Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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Dich, scheint mir, auf die Lungenheilstätte vor, was?«

      »Ei, schau her, wer da kommt!« brüllte McGuire gastfröhlich. »Dick mit dem todsichern Chirurgenblick, der literarisch gebildete Knochensäger, der Besitzer der feinsten Gallensteinsammlung der Welt! Wann bist Du zurückgekommen, mein Sohn?«

      »Gerade rechtzeitig, wie mir scheint«, sagte Ravenel, die Zigarette blitzsauber zwischen den langen Chirurgenfingern. Er sah auf die Uhr. »Ich glaube, Du hast in einer halben Stunde 'ne kleine Verabredung in Ravenels Klinik, Hugo. Stimmt's?«

      »Bei Gott! Dick«, grölte McGuire, »Du bist doch immer im Recht! Sag mal, was hast Du den Leuten auf dem Chirurgentag erzählt?«

      Ravenels Zuneigung war eine Blume, die hinter der Mauer wächst.

      »Ich hab erzählt, der beste Chirurg in Amerika, wenn er nüchtern ist, sei ein lausiger Säufer namens McGuire, der nie aus dem Rausch raus kommt.«

      »Halt! Halt! Halt!« rief McGuire und hob protestierend die feiste Rechte. »Ich erhebe Einspruch, Dick. Das war gutgemeint, mein Sohn, aber Du hast geirrt. Du wolltest sagen, ›der beste Chirurg, wenn er nicht nüchtern ist‹. Stimmt's?«

      »Haben Sie ein Referat dort gehalten?« wandte sich Coker an Ravenel.

      »Ja«, sagte Ravenel, »ich las meine Abhandlung über Carcinome an der Leber.«

      »Wie wär's mit einem Bericht über Pyorrhoea an den Zehennägeln?« schrie McGuire. »Da könntest Du Dich mal drüber äußern.«

      Harry Tugman, ohne zu wissen worüber, lachte hell auf. McGuire rülpste laut in die Stille, döste einen Augenblick vor sich hin. Er kam wieder zu sich und legte gewichtig los.

      »Literatur! Alles Literatur, Dick! Das hat schon manchen guten Chirurgen ruiniert. Du liest zuviel, Dick. Und Cassius dort hat einen hagern Hungerblick. Du weißt zuviel, Dick. Der Buchstabe tötet den Geist, kannst Du mir glauben. Hast Du jemals bemerkt, daß ich was rausnehme und es nicht wieder einsetze? Jedenfalls, ich laß den Leuten was zum Funktionieren übrig. Ich bin kein Gelehrter, die Vorzüge Deiner Bildung habe ich nicht genossen, Dick. Ich bin ein Menschenmetzger, ein Zimmermann, ein Mechaniker, ein Installateur. Ich bin ein ungeschliffener Diamant, Dick. Ein einfacher Praktiker. Ich schneid dem Patienten das Getriebe raus, spuck 'mal drauf, kratz' die Dreckränder ab und setz' das Zeug dann wieder ein. Ich bin sparsam, Dick. Ich schneid' alles, was ich nicht brauchen kann, raus und brauche alles, was ich rausgeschnitten habe. Wer hat dem Papst 'nen Schwanzwirbel aus 'nem Fingerknöchel gemacht? Wer hat die Dogge zum Heulen gebracht? Ha, hast Du's ja, deswegen sieht der Gouverneur so jung aus. Natürlich, wir sind mit zweckloser Maschinerie angefüllt! Tüchtigkeit! Ökonomie! Leistung! Hast Du die Heinzelmännchen im Haus? Nein? Dann geh und kauf Dir Putzpulver, Marke Goldstaubzwilling! Frag nur den Ben da, der kennt sich aus.«

      »Ach Du mein Gott«, lachte Ben dünn, »nun hör Dir das an, bitte.«

      Zwei Häuser weiter aufwärts, dem Postamt gerade gegenüber, zog der Sizilianer Pietro Mascari den Rolladen vor seinem Geschäft rasselnd in die Höhe. Eine Tram, spielzeuggrün, zum Frühjahr frisch angestrichen, fuhr zum Stadtplatz hinauf.

      »Dick!« sagte McGuire, etwas ernüchtert, »tu mir 'nen Gefallen und übernimm die Operation.«

      Ravenel schüttelte den Kopf.

      »Ich werde dabeistehn«, sagte er, »aber – nüchtern oder nicht – Du mußt schneiden.«

      »Du sollst 'ner Frau 'nen Tumor wegschneiden, was?« fragte Coker.

      »Nein«, sagte Ravenel, »er soll vom Tumor die Frau wegschneiden.«

      »Ich wette, das Ding ist fuffzig Pfund schwer«, bemerkte McGuire mit plötzlich erwecktem Sachinteresse.

      Ravenel zuckte fast unmerklich zusammen. Ein frischer, kühler Luftzug fuhr in den Raum. McGuire zog die breiten Schultern hoch, als wäre ihm ein Eimer kaltes Wasser übergeschüttet worden. Er schien aufzuwachen.

      »Ich möcht ein Bad nehmen«, sagte er zu Ravenel. »Und rasieren muß ich mich.« Er rieb sich das bartstopplige Kinn.

      »Mein Zimmer drüben im Hotel steht zu Deiner Verfügung, Hugo«, sagte Spaugh. Er musterte Ravenel mit bewundernden Blicken.

      »Ich benutze das Bad in der Klinik«, entschied McGuire.

      »Allerhöchste Zeit«, sagte Ravenel scharf. »Machen wir, daß wir fortkommen.«

      »Hast Du gesehn, wie Pelly in Baltimore am John-Hopkins-Institute diese Operation ausführte?« fragte McGuire.

      »Ja«, sagte Ravenel. »Er betete erst sehr lange, um seinen Ellenbogen Kraft zu geben. Der Patient starb.«

      »Verflixte Beterei«, sagte McGuire. »Bei dieser Frau da hilft so was ohnehin nicht. Gestern abend hat sie mich ein gemeines, stinkversoffnes Schnapsluder geheißen. Wenn sie noch in dieser Laune ist, dann kommt sie durch.«

      »Die Weiber hier aus den Bergen vertragen allerhand, bis sie verrecken«, bemerkte Spaugh weise.

      McGuire wandte sich an Coker: »Kommst Du mit?«

      »Danke, nein! Ich geh pennen. Das alte Mädchen brauchte höllisch lang zum Abkratzen. Ich glaubte schon, sie käme nicht zu End damit.«

      Sie brachen auf. McGuire schien nun wieder ziemlich betrunken.

      »Ben«, sagte er, »erzähl Deinem Alten, daß ich ihm die Knochen im Leib kaputt schlag', wenn er nicht dafür sorgt, daß Helene mehr Ruhe hat. Er hält sich nüchtern, was?«

      »Wie soll ich das wissen, McGuire«, antwortete Ben gereizt. »Glauben Sie, ich hätte sonst nichts zu tun, als mich um Ihre Säuferpatienten zu scheren.«

      »Helene is' 'n großartig's Mädchen, mein Junge«, sagte McGuire gefühlvoll. »Eine unter einer Million!«

      »Hugo!! Zum Teufel! Komm jetzt!« rief Ravenel.

      Die vier Ärzte traten hinaus ins perlmutterne Licht. Wiedergeboren, frischgewaschen, rein aus dem fliederfarbnen Dunkel enttaucht, lag die Stadt da. Jung im Frühling die Welt.

      McGuire schob über die Straße zu Ravenels Auto und plumpste schwer ins Lederpolster. Jeff Spaugh fuhr mit spuckendem Motor und einer kavaliermäßigen Handbewegung ab.

      Harry Tugmans Blicke folgten bewundernd McGuires vierschrötiger Gestalt.

      »Ich wette«, sagte er großsprecherisch, »daß es mit dieser verdammten Operation schief geht.«

      »Bewahre!« sagte der ergebne Barkellner. »Ganz und gar nicht! Wenn er nicht mindestens ein Viertel Whisky im Leib hat, kann er nicht arbeiten. Aber gießen Sie ihm ein paar tüchtige Drinks hinter die Binde, und er schneidet Ihnen den Kopf ab und setzt ihn wieder kunstgerecht an, ehe Sie's gewahr werden.«

      Als Jeff Spaugh davonratterte, bemerkte Harry Tugman neidisch: »Schau Dir den Bastard an, Ben! Mister Vanderbilt, was? Bildet sich wer weiß was ein, der klobige Stier! Glaubst Du wirklich, daß er bei den Hilliards auf dem Ball war?«

      »Woher soll ich das wissen?« sagte Ben gereizt. »Geht es mich was an?«

      »Na, es wird ja morgen unter Gesellschaftsnachrichten in unserm Blättchen stehn«, sagte Harry Tugman. Er improvisierte eine zotige Reportage über einen Ball in guter Gesellschaft. Der Barkellner platzte laut heraus. Ben lachte lautlos, gähnte. Müde, gelangweilt, angewidert. »Ach Du mein Gott!«

      Die ersten, reinen jungfräulichen Sonnenstrahlen fielen auf die Straße. In diesem Augenblick erwachte Gant.

      Angenehm, der durch die gelben Fensterblenden gedämpfte Golddämmer. Das helle, flötende, zirpende, zwitschernde Vogelleben im Garten. Er blieb ein Weilchen auf dem Rücken liegen, gähnte abgrundtief, kraulte sich mit der Rechten die dichtbehaarte Brust.

      Das erregende Gluckergackeln der Hennen. Komm und hol's Ei! Die ganze Nacht hindurch für Dich, Herr und Meister. Wie Stimmen üppiger, sich unter Sträuben wollüstig hingebender Jüdinnen. Tu's, tu's nicht! Brich ein Ei in sie!

      Ausgeschlafen, ausgereckt, wach, den warmen Schwall des Federbetts auf den hagern Beinen, horchte er auf das einladende Gahlern der Hennen.

      Aus