Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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Er hat den hagern Hungerblick der Gants. Armer Junge, er hat keine Mutter mehr. Ich tu mein Bestes für ihn, so lang ich kann. Leonard kommt jede Woche und tut dick mit dem Jungen. Er sagt, seinesgleichen gäbs nicht mehr. Alle Leute in der Stadt haben von ihm gehört. Neulich sprach ich mit Preston Carr, der sicher unser nächster Gouverneur werden wird, von ihm. Er riet mir, ich solle den Jungen auf die Staatsuniversität schicken und Jus studieren lassen, so daß er dort unter den Leuten aus seinem eignen Heimatstaat lebenslängliche Freundschaften schließt, und ihn dann in die Politik reinbringen. Genau das hatte ich auch schon gedacht und geplant. Ich lasse ihm eine anständige Schulbildung angedeihen, nun kommt es darauf an, daß er sein Teil tut. Vielleicht wird er dem Namen Gant Ehre machen. Du hast ihn nicht gesehn, seit er lange Hosen trägt. Seine Mutter hat ihm beim Weihnachtsausverkauf bei Moules in der Konfektionsabteilung einen schönen, neuen Anzug gekauft. Ich habe ihm dazu eine billige Hose bei Racketts im Laden erstanden, so kann er die guten Hosen für den Sonntag aufsparen. Deine Mutter hat die alte Scheuer bis zu ihrer Rückkehr an Mistress Revell vermietet. Ich ging ein paarmal hin und fand das Heim zum erstenmal geheizt und behaglich. Sie hat den ganzen Tag die Heizung an und knausert nicht mit Kohlen. Ben sehe ich kaum einmal die Woche. Er kommt nachts um eins oder zwei ins Haus, stöbert in der Küche rum und legt sich schlafen. Morgens, wenn ich weggehe, schläft er noch. Es ist nichts aus ihm rauszubringen, kaum, daß er einem ein paar Worte gönnt. Wenn ich mich in aller Ruh und Höflichkeit nach seinem Leben erkundige, dann ist er kurz angebunden und schneidet mir alle weiteren Fragen ab. Spät abends sehe ich ihn manchmal in der Stadt mit Mistress P. Die beiden hängen wie Pech und Schwefel zusammen. Sie scheint mir ein loses Vögelchen zu sein. Also Schluß für heut. – John Duke wurde Sonntagnacht im Whitestonehotel vom Hausdetektiv erschossen. Er war besoffen und wollte die Leute im Hotel übern Haufen schießen. Er hinterläßt drei Kinder. Sie kam heute zu mir ins Geschäft. Er war allgemein beliebt als Mensch; aber völlig unzurechnungsfähig im Suff. Mir blutete das Herz für die Arme. Sie ist so eine hübsche, kleine Frau. Der Alkohol hat mehr Elend angerichtet, als alle andern Übel auf der Welt zusammengenommen. Ich verfluche den Tag, an dem er erfunden wurde. Beiliegend ein kleiner Scheck, kauf Dir ein Geschenk dafür. Gott weiß, wohin es mit uns noch kommen wird. Dein geneigter Vater,

      W. O. Gant.«

      Sie hob jeden seiner Briefe gewissenhaft auf. Er schrieb auf dickes, glattes Geschäftspapier mit seiner verkrüppelten Hand, in großgespreizten, gotisch-zackigen Zügen.

      In Florida unterdessen reiste Eliza an der Küste auf und ab. Sie starrte nachdenklich auf die noch kleine, sich entwickelnde Stadt Miami. Sie fand die Preise zu hoch in Palm Beach und die Mieten zu teuer in Daytona. So zog sie schließlich landeinwärts nach dem von Seen und Orangengärten umgebnen Orlando, wo die Pentlands ihre Ankunft erwarteten: Pett mit kalter Streitsucht im Gesicht und Will mit einer Grimasse jucklüsterner Nervosität, während er mit stumpfen Fingernägeln die schuppige Hautflechte an seiner Hand kratzte.

      John Dorsey Leonard, völlig geistesabwesend, kreidespurig vom Kinn bis zum Knie, tastete seinen Anzug ab, denn er suchte seine Notizen für den Unterricht im Deutschen.

      Tom Davies schaute belustigt, ein Kichern unterdrückend, zum Fenster hinaus. Guy Doak starrte Eugen mit verträumtem, starrem Ernst an und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.

      » Entgegen«, sagte Eugen, »folgt auf das Objekt.«

      John Dorsey Leonard lachte unsicher, schüttelte den Kopf, tastete immer noch seine Taschen ab, um die Notizen zu finden.

      »So sicher scheint mir das nicht zu sein«, sagte er. Schon wieder waren seine Gedanken wo anders.

      Die ganze Klasse wieherte. Tom Davies bog sich vor Lachen. John Dorsey Leonard blickte auf, lachte mit, ohne genau zu wissen, warum.

      John Dorsey Leonard war der deutschen Sprache glückselig unkundig. Von Zeit zu Zeit jedoch gelang es den Schülern, dem Lehrer ein bißchen Deutsch beizubringen. Täglich warteten sie hungrig auf die Deutschstunde. Sie waren stets glänzend vorbereitet. Sie übersetzten die Lektion glänzend und so schnell, daß er nicht folgen konnte. Das bestürzte Gesicht, das er dann machte, belustigte sie sehr. Manchmal machten sie absichtlich Fehler oder unterschoben dem Text einen völlig absurden Sinn oder erfanden nicht existierende Vokabeln, lediglich um über die umsichtig-unsichern Richtigstellungen des Lehrers zu lachen.

      »Langsam kroch das Licht des Mondes über den Stuhl, in dem der Alte saß; es reichte ihm bis zu den Knien, bis zur Brust und schließlich …« – Guy Doak sah den Lehrer verschmitzt an – »versetzte es ihm einen Stoß ins Auge.«

      »Nei-ein«, sagte John Dorsey Leonard und rieb sich das Kinn, »nicht ganz so. ›Und traf ihn ins Auge‹ wäre meiner Meinung nach besser übersetzt.«

      Tom Davies lachte gurgelnd, die ganze Klasse wartete darauf, daß der Lehrer, wie er es immer tat, nun das Buch zu Rat ziehen würde. Er tat es prompt.

      »Wir wollen uns mal vergewissern«, sagte er und schlug nach. Guy Doak warf Eugen einen verkrumpelten Zettel zu. Eugen las:

      »Gib mir ein Stück Papier.

      Before I bust you on the ear.«

      Eugen löste zwei Blätter von seinem Schreibblock und schickte sie ihm mit der Antwort:

      »Du bist wie eine bum-me.«

      Sie lasen klebrig-süße Erzählungen, feiste deutsche Tränenschluckser: »Immensee«, »Höher als die Kirche«, »Der zerbrochene Krug«. Und sie lasen »Wilhelm Tell«. Das Eingangslied, der unirdische Gesang der Sirene an den Fischerbuben, bezauberte sie mit der Märchenmusik des feinen, lyrischen Versmaßes. Das schwerfällige Melodrama einiger Szenen hatte nichts Abgedroschnes für sie. Eifrig lasen sie vom Apfelschuß und der Flucht aus dem Boot. Im übrigen war das Stück, wie sie ermüdet anerkannten, große Literatur. Der Mister Schiller war von schönen, freiheitlichen Ideen geradezu religiös beeindruckt, ganz wie Patrick Henry, George Washington und Paul Revere. Seine wackern Schweizer sprangen pompös von Felszack zu Felszack und riefen die Freiheit in langwindigen Reden an.

      »Die Berge«, bemerkte John Dorsey Leonard in einem glücklichen, vom Genius des Orts eingegebnen Augenblick, »die Berge sind der angestammte Sitz des Freiheitsgedankens.«

      Eugen sah durchs Fenster auf die Bergkette im Westen. Er hörte, ganz aus der Feme, einen Zugpfiff und leisen Schienendonner.

      Während jener Abwesenheit Elizas hauste Eugen mit dem fünf Jahre älteren Guy Doak zusammen.

      Guy Doak war Yankee; er stammte aus Newark im Staate New Jersey. Er hatte die Sprödigkeit des Neuengländers; er zwängte die Worte durch die Nase, wie es die Yankees tun. Seine Mutter war vor ein oder zwei Jahren aus Gesundheitsgründen nach Altamont gezogen; sie hatte ein Boardinghouse. Sie war tuberkulös und verbrachte einen Teil des Winters in Florida.

      Guy Doak hatte eine hübsche, forsche Figur, war mittelgroß, hatte schwarzes Haar und blitzend dunkle Augen. Sein bleiches, sehr glattes, ovales Gesicht mit dem vollen Kinn, das die untre Gesichtshälfte schwerer machte als die obre, erinnerte Eugen irgendwie an einen Fischbauch. Guy Doak war stutzerhaft angezogen; die Leute nannten ihn einen gut aussehenden Jungen.

      Er schloß sich nirgends an. Den Jungen in Leonards Schule erschien dieser Yankee viel ausländischer als ein andrer Mitschüler, der reiche Kubaner Manuel Quevado. Manuel gehörte einem üppigeren Süden an, aber er war Südländer wie sie; sie verstanden ihn. Der Nordländer Guy Doak dagegen hatte nichts von ihrer harmlosen Heiterkeit, nichts von ihrer herzhaften Heftigkeit. Er lachte nie laut. Er hatte einen scharfen, hellen, aber seichten Verstand und war unbeugsam dogmatisch. Er lebte im falschen Realismus der Yankees; die anderen waren im üblen Romantizismus der alten Südstaaten zuhaus. Guy Doak hatte bereits den infantilen Zynismus des amerikanischen Städtebewohners angenommen. Öfters machte er irgendeinen Spaß mit, nie jedoch benahm er sich anders dabei als ein Städter, der sich mal unter blöden Bauernlümmeln gehn läßt. Er war klug, in erster Linie war er klug. Seine Lebenseinstellung ging von der Annahme aus, daß die Wahrheit unvermeidlich das Schafott besteigen müsse, daß das Unrecht ewig auf dem Thron säße; so ließ er sich denn von der Hinmetzlung der Unschuld keineswegs imponieren, sondern sah dem Schauspiel bitter amüsiert zu.

      Abgesehen