Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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die Marmorverzierungen an der Fassade selbst ausgeführt; Will Pentland hatte die Hartholzböden und die Eichenbalken geliefert. Das Brunswick war ein häßliches, vielgiebliges Ding im Geschmack der Gründerjahre. Ein reicher Mann aus den Nordstaaten hatte es als Hochzeitsgeschenk für seine lungenkranke Tochter, die nach kurzer Ehe starb, bauen lassen.

      »Das bestgebaute Haus in der ganzen Stadt«, erklärte Gant.

      Aber er lehnte es stracks ab, das Brunswick gemeinsam mit Eliza zu kaufen. Sie sah es blutenden Herzens in die Hände des reichen Altwarenhändlers S. Greenberg übergehen. Greenberg teilte den großen Hintergarten, der bis zur Yancey Street reichte, in fünf kleine Lose, die er binnen eines Jahres als Baugrundstücke zu 1000 Dollar das Los verkauft hatte. Und das Haus stand für 20 000 Dollar im Verkauf. Eliza quengelte: »Wir könnten unser Kapital dreimal zurückhaben!« Sie hatte nie genug Geld flüssig. So fing sie an zu sparen und wartete ab.

      Will Pentlands Vermögen wurde damals auf 500 000 bis 700 000 Dollar geschätzt. Es stak hauptsächlich in Lagerhäusern und Geschäftsbauten im Bahnhofsviertel. Manchmal behaupteten Leute in Altamont – besonders die jungen Herren, die in den Drogerien herumhockten und sich ein Vergnügen daraus machten, den Wohlstand der ortsansässigen Plutokratie ziffernmäßig festzulegen –, Will Pentland sei Millionär. Millionär sein, war damals eine Auszeichnung; es gab nur 6-8000 Millionäre in den USA. Aber Will Pentland war keiner. Er hatte wirklich nur eine halbe Million.

      Aber Mister Goulderbilt, der war Millionär. Er ließ sich in seinem großen Packard zur Stadt fahren, dann jedoch stieg er aus und benutzte den Bürgersteig, ganz wie ein gewöhnlicher Sterblicher.

      Eines Tages – Goulderbilt trat gerade in eine Bank ein – zeigte ihn Gant seinem Sohne Eugen.

      »Das ist er! Siehst Du ihn?« flüsterte Gant.

      Eugen nickte mechanisch. Er hatte die Sprache verloren. Mister Goulderbilt war ein kleines, behendes Männchen. Schwarzes Haar, schwarzer Schnurrbart, schwarzer Anzug. Kleine Hände und Füße.

      »Er hat fünfzig Millionen«, sagte Gant. »Man sieht's ihm nicht an, nicht wahr?«

      Eugen träumte davon, daß diese Geldprinzen fürstlich auftreten sollten, Sie müßten – so wünschte er – in wappengezierten Kutschen mit glänzend livriertem, berittnem Geleit durch die Straßen fahren. Sie müßten glitzernde Ringe an den Händen, hermelinbesetzte Gewänder tragen. Ihre Frauen müßten in juwelenstarrenden Diademen und mit Perlenketten geschmückt dasitzen. Sie müßten in alabasternen Säulenpalästen wohnen, in großen Sälen an ungeheuren, schimmernden Tafeln speisen: Leckerbissen vom Fleisch schwangerer Säue, Pilze in Öl, kalvierten Salm, delikat zubereitetes Wildbret, Karpfenzungen, Fischlippen als scharfes Ragout, Haselmäuse, Salanganennester … ja! mit goldnen Bestecken, mit Löffeln aus Bernstein, Karfunkel und Topas essen, aus achatnen Bechern trinken, sich aus alten, silbergetriebnen, mit Diamanten, Rubinen und Smaragden besetzten Schalen im Feuer von Amethysten, Beryllen und Saphiren bedienen lassen … kurz alles haben, alles tun, was Epikur Mammon begehrte.

      Eugen traf nur einen Millionär, dessen öffentliches Auftreten ihn befriedigte. Und dieser Mann war leider verrückt. Er hieß Simon.

      Als Eugen Simon kennenlernte, war dieser fast fünfzig Jahre alt; er war stark, stämmig, mittelgroß, mit einem braunen; hagern, glattrasierten Gesicht und schattenhohlen, oft von Fingernägeln zerkratzten Wangen. Sein langer schmaler, trauriger Mund war fein und sensitiv; er lächelte ein dämonisches Lächeln, das das ganze Gesicht überflackerte. Simon hatte volles, glattes, stark angegrautes Haar, von den Schläfen straff zurückgestrichen. Er trug locker sitzende, gutgeschnittne Kleider: dunklen Rock zu weiten grauen Flanellhosen, gestreifte Seidenhemden mit dazugehörigen Kragen, lose, volle Krawatten. Seine Westen hatten ein rotbraunes Schachbrettmuster. Simon war eine sehr distinguierte Erscheinung.

      Er zog mit seinen beiden Wärtern nach Dixieland, als Schwierigkeiten in verschiednen Hotels ihn gezwungen hatten, nach privater Unterkunft zu suchen. Er mietete zwei Zimmer mit einer Schlafaltane, zahlte glänzend dafür.

      »Ei was«, sagte Eliza zu Helene, »ich glaub gar nicht, daß da was nicht stimmt. Er benimmt sich so ruhig und hat überhaupt die besten Manieren von der Welt.«

      In diesem Augenblick gellte ein durchdringender Schrei durchs ganze Haus. Dem folgte ein langes, teuflisches Gelächter. Eugen hüpfte, vor Vergnügen quietschend, in der Diele auf und ab. Ben, die Braue finster gerückt, fuhr mit dem Arm aus, als wollte er den kleinen Bruder puffen. Statt dessen aber schnickte er den Kopf seitwärts gegen Eliza und bemerkte mit einem leisen, verächtlichen Lachen:

      »Ich versteh weiß Gott nicht, Mama, warum Du solche Leute ins Haus nimmst. Ich dächte, du hättest genug an Deiner eignen Familie.«

      Helene legte wütend los. »Um Gottes willen, Mama! …«

      Da trat Gant aus der Dämmerung ein. Er trug ein Bündel vom Fleischer auf den Tisch und murmelte rhetorisch vor sich hin. Wieder gellte das Lachen von oben. Gant hob verdutzt den Kopf. Lukas, der aufmerksam am Fuß der Treppe gelauscht hatte, platzte blökend heraus. Helene, geärgert und gleichzeitig amüsiert, ging auf Gant zu und pokte ihn mit dem Finger in die Rippen.

      »Höh!« fragte er erstaunt, »was ist denn los?«

      »Miss Eliza hat 'nen Verrückten droben«, kicherte sie.

      »Jesus, mein Gott!« schrie Gant verzweifelt. Er leckte schnell seinen großen Daumen und blickte flehentlich zu seinem, Schöpfer empor. Dann ließ er wie ein Verzweifelter die Arme fallen, ging hastig auf und ab und schimpfte laut. Eliza stand stumm da, sah eines nach dem anderen an, rollte die Lippen. Ihr weißes Gesicht war gekränkt und bitter.

      Wieder gellte das wilde, hämische Gelächter von droben. Gant hielt inne, fing Helenes Blick auf, grinste unvermittelt und unwollend wie ein Schaf.

      »Gnad uns Gott«, kicherte er, »demnächst wird sie Barnums Mißgeburten als Gäste hierhaben.«

      In diesem Augenblick erschien Simon. In bester Haltung, distinguiert und ernst, kam er mit seinem Geleit, dem Mister Gilroy und dem Mister Flannagan, die Treppe herunter. Die beiden Wärter waren rot im Gesicht und atmeten schwer wie nach einer großen Anstrengung. Simon jedoch war gelassen wie immer in seiner tadellosen, gepflegten Urbanität.

      »Guten Abend«, grüßte er verbindlich, »ich hoffe, ich habe Sie nicht warten lassen.« Sein Blick fiel auf Eugen.

      »Komm mal her, mein Junge«, sagte er sehr gütig.

      »Keine Bange«, bemerkte Mister Gilroy aufmunternd, »er tut keiner Fliege was.«

      Eugen trat herzu.

      »Und wie heißt Du, mein Junge?« fragte Simon mit seinem schönen Satanslächeln.

      »Eugen.«

      »Ein schöner Name«, sagte Simon. »Bemüh Dich stets, seiner würdig zu sein.«

      Mit großartig-nachlässiger Gebärde griff er in die Rocktasche und holte vor den Augen des erstaunten Knaben eine Handvoll blinkender Fünf- und Zehn-Centstücke heraus.

      »Sei immer gut zu den Vögeln«, sagte Simon und leerte den Schatz in Eugens Hände.

      Die Gants sahen Mister Gilroy fragend an.

      »Das? Schon gut!« bemerkte Mister Gilroy vergnügt. »Er entbehrt es nicht. Er hat noch 'ne ganze Menge in der Tasche.«

      »Er ist Multi-milli-onär«, bemerkte Mister Flannagan stolz. »Wir geben ihm jeden Morgen vier bis fünf Dollar in Kleingeld zum Verschenken.«

      Simons Blick war zum erstenmal auf Gant gefallen.

      »Geben Sie auf den Stingaree acht!« rief er. »Und denken Sie an Maine.«

      »Ich will Euch was sägen«, erklärte Eliza. »Er ist gar nicht so verrückt, wie Ihr Euch einbildet.«

      »Stimmt«, sagte Mister Gilroy zu dem schmunzelnden Gant. »Der Stingaree ist ein Fisch; er kommt an den Küsten von Florida vor.«

      »Vergessen Sie die Vögel nicht, meine Freunde«, sagte Simon und ging von seinem Geleit gefolgt hinaus. »Seien Sie immer gut zu den Vögeln!«

      Sie