Die ganze Nacht Blütenfall. Bald gibt's helle Herzkirschen. Ende Mai Frühapfel. Isaacs' Juniäpfel hängen halb in meinen Garten herüber. Grüne Apfelschnitzen in Speck gebraten, herrlich!
Mit scharfem, gewetztem Durst dachte er ans Frühstück. Er warf das Oberbett glatt zurück, schwang den Leib in Sitzstellung auf den Bettrand, setzte seine etwas schwindsüchtigen Füße auf den Boden. Vorsichtig stand er auf, ging zu dem lederüberzogenen Armstuhl und zog ein paar reine, weiße Socken an. Dann streifte er das Nachthemd über den Kopf und betrachtete einen Augenblick im Spiegel über der Kommode die große, knochige Gestalt, die langen, sehnigen Arme, die hagere, haarige Brust. Der Bauch hing schlaff. Dann fuhr er flink mit den fahlen schlotternden Waden in die Trikothemdhose, weitete das elastische Gewebe durch eine Dehnung des Brustkastens, knöpfte die lange Knopfreihe zu. Dann stieg er in die plastisch-weiträumige, schwere Tuchhose, zog die weichledernen Zugstiefel an. Während er sich die Strippe der Hosenträger über die Schultern legte, ging er in die Küche. In drei Minuten hatte er mit Petroleum und Kienspänen ein lustiges Feuer im Herde brennen. Regsam, lebendig, frisch, so nahm er an der Wachheit des Frühlingsmorgens teil.
Hinter einer schmalen Bresche im Bergwall liegt in einem fruchtbaren, taureichen Tälchen das Gut Lunns Cove. Dort war in dem von Walnußmöbeln gedämpften Dämmer seines Schlafgemachs Judge Webster Tayloe erwacht, der prominente, äußerst wohlhabende, vornehme Mann. Er war Syndikus großer Handelsfirmen, lebte aber von Geschäften zurückgezogen, gab nur noch gelegentlich Konsultation. Er trat ans Fenster und blickte durch die schwarzen Gläser der Brille, die sein langes, subtiles, hochmütiges Gesicht noch aristokratischer machte, auf sein Besitztum hinaus. Einer der schwarzen Knechte kam mit einem Eimer Milch von der Weide; ein anderer wetzte seine Sense, so daß das Blatt in der Sonne blitzte; ein dritter zog langsam, seinen verständigeren Arbeitsgefährten, das Pferd, ermahnend, ein leichtes Gefährt aus dem Wagenschuppen.
Wohlgefällig betrachtete der Gutsherr seinen jungen Sohn, den Mulatten, der mit katzenhaften, träg-geschwinden Bewegungen über den Rasen kam. Der graziöse, elegante Gang des Knaben! Der schlanke, wohlproportionierte, kräftige Leib! Die feinknochigen Glieder! Der wohlgeformte, intelligente Kopf! Die zehrend schwarzen Augen in dem sensitiven, ovalen Gesicht! Der schöne Kupfer-Oliven-Ton der Haut! Der Junge war wie ein Spanier von Hochadel. Quod potui perfeci. Dank solcher Fusion vielleicht sind Menschen imstand, Menschen zu lieben.
Im Flußschilf die Schalmeien! Der Tempel der Musen! Der heilige Hain! Das soll wieder kommen. Warum nicht? Ganz wie in diesem Tal. Auch ich hab in Arkadien gelebt.
Er nahm einen Augenblick die Gläser ab und untersuchte sein linkes Auge. Er litt an einer Lidlähmung. Es sah ans, als hätte er den bösen Blick, besonders da auf der Wange direkt unterm Auge eine häßliche, harlekineske Warze saß. Er setzte die schwarzen Gläser wieder auf. Es war, als ob er eine Halblarve trüge, und es gab seinem subtilen, sinnlichen, unruhig-intelligenten Gesicht einen Zug mysteriöser Unerforschlichkeit.
Sein schwarzer Kammerdiener erschien und meldete, das Bad sei fertig. Er streifte das lange, feingewebte Nachthemd von seinem gepflegten Leib und stieg entschlossen in das lauwarme Wasser. Zehn Minuten lang ließ er sich mit dem Schwamm abwaschen, mit der Bürste schruppen, auf dem Massiertisch von den kräftigen Händen des Negers durchkneten. Dann zog er frische Wäsche und frischgebügelte schwarze Beinkleider an. Nachlässig band er eine schmale schwarze Schleife unter den breiten Umlegkragen und knöpfte um seine hohe gerade Gestalt den Gehrock, dessen Schöße bis zu den Knien reichten. Er nahm eine Zigarette aus dem Kasten auf dem Tisch und zündete sie an.
In der Fahrbahn schlenkernd, durch die Büsche blitzend, kam mit blechernem Geklapper ein Ford die gewundne Straße vom Bergsattel herunter. Zwei Männer saßen darin. Das Gesicht des Gutsherrn wurde hart. Es entspannte sich erst, als das Auto in einer Staubwolke an dem Außengatter seines Besitztums vorbeigefahren war. Ungenau sah er die roten Schweinsgesichter der Gebirgler; seine Phantasie ergänzte das Bild mit schweißstinkenden Arbeitskleidern aus Rippelsamt. Und in der Stadt wohnten die Vettern dieser Burschen. Häuser aus Backstein und Stuck, die weißen Ekzeme der Vorstadt. Confederierte Half-Breeds aller Länder.
In mein Tal nun mit Rasenmähern! Englischen Rasen vor den Häusern! Er drückte seine Zigarette in der Aschenschale aus. Am Fenster stehend überflog er im Geist die Zahl der Pferde, Esel, Rinder, Schweine, Hühner, die aufgespeicherte Fülle der großen Scheunen, den feisten Ertrag der Felder und Baumstücke. Ein schwarzer Knecht kam aufs Haus zu, in der einen Hand einen Korb mit Eiern, in der anderen einen mit Butter. Auf jedem Butterwecken war das Gutszeichen, eine Weizengarbe, gepreßt, jeder Wecken war lose in reines, weißes Leinen gewickelt. Der Gutsherr lächelte grimmig; im Belagerungsfall würde er sich lange halten können.
In Dixieland lag Eliza tief im Schlaf in einer kleinen dunklen Kammer, deren Fenster nur über die Küchenveranda Licht empfing. Das Gelaß war wie eine Wildnis mit dem Schlingkraut von Kordeln und Schnüren verhängt; Stöße von alten Zeitungen und Zeitschriften waren in die Ecken geschichtet; die Bretter der Gestelle waren mit klebrigen, etikettierten, halbleeren Arzneiflaschen und Salbentöpfen vollgestellt. Es roch nach Menthol, Lorbeeröl, süßem Glyzerin, Schnupfensalbe.
Die schwarze Zugeherin kam an, ging ums Haus, stieg träg die steile Hintertreppe neben der hochgepfropften Küchenveranda hinauf. Sie klopfte.
»Wer ist da?« rief Eliza scharf. Sie war sofort wach, stand auf, kam zur Tür. Sie trug ein Nachthemd aus grauem Flanell über einer dicken wollnen, von Ben abgelegten Unterjacke. Wie ein seltenes Meermoos unter Wasser baumelte die Halsstrippe am Nachthemd. Sie öffnete die Tür.
Im ersten Stock, in dem kleinen Vorderzimmer mit der Schlafaltane, schlief Miss Billie Edwards, die kühne, herrische Löwenbändigerin des Wanderzirkus »Johnny L. Jones Combined Shows«, der zur Zeit auf dem Platz am Hügel hinter der Plum-Street-Schule Vorstellungen gab. Nebenan in dem großen luftigen Eckzimmer lag in tiefem, alkoholischem Schlummer Mistress Marie Pert, 41 Jahre alt, Gattin eines meist abwesenden Handlungsreisenden der Drogeriebranche. Auf dem Kaminsims standen in Silberrahmen zwei Photos, eine von ihrer abwesenden 18jährigen Tochter Louise, die andre von Benjamin Gant. Ben lag vor dem Haus im Gras, die Ellenbogen aufgestützt, und trug einen breitkrempigen Strohhut, der sein Gesicht bis zum Mund beschattete. Außerdem waren in ihren Zimmern: – Mister Conway Richards, der die Candy-Wheel-Konzession beim Wanderzirkus hatte, – Miss Lilv Mangum, 26 Jahre alt, approbierte Krankenschwester, – Mister William H. Paskett, 53 Jahre alt, aus Hattiesburg im Staate Mississippi, Baumwollpflanzer, Bankier und Großhändler, malariakrank – samt seiner Gemahlin –. Und in dem großen Zimmer im Obergeschoß Miss Annie Mitchel, 19 Jahre alt, aus Valdosta im Staat Georgia, – Miss Thelma Cheshire, 21 Jahre alt, aus Florence in Süd-Carolina, – und Mistress Rosa Lewin, 28 Jahre alt, aus Chicago, Illinois, –: alle drei Mitglieder der Girltruppe »Molasses Evans and his Broadway Beauties«, die eine Agentur in Piedmont aus Atlanta (Georgia) nach Altamont gebracht hatte.
»Ei Kinder! Der Herzog von Gorgonzola und der Graf Limburger kommen zur Vorstellung! Die müssen amüsiert werden!«
»Kannst Du Dich drauf verlassen!«
»Gebt auf den Kleinen mit dem großen Geldbeutel acht!«
»Kannst Du Gift drauf nehmen, Hurra!«
»Wir sind die Girls, wir haben Spaß,
Mit Reizen nicht geizend, denn wir haben so was,
Wir sind fesch, wir sind nett,
Vergnügt und adrett,
Und wir singen und ta-ta-tanzen …«
Hinter einem mit Plakaten verpappten Bretterzaun an der Upper Valley Street, gegenüber dem Gebäude des Christlichen Vereins