Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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Formen der Ichsucht waren lebendig in ihm; die innerlich brütende Elizas und die ausdehnungsbeseßne Gants. Ihr Zusammentreffen machte ihn zu einem fanatischen Zeloten der Religion des Geschicks. Über Mißbrauch, Vergeudung, Qual, Tragödie, Tod und Wirrsal erhaben lief die unentwegbare Notwendigkeit in ihren Bahnen: kein Sperling fiel vom Dach, ohne daß sein Aufprallen etwas in seinem Leben gezeugt hätte, und das einsame Licht, das auf die öden, entlegenen Morgenmeere fiel, erweckte meermäßige Verwandlungen: die Fische schwammen aus der Tiefe herauf.

      Der Same unsres Verfalls wird in der Wüste blühen; am Fels wächst das Heilkraut, und unsre Leben werden von einer Schlampe aus Georgia heimgesucht, weil ein Beutelabschneider in Georgia ungehenkt blieb. Das Geschick bewirkt es, daß wir allen anderen ein Gespenst, daß wir selber unsre einzige Wirklichkeit sind. Das Geschick bewirkt es, daß wir die riesenhafte Angel der Welt; daß wir ein Sandkorn sind; daß wir der Stein sind, der zur Lawine wird, der Kiesel, dessen konzentrische Wellenringe über den ganzen Meeresspiegel hinweg weiter und weiter werden.

      Eugen glaubte also, des Lebens Mittelpunkt zu sein. Er glaubte, die Berge umschlössen das Herz der Welt; er glaubte, daß aus dem Chaos der Zufälligkeiten das unvermeidliche Ereignis im unerbittlichen Augenblick käme, um als Summand zur Summe seines Daseins zu treten.

      Gegen die jenseitigen Bergflanken aber schwappte die Welt wie ein verschattetes Meer, in dem die großen Fische seiner Phantasie schwammen. Unendliche Abwechslung war in diesen unbesuchten Regionen, aber Zweck und Ordnung dünkten Eugen dort gewiß. Kein Abenteuer würde dort umsonst sein; Mut würde mit Schönheit, Begabung mit Erfolg, jedes Verdienst nach seiner Richtigkeit und Wichtigkeit belohnt werden. Gefahr und Mühsal zwar würden dort sein, nicht aber Vergeudung und Wirrnis. Kein blindes hilfloses Tasten. Denn das versammelte Schicksal würde im erkornen Augenblick herabfallen, wie eine Pflaume vom Baum fällt. Bezauberung und Unordnung schließen einander aus.

      Frühling war unterwegs im Garten der ganzen Welt. Jenseits der Bergmauer faltete sich das Land auf zu neuen Gebirgen, zu goldenen Städten, reichen Matten, tiefen Forsten, zum Meer. Auf immer und immer.

      Jenseits der Berge lagen die Minen Salomos, die Spielzeugrepubliken Südamerikas, die kleinen klingenden Springbrunnen in den Höfen … jenseits waren die mondhellen Dächer von Bagdad, die schmiedeeisernen Fenstergitter in Samarkand, die Kamele Bythiniens, die spanischen Ranchhäuser … jenseits war J. B. Montgomery, der den Zug einfach auf offner Strecke halten ließ und mit seiner wunderschönen Tochter aus seinem privaten Salonwagen in den weiten wilden Westen ausstieg … jenseits waren das vermögenspendende Kasino von Monte Carlo und das blaue, ewige Mittelmeer, die Mutter der Reiche. Und augenblicklicher Reichtum tickte sich auf Morsestreifen: es erschien der erste Stock des Eiffelturms mit dem Restaurant, wo Franzosen saßen und sich die Schnurrbärte mit der Zigarette anzündeten … es erschien eine Farm in Devon: da gab's weißen Rahm und braunes Ale und Winterabende voll Scherz und Schabernack vor dem großen, offnen Feuerplatz … es erschienen die hängenden Gärten von Babel, Bankette im Sonnenuntergang mit den Königinnen, und – – langsam glitt die Barke auf dem Nil! – – die weißen, üppigen Leiber der Ägypterinnen, auf mondbeglänzten Balustraden kauernd, und der Hufdonner der Rennwagen, der großen Könige hallte, und Schätze in Grabgrüften wurden um Mitternacht gesucht … und das weinselige, an Schlössern reiche Land an der Loire erschien … und kalikogewärmte Beine im Heu …

      Auf einem Feld in Thrakien lag die schöne Helena, sonnscheckig ihr liebreicher Leib.

      Mittlerweile war es mit den Geschäften rechtschaffen gut gegangen. Eliza hatte zwar in den ersten Jahren infolge ihres Krankseins weniger aus Dixieland herausgeschlagen, als sie gerechnet hatte, aber nun war sie saniert. Die letzte Rate war abgezahlt, das Haus gehörte ihr. Der Besitz wurde auf 12 000 Dollar geschätzt. Ferner hatte sie 8500 Dollar gut von einer Lebensversicherung, die in zwei Jahren ablaufen würde.

      In Dixieland hatte sie ausgedehnte bauliche Änderungen ausgeführt. Im Erdgeschoß hatte sie die Veranden erweitert; ein Frühstückszimmer und für sich ein kleines Privatgelaß eingerichtet; in den Obergeschossen hatte sie an zwei neuen Korridoren fünf neue Gastzimmer mit Schlafaltanen und je ein Badezimmer und eine Toilette angebaut. Diese An- und Umbauten waren im allerbilligsten Material ausgeführt; sie verloren nie den Geruch von frischem Holz, Firnis und Stuck; aber das Ganze hatte sie nur 3000 Dollar gekostet. Im Jahre 1911 trug sie eine Reineinnahme von 2000 Dollar auf die Bank; sie hatte dort stets ein Guthaben von fast 5000 Dollar stehen.

      Gemeinsam mit Gant besaß Eliza das Geschäftshaus am Stadtplatz: es hatte zehn Meter Straßenfront; sein Wert wurde auf 20 000 Dollar veranschlagt; es warf ein monatliches Mieteinkommen von 65 Dollar ab: 20 Dollar von Jannadeau, 25 Dollar von der McLean Company im Kellergeschoß, 20 Dollar von der J. N. Gillepie Company, Druckereibetrieb, die den ersten Stock gemietet hatte.

      Außerdem besaßen die Gatten: – Drei Baugrundstücke an der Merrion Avenue, für 2000 Dollar das Stück oder gemeinsam für 5500 Dollar käuflich; – Gants Haus in der Woodson Street, auf 5000 Dollar geschätzt; – eine Farm im Bergwald, rund 50 Hektar Land mit großen Obstbaumstücken und ein paar Äckern, für 110 Dollar im Jahr verpachtet, von den Eigentümern auf 5500 Dollar angeschlagen; – zwei kleinere Häuser, eines in Carter Street, das andre an Duncan Street, für je 25 Dollar im Monat an Eisenbahner vermietet, Wert 5 500 Dollar die beiden; – achtzehn Hektar Land an der wichtigen Reynoldsviller Landstraße zwischen Altamont und Biltburn, 10 000 Dollar wert; – drei Häuser im Negerviertel, an Lower Valley Street, an Beaumont Crescent und an Short Oak. Gesamtwert 3100 Dollar, Mieteinkommen 37 Dollar im Monat; – drei Baugrundstücke am Berghang außerhalb West-Altamont, oberhalb der Hauptverkehrsstraße, je 500 Dollar wert; – und ein Haus an Lower Hatton Avenue, unvermietet und Gegenstand Gantscher Anathema, 4500 Dollar wert.

      Außerdem besaß Gant zehn Stück Aktien in der neugegründeten Fidelity Bank, die bereits 200 im Kurs standen, also 2000 Dollar darstellten; und in drei Banken, der Fidelity, der Merchants und der Battery Hills Bank, hatte er ein Konto von je 1000 Dollar, macht zusammen 3000 Dollar. Sein Lager an Steinen, Monumenten und fliegenverdreckten Marmorengeln stellte, obschon es zu diesem Preis nicht loszuschlagen war, eine Kapitalanlage von 2700 Dollar dar.

      Das Vermögen der beiden Gatten belief sich also auf rund 100 000 Dollar. Das war der Stand zu Anfang des Jahres 1912, das heißt, ehe die Industrie in den Südstaaten sich intensiv und rapide entwickelte, ehe infolgedessen die Einwohnerzahl von Altamont sich verdreifachte und die Bodenpreise ums Vielfache stiegen. Der Hauptsache nach stak das Geld in soliden, von Eliza ausgesuchten Immobilien; es warf 200 Dollar Miete im Monat ab. Dazu kam, was Gant mit seinem Grabsteingeschäft und Eliza mit der Pension verdienten. Ihr gemeinsames Jahreseinkommen lag zwischen 8000 und 10 000 Dollar. Gant pflegte zwar oft, wenn er nicht gerade auf den Besitz an Liegenschaften geladen war, sein Geschäft zum Teufel zu wünschen; er behauptete dann, daß er mit seinen Grabsteinen kaum das tägliche Brot verdiene; tatsächlich aber verdiente er sehr gut; er hatte gewöhnlich ein bis zwei Aufträge von Farmersleuten aus der Umgebung; seine Brieftasche war stets gespickt; er trug 150 bis 200 Dollar in Fünf- und Zehndollarnoten bei sich und ließ Eugen die Scheine öfters zählen, denn das Entzücken des Sohnes über solchen Überfluß machte ihm Spaß.

      Bei ihren Anlagen hatte Eliza ein- oder zweimal Geld verloren: eine romantische Strähne hatte dann über die Gerissenheit und Umsicht in ihr gesiegt. Sie steckte 1200 Dollar in eine Ödlandkolonisation in Missouri, ein völlig utopisches Unternehmen. Sie bekam nichts für ihr Geld. Aber der Unternehmer schickte ihr wöchentlich seine Zeitung und mehrere Prospekte, aus denen zu ersehen war, wie schön die Dinge dort aussehen würden, wenn die Pläne gediehen wären. Und außerdem schickte er ihr einmal eine Terrakottaplastik; dieses dreißig Zentimeter hohe Kunstwerk stellte den Großen Bruder mit seinen Schwestern Jenny und der daumenlutschenden Kate dar. Gant riß wilde Witze über die Gruppe, man solle Eliza das Ding an die Nase hängen. Ben rümpfte die Nase und bemerkte spöttisch, das solle man lieber nicht tun, die drei Kinderchen aus Terrakotta seien ja 1200 Dollar wert.

      Eliza war bereit, auf eigne Faust Geschäfte zu machen, denn Gant war für weitere Grundstückkäufe nicht zu haben. Mit hungrigen Blicken sah sie verschiedne süße Pflaumen in andere Hände fallen. Dabei war es vorauszusehen, daß Land bald unerschwinglich teuer werden würde. Und