nie eine wirkliche Familie besessen hatte. Also akzeptierten sie einander, und es war ganz natürlich und leicht, denn sie beide brauchten jemanden.

      Hunter hatte sich im Grunde größtenteils selbst großgezogen, hatte ungezählte Tage damit verbracht, Fallen zu stellen und Spuren zu lesen, mehr wie ein Tier als ein Kind gelebt. Bevor er zehn Jahre alt war, konnte er anhand eines einzigen Trittsiegels die Spezies, die Größe, das Alter und die Richtung bestimmen, in der ein Tier unterwegs war. Er konnte den Kopf heben und die Witterung des Tieres aufnehmen, das Stunden vorher vorbeigekommen war, oder sich Unterschlüpfe bauen, die ihn in den kalten Winternächten warmhielten. Mit zwölf konnte er mit bloßen Händen Fische aus dem Fluss schnappen oder sich lautlos an ein Reh anschleichen und es berühren, noch bevor es merkte, dass er da war. Aber erst mit 16 tat er das, was jeder echte Fährtenleser als die ultimative Herausforderung ansah. In einer nebligen Sommernacht schlich er sich an einen schlummernden Grizzly heran, legte sanft die Hand auf die mächtige Flanke und stahl sich davon, ohne ihn zu wecken.

      Manchmal, wenn er im trüben Licht der Hütte lag und Ghost neben ihm, erinnerte sich Hunter an die Tage, als er allein und lebendig – wirklich lebendig – mehr Zeit in der Wildnis verbracht hatte als unter Menschen. Er dachte daran, wie als Kind das weiße Schimmern eines Knochens im hellen Tageslicht seinen Blick angezogen hatte, und selbst jetzt spürte er wieder diese Faszination. Fühlte immer noch den rauen, roten Lehmboden, während er ihn von den ausgebleichten, weißen Überresten eines Bären, Elchs oder Vielfraßes abstreifte.

      Ihm stand wieder vor Augen, wie er sich aus Bärenklauen oder Vielfraßfängen barbarische Schmuckstücke gefertigt und damit ausgesehen hatte wie ein zehnjähriges Kind der Wildnis, ein prähistorischer Homo sapiens, als er halbnackt aus dem Wald spaziert war. Der Gedanke brachte ihn zum Lachen. Er wuschelte durch Ghosts Mähne.

      Hunter stellte keine Forderungen – Ghost wusste, dass er frei war – aber sie waren Verbündete. Und es dauerte nicht lange, bis Ghost wieder in der Hütte schlief und manchmal langsam und behäbig mitten in der Nacht in Hunters Bett kletterte, um eine Pfote, groß wie einen Teller, auf Hunters Brust zu legen. Manchmal wachte Hunter auf und spürte Ghosts Nase an seinem Hals, weil der Wolf überprüfte, ob auch alles mit ihm in Ordnung war.

      Hauspatrouille hatte es Hunter lachend genannt. Aber ihm war klar, es passierte nur einmal im Leben, dass ein Mann ein Tier fand, das er wahrlich liebte, genauso wie er wusste, dass er den großen Wolf niemals ersetzen konnte. Aber damals war Ghost erst drei Jahre alt und hatte noch ein langes Leben vor sich.

      Auf gewisse Weise bereute es Hunter, dass er ihn auf diese Reise mitgenommen hatte. Aber er wusste, dass er in dem harschen Terrain des lebensfeindlichen Landesinneren jeden Vorteil brauchen würde. Denn auch wenn er selbst getäuscht werden könnte, wäre es sehr viel schwieriger für dieses Ding – was immer es war – Ghost zu täuschen. Gemeinsam, so dachte Hunter, hatten sie eine gute Chance, das Ding zu verfolgen und einzuholen, bevor es sich weitere unschuldige Opfer suchte.

      Bevor es wieder tötete.

      Denn das würde es. Das wusste er.

      In der Dunkelheit … nein, nicht Dunkelheit … wachte er auf.

      Er war nicht nackt, wie er es erwartet hatte. Aber er hatte kein Hemd an und seine Stiefel waren weg. Der stachelig grüne Waldboden war unter ihm und die leeren Schatten dicht, fast dräuend, als er langsam aufstand. Er berührte seinen Kopf, tastete, und bemerkte nichts, das fehlte; keine Veränderung, keine Transformation. Aber er wusste, was es … was er … getan hatte.

      Was er geworden war.

      Er lachte.

      Die Erinnerung an die letzte Nacht war ein undeutlicher, blutrot erleuchteter Traum. Aber er konnte sich viel besser an die Visionen erinnern als vorher; der Anblick der Männer, die durch sein rot gefärbtes Sichtfeld liefen, Schreie, die züngelten wie eine Flamme. Er erinnerte sich daran, wie er die Körperwärme visuell wahrnehmen konnte, die von der Panik der Männer ausgelöst wurde, er roch und schmeckte ihr Entsetzen, als er zuschlug und wieder zuschlug, durch sie hindurchpflügte und sie mühelos tötete. Und während des langen, befriedigenden Mordens, hatte er eine animalische Freude über seine Macht empfunden, die noch viel, viel stärker war als zuvor. Er stellte fest, dass er mit jeder Transformation dazugewann, kräftiger und reiner wurde.

      Die erste Transformation, die durch seine wahnsinnige Missachtung des Prozessablaufs ausgelöst wurde, war eine schockierende und schmerzhafte Erfahrung gewesen – ein schwarzes, irritierendes Labyrinth aus Händen mit Klauen, die Laborausrüstung zur Seite fetzten und alles und jeden vernichteten, der das Pech hatte, ihn in seinem Zorn im Weg zu stehen. Aber da war auch das süchtigmachende Hochgefühl der reinen, animalischen Freude, genährt durch Adrenalin und Lust, und einen Durst, der nur durchs Töten gestillt wurde. Es hatte lange und immer länger gedauert, hatte ihn auf der Woge animalischer Kraft in den nächsten Tag geschwemmt, als es nachließ und er stürzte, allein zwischen den Toten in einer Einrichtung, die in Trümmern lag und brannte.

      Er verstand nun, dass sein riskantes Experiment ein Erfolg gewesen war. Er hatte nicht erwartet, völlig zu dieser Kreatur zu werden, nicht, was Aussehen und Gestalt anging. Aber er bedauerte es nicht, obwohl er das Gefühl hatte, mehr und mehr seiner eigenen Identität zu verlieren – wie man ihn auch nennen mochte –, während die Infektion weiter fortschritt. Allein die Ekstase, das Triumphgefühl, derart animalische Überlegenheit zu besitzen, sorgten dafür, dass er sich fühlte wie ein Löwe unter Schafen. Ja, er war erfolgreich gewesen, egal wie die unbeabsichtigten Nebenwirkungen waren, die mit jeder Transformation weiter fortzuschreiten schienen.

      Er lachte, als er sich daran erinnerte, wie schockiert er gewesen war, als er sich von seiner ersten unerwarteten Transformation erholt hatte und nicht wusste, dass er bald darin schwelgen würde, mehr als er je in seinem Leben in etwas geschwelgt hatte.

      Erstaunt über das Gemetzel, das er angerichtet hatte, hatte er eine kurze Notbotschaft an die Kommandozentrale geschickt, und sie informiert, dass die experimentelle DNA erfolgreich mit seiner eigenen verschmolzen worden war. Und darüber hinaus hatte er ihnen gesagt, weitere Tests würden bestätigen, dass sie ihre geheimen Ziele erreicht hatten. Auch wenn sie schockiert und wütend waren, dass er den Ablauf so umfassend und gefährlich geändert hatte, indem er sich die Spritze selbst verabreicht hatte, freuten sie sich offensichtlich, dass das Serum in der Tat auf den Menschen übertragen werden konnte.

      Innerhalb weniger Stunden war ein zweites Team angekommen, um das tote zu ersetzen. Und auch wenn sie schockiert waren, ein solch blutiges Spektakel vorzufinden, kaltblütigen Mord, schienen sie wenig am Verlust von Menschenleben interessiert, wenn man ihn gegen das verblüffende Ergebnis des Experiments aufwog.

      Aber sie trafen penible Vorsichtsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass sie nicht das Schicksal ihrer Kollegen teilten. Also wurde er fixiert, um ihn aufzuhalten, wenn die Transformation vor dem erwarteten Zeitpunkt stattfand.

      Ein Raum aus Stahlbeton wurde ausgewählt und mit einer Stahltür verschlossen, die wiederum mit einem Riegel aus Niobium-Titan verstärkt war. Dann entnahm man ihm Blutproben zur Analyse, während er den lieben, langen Tag wartete und sich fragte, was die Nacht wohl bringen mochte.

      Tief unter dem Stockwerk, in dem er eingesperrt war, durchsuchte man fieberhaft den DNA-Strang nach Genen, die sich so schnell entwickelt hatten, dass der Untergang seiner ehemaligen Kollegen ohne Warnung gekommen war.

      Beim Gedanken an ihren Tod regte sich sachte das schlechte Gewissen, weil er sie so kaltblütig abgeschlachtet hatte, aber merkwürdigerweise hielt sich das Bedauern in Grenzen, nicht so, wie er erwartet hatte. Der Gedanke faszinierte ihn, während die Stunden verstrichen, und dann wurden seine Gedankengänge unterbrochen.

      Die massive Stahltür öffnete sich weit und im Rahmen stand der weißhaarige Mann, der für die Operation verantwortlich war. Er kannte