Denn – die Briten selbst bringen es nicht fertig, Albions Insel mit jener hehren und begeisterten Liebe zu lieben, mit der es amerikanische Ladies tun, die Englands edle Zunge lehren.
Auch Eugen war getreu. Ganz wie Miss Crane trug er eine Miene sorgenvollen Bedauerns zur Schau, aber sein Herz trommelte Kriegsmärsche an die Rippen. Vom schrillen Ton der Querpfeifen und Flöten war die Luft voll. Er hörte das gespenstische, ferne Rumpeln der großen Geschütze.
»Wir müssen gerecht sein«, sagte Margaret Leonard. Aber ihre Augen waren dunkel geworden, als sie die Nachricht von Englands Eintritt in den Krieg las. Und ihre Kehle zitterte wie eine Vogelkehle. Als sie aufsah, waren ihre Augen feucht.
»Großer Gott!« sagte sie. »Nun werden wir sehen.«
»Little Bobs!« lärmte Sheba. Sie meinte Lord Roberts. »Hast Du gelesen, wo er den Oberbefehl übernommen hat?«
John Dorsey Leonard legte die Zeitung hin und lachte schrill und geifernd. »Nun helfe Gott den armen Rackern!« sagte er. »Da werden sie schön ankommen!«
Also, schon gut: – sie kamen schön an.
Den ganzen Rest des Sommers sauste Eugen wie verrückt zwischen der Schule und Dixieland hin und her. Er führte Siegestänze auf, außerstand, seine vom versprochnen Ruhmesrausch taumelnden Glieder zu beherrschen. Er verschlang die Nachrichten vom Kriegsschauplatz und eilte, um den Leonards oder Miss Crane die große Kunde zu bringen. Er las jede Zeitung, die er nur erwischen konnte, und freute sich sehr über die schweren Niederlagen, die die Deutschen an allen Punkten der Front zum Rückzug zwangen. Denn – das eine war ja aus dem Wirrwarr der Zeitungsberichte klar zu erkennen: den Hunnen ging es verdammt schlecht. Heulend, wie geprügelte Hunde, flohen sie vor dem englischen Stahl bei Mons; um Gnade winselnd brachen sie vor dem französischen Angriff an der Marne in die Knie; hier zogen sie sich zurück; dort gaben sie nach; wieder woanders nahmen sie Reißaus. Dann, eines schönen Morgens, als sie allem Dafürhalten nach hinter Köln hätten laufen müssen, standen sie vor Paris. Sie waren in der falschen Richtung gerannt. Eugen war verzweifelt, die Welt wurde dunkel; er versuchte zu verstehen und konnte nicht. Infolge der ungewöhnlichen Strategie dauernder Rückzüge waren die deutschen Armeen vor Paris angelangt. Das war eine neue Art Kriegführung. Tatsächlich; es vergingen Jahre, bis Eugen völlig begriff, daß irgendwer im deutschen Heer irgendwo gekämpft haben müsse.
John Dorsey Leonard focht das nicht an.
»Abwarten!« sagte er vertraulich. »Nur abwarten, mein Söhnchen. Dieser alte Kämpe Joffre weiß, was er tut. Nun sind sie ihm in die Falle gegangen; darauf hat er gerade gewartet.«
Eugen wunderte sich. Was für einen ausgesuchten Grund mochte bloß der französische Feldherr haben, die deutschen Armeen nach Paris zu locken?
Margaret sah besorgt von der Zeitung auf. »Glaubt mir«, sagte sie, »es sieht sehr ernst aus.« Sie schwieg vor leidenschaftlicher Teilnahme. Dann sagte sie mit bebender Stimme: »Wenn England zu Grund geht, dann ist es auch mit uns aus.«
»Gott schütze England!« gellte die Schwester Sheba. Sie packte Eugen am Knie und rüttelte ihn. »Ja, Eugen, Gott schütze es! Damals, als ich dort landete und den lieben, alten Boden betreten durfte, wußte ich mich kaum zu fassen vor Glück. Mir war es gleich, was die Leute dachten. Ich kniete hin und tat so, als müßte ich mir das Schuhband binden. Aber ich sag Dir, Junge! …« ihre Augen blitzten unter Tränen. – »Ja, Gott schütze England! Ich konnte nicht anders. Weißt Du, was ich da tat? Ich beugte mich vornüber und küßte die Erde.« Dicke Tränen rollten über ihre roten Backen. Sie weinte laut, fuhr aber fort. »Das ist die Erde Shakespeares und Miltons und John Keats, sprach ich, und bei Gott, es ist auch meine Erde. Gott schütze England, er schütze es!«
Margaret weinte still vor sich hin. Tränen flossen über ihr Gesicht. Sie konnte nicht sprechen. Alle waren tiefbewegt.
»England geht nicht zu Grund«, sagte John Dorsey Leonard. »Wartet mal ab! Da haben wir auch noch ein Wörtchen mitzureden.«
In Eugens Phantasie brannte eine Vision von den großen, über den Atlantik einander gereichten, angelsächsischen Bruderhänden. Drüben rollten grüne, blühende Felder, und ein Märchenlondon entstand: mächtig, elfenhaft, alt, ein romantisches Labyrinth mit altmodischen, menschenerfüllten Gassen, hohen, überhängenden Häusern, lukullischen Speisen und Getränken; die feurigen Augen des Genius brannten aus dem Schwarm putzig und originell angezogner Leute.
Der Krieg nahm seinen Fortgang. Die schwärmerische Kriegsliteratur fing an zu erscheinen. Margaret gab Eugen Buch um Buch zu lesen. Es waren die Bücher junger Männer, die ausgezogen waren, um das Böse dieser Welt mit ihrem Blut zu sühnen. Mit bebender Stimme las ihm Margaret das Sonett von Rupert Brooke: »Sterb ich für England, denk nur dies von mir …« Sie steckte ihm »Ein Student in Waffen« von Donald Hankey zu und sagte: »Das lies, Junge. Das wird Dich bewegen, wie Dich nichts noch bewegt hat. Diesem Jungen ist die Vision zuteil geworden.«
Er las es. Er las viele andere. Die Vision wurde ihm zuteil. Er trat in die ritterliche Legion ein. Der junge Galahad-Eugen, die Speerspitze der gerechten Sache. Er ging auf Gralsfahrt. Er verfaßte Dutzende von persönlichen Erinnerungen, in die er ruhig, witzig, mit wohltemperierter, englischer Zurückhaltung das gestaute Maß seines reinen Kreuzfahrerherzens ergoß. Manchmal ließ er einen Arm, ein Bein, ein Auge auf dem Feld der Ehre und kehrte zwar beschädigt, aber als ein Edler zurück. Manchmal schrieb er seine letzten, strahlenden Worte am Vorabend des Sturmangriffs, bei dem er sein Leben ließ. Mit tränenfeuchten Augen las er seinen eignen Epilog, genoß er seinen Nachruhm in den Berichten und Erläuterungen seines Herausgebers. Zeuge seines eignen Opfertodes ließ er zwei heiße Zähren auf seinen jungen, erschlagnen Leib fallen. Dulce et decorum est pro patria mori.
Ben schob, die Stirn gerunzelt, an Woods Drogerie vorbei. Als er an der Gruppe der Bummler, die dort am Eingang herumstanden, vorüberkam, schoß er ihnen einen Blick von jäher, heftiger Verachtung zu. Er lachte herb und sagte: »Ach, Du mein Gott!«
An der Ecke, gegenüber dem Postamt, wartete er auf Mistress Pert. Sie kam über die Straße, langsam, ein wenig taumelnd.
Er verabredete sich mit ihr auf später in die Drogerie. Er ging eilig die Federal Street hinunter und trat in das »Doctor' and Surgeon's Building« ein. Die Stiegen knarrten im dunklen, kühlen Treppenhaus; irgendwo fiel mit pünktlichem Monoton ein Wassertropfen in ein Waschbecken. Auf dem Treppenabsatz des ersten Stocks hielt Ben einen Augenblick inne und wartete, bis sich das nervöse Pochen seines Herzens beschwichtigt hatte. Dann ging er den breiten Korridor hinunter und trat in das Wartezimmer von Dr. J.H. Coker ein. Der ganze Bau roch scharf nach dem sauberen, nervösen Duft der Antiseptika. Stöße abgegriffner Zeitungen lagen auf dem Tisch. Die Innentür wurde geöffnet und Miss Ray, die Assistentin, trat ein. Sie hatte schon den Hut auf; sie war im Weggehn.
»Sie wollen Dr. Coker sprechen?« fragte sie.
»Ja«, sagte Ben. »Hat er zu tun?«
»Komm nur rein, Ben«, sagte Coker, der in der Tür erschien. Er nahm die lange, nasse Zigarre aus dem Mund, feixte. Er verabschiedete die Assistentin. »Das wäre alles für heute, Laura. Auf Wiedersehn.«
»Guten Abend«, wünschte Miss Laura Ray und ging.
Ben trat ins Ordinationszimmer. Coker nahm an dem unaufgeräumten Schreibtisch Platz.
»Du legst Dich besser gleich dort auf den Untersuchungstisch«, sagte er feixend. Das gelbe Grinsen des Malariakranken.
Ben sah den Tisch an. Er machte ein Gesicht, als drehe sich ihm der Magen um.
»Wieviel Menschen sind schon auf dem Tisch da verreckt?« fragte er.
Er setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch, nahm eine Zigarette heraus. Er hielt das Zündholz ans verkohlte Ende von Cokers Zigarre. Die beiden rauchten.
»Was kann ich für Dich tun, mein Sohn?« fragte der Arzt.
»Das Leben hier elendet mich an. Ich verfaule«, antwortete Ben. »So möchte ich lieber wo anders unterm Anger liegen und den Gänseblümchen zum Gedeihen verhelfen.«
»Erklär