Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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satanisches Lachen; Eugen lauschte erregt auf und schlief wieder ein, außerstande, das Lächeln der dunkel blühenden Bosheit, die von losem Kleingeld klinkernden Taschen zu vergessen.

      Nacht. Das Sirren unzähliger kleiner Insektenflügel. Ich hört' den Uferlaut der Binnenmeere.

      – Und die Luft wird von warmkehligen, pflaumenfallenden Vogellauten voll sein. Eugen war fast zwölf. Seine Kindheit war herum. Und als dieser Frühling sich vollendete, spürte er zum erstenmal das ganze volle Entzücken der Einsamkeit. Im dünnen Nachthemd stand er am Gartenfenster im Hinterzimmer von Gants Haus, trank die süße Luft tief ein, war glücklich, im Dunkel allein zu sein, hörte den langgezognen, klagenden Pfiff der westwärts fahrenden Züge.

      Der Kerker des Ichs hatte sich ganz um ihn geschlossen; er lebte ganz in den Mauern seiner Phantasie. Er hatte nun gelernt, mechanisch vor der Welt ein annehmbares Abbild seiner selbst zur Schau zu tragen; das schützte vor Zudringlichkeit. In den Schulpausen war ihm die Qual des Verfolgtwerdens und der Flucht erspart. Er ging in die Oberklasse der Volksschule; er gehörte zu den großen Buben. Sein Haar war, als er neun Jahre war, geschnitten worden; nach einer erbitterten Belagerung hatte die starrsinnige Eliza nachgegeben; so hatte er auch um seiner langen Locken willen nicht mehr zu leiden. Aber er war wie Unkraut in die Höhe geschossen; er überragte Eliza bereits um vier oder sechs Zentimeter. Seine großen Knochen waren dünn und fragil; es war kein Fleisch daran. Seine ungemein langen, sehr dünnen und geraden Beine wirkten komisch; er ging wie eine Schere; er hatte einen weiten, springenden Schritt.

      Auf den schmächtigen, unterentwickelten Hals gesetzt, unter dem großen breitstirnigen Kopf mit dem dichten Lockenhaar, das vom hellen Ahornbraun der Kindheit in ein tiefes Braunschwarz nachgedunkelt war, saß ein Gesicht, ein so kleines, delikat modelliertes Gesicht, daß es nicht zu dem Körper zu gehören schien. Die Fremdheit und Entrücktheit des Ausdrucks wurde durch eine leidenschaftliche, dunkelbrütende Versonnenheit noch gesteigert. Splitter eines Gedankens, Schatten einer Regung flogen über dies Gesicht wie Lichtreflexe über einen dunklen Teich. Der Mund war sinnlich voll, ungemein beweglich; die tiefeingekerbte Unterlippe war herausgestülpt. Dieses traumverzückte Gesicht trug gewöhnlich den Ausdruck einer fast doofen Nachdenklichkeit. Öfter als er lachte, lächelte Eugen. Er lächelte inwendig über irgendeinen phantastischen Einfall oder über irgend etwas, das im Gedächtnis auftauchend ihm jetzt zum erstenmal komisch vorkam. Wenn er lächelte, öffnete er die Lippen nicht; ein verzwicktes Flackern huschte über den Mund. Seine dichten, hochbogigen Brauen waren über der Stirn, zusammengewachsen.

      Diesen Frühling war er einsamer als je, Elizas Umzug nach Dixieland vor drei oder vier Jahren, die Auflösung des festen Haushalts in der Woodson Street, hatte seine Freundschaften mit Harry Tarkinton, Max Isaacs und anderen Nachbarsöhnen unterbrochen. Er verkehrte nun fast kaum noch mit ihnen, nur gelegentlich nahm er die Beziehungen für eine Weile wieder auf. Er hatte keine ständigen Gespielen mehr, sondern nur noch eine Kette loser Beziehungen zu Kindern, deren Eltern für eine Zeit in Dixieland wohnten, mit Tim O'Doyle, dessen Mutter das Brunswick leitete, mit Kindern da oder dort, die ihn flüchtig interessierten.

      Aber bald ödeten sie ihn furchtbar an. Ihm grauste vor der stumpfsinnigen Häßlichkeit ihres Wesens, ihres Denkens, ihrer Vergnügungen. Ihm war, als wate er in fauligem Sumpfwasser. Dumpfe Menschen entsetzten ihn. Es machte ihn wütend und ärgerte ihn, daß sie in einer Luft gedeihen konnten, die ihn niederdrückte. Aus diesem Grund konnte er seine Kusine Pett Pentland mit ihren verrosteten alten Tanten nicht leiden. Seine eigene Lebenslangeweile verdroß ihn nie so sehr wie die Langweiligkeit andrer Leute.

      Die ganze Landschaft – sinnfällige Umwelt seines Daseins – lag nun im Sonnenglanz und in den Wolkenschatten vorurteilsvoller Zu- und Abneigungen, die in ihm unter Gott weiß was für unausfindlichen Wahlverwandtschaften entstanden waren. Eine Straße war für ihn »gute« Straße, ganz im Glanz lebensfülliger, hochherziger Fröhlichkeit gebadet …, während eine andre ihm unerklärlicherweise als »schlechte« Straße, als bedrückend, furchtbar, hoffnungslos erschien.

      Vielleicht war es das kalte, fahlrote Licht eines Vorabends im Winter, das hämisch frühlingsverheißend über einem Spielplatz verglomm, während in den Häusern ringsum blakende Petroleumlampen angezündet wurden, Männer in das dumpfwarme Gefängnis der Heime traten, schmutziges Kindergesindel in den Stuben Abendbrot aß und zu Bett ging …, vielleicht waren diese Dinge daran schuld, daß er den Platz fortan haßte, obschon er die Umstände und Empfindungen, unter denen ihm der Platz häßlich vorgekommen war, längst vergessen hatte.

      Oder; – er kehrte von einem Waldspaziergang an einem schwermütigen Herbstabend über die Cove Street und die Valley Street heim; er war durchgefroren und schmutzig; er hatte sich einen leichten Schnupfen geholt … und fortan haßte er die beiden Straßen hartnäckig und hatte eine abergläubische Angst vor den Leuten, die dort wohnten.

      Er hatte eine ganz ungewöhnliche Liebe für hartes, grelles, weißglühendes Licht. Er haßte dumpfe, trübe, weiche, gedämpfte, verschattete Lampen und Lichter. Nachts wünschte er in mit Bogenlampen scharf und durchdringend erleuchteten Räumen zu sein. Und dann das Dunkel.

      Obschon er sich leidenschaftlich für Sport interessierte, war Eugen ein schlechter Mitspieler. Als ihm Max Isaacs, der Freund, längst nichts mehr bedeutete, nahm er an Max Isaacs, dem Baseballspieler, noch lebhaftesten Anteil. Max spielte meist Außenpositionen. Wenn ihm zugeschlagen wurde, schnellte er leicht über das ihm zugeteilte Feld, sprang wie ein Panther und fing den Ball mit müheloser Gewandtheit. Max war ein erstklassiger Ballschläger; ruhig-gespannt stand er vor dem Einschenk und traf den Ball voll mit knappem Armschwung und scharfem Schulterruck. Vergeblich versuchte Eugen, die Kraft und Genauigkeit dieses Zuschlags, der den Ball in weitem Bogen sausend über das Feld trieb, nachzuahmen. Es gelang nicht; er hackte plump und blind zu und schlug einen armseligen Aufdotzer in die Base. Im Feld war er ebensowenig zu brauchen. Er lernte es nie, in der Mannschaft zu spielen, ein Glied des organisch-bewegten, telepathisch-vereinten Ganzen zu sein. Er war übererregt, nervös und patzte, sobald er in der Gruppe spielte. Aber er verbrachte Stunden mit einem anderen Buben – oder nach dem Mittagessen mit Ben – beim Fangball zu zweit. Dies Spiel freute ihn; er war äußerst geschickt und schnell. Ben, durch einen behenden Rückwurf überrascht, stieß wilde Flüche aus und schmiß den Ball wütend zurück. Es freute Eugen, wenn der Ball in niederer Kurve ansausend in den lederbesetzten Fanghandschuh klatschte.

      Im Frühjahr und im Sommer ging er, sooft er sich's leisten konnte oder eingeladen war, zu den Baseballspielen der Distriktsliga. Er war ein fanatischer Parteigänger des Stadtklubs und seiner besten Spieler; er träumte sich ständig in die Rolle des Sporthelden, der das Spiel für seine Seite rettet. Praktisch jedoch war es ihm unmöglich, sich der Zucht und den schweren Übungen zu unterwerfen und Niederlagen und Versagen hinzunehmen, wie es einem guten Sportsmann ziemt. Er wollte stets gewinnen, stets den General spielen, stets der heroische Träger des Siegs sein. Und dann wollte er geliebt werden. Siegen und geliebt werden. In schwärmerischen Phantasien sah er sich stets als Sieger und Geliebten.

      Jedoch in Augenblicken klarer Einsicht, in denen ihm das ganze Elend des Lebens mit seinen Niederlagen aufging, erkannte er seine schlaksige, absurde Gestalt, sein unpraktisches, in Träume und Brüten verlornes Antlitz, das ihm viel zu sehr wie eine dunkle, fremde Blume vorkam, um Zuneigung bei Kameraden und Verwandten zu erwecken, eher aber deren Hohn herauszufordern schien. Wehen Herzens entsann er sich der zahllosen Demütigungen, die er zu Haus und in der Schule erlitten hatte … ihm war dann, als seien die Hörner des Siegs im Wald verschallt und die Trommeln und Gongs des Triumphs in der Stille verzittert. Die Adler waren fortgeflogen. Vor seiner Vernunft kam er sich vor wie ein Wahnsinniger, der sich für Cäsar hielt. Er verrenkte den Hals, wandte den Kopf ungelenk zur Seite und schlug die Hand vors Gesicht.

      XVI

      Der Frühling wurde groß. Gegen Mittag schläferte die Sonne. Warme Windstöße flogen um die Giebel. Junges Gras wellte, Gänseblümchen zwinkerten.

      Eugen preßte die hohen Knie gegen die unbequeme Bodenleiste der Sitzbank. In seinen Wachträumen war Heimweh. Zwei Reihen weiter räkelte sich die üppige Bessie Barnes und zeigte ihre langen, seidenbestrumpften Beine. Tu mir das Tor der Freuden auf! Hinter ihr saß ein Mädchen namens Ruth, milchweiße Haut, braunes, in der Mitte gescheiteltes