»Wenn Sie an mir was zu schneiden haben«, bemerkte Ben, »dann werd' ich verdammt Sorge trägen, daß Sie gerade auf den Beinen stehn können, eh Sie mir mit dem Messer zu Leib rücken.«
»Komm jetzt, Hugo«, sagte Coker und faßte McGuire unter den Achseln. »Hör endlich auf, diese verfluchten Bohnen auf dem Teller rumzujagen. Krabble oder meinetwegen falle von diesem Stuhl runter!«
McGuire, in Säuferträumen verloren, starrte sinnlos auf den Bohnenteller und seufzte.
»Verdammt noch mal, Hugo, komm jetzt!« sagte Coker und stand auf. »In fünfundvierzig Minuten mußt Du operieren.«
»Wer ist das Opfer?« fragte Ben. »Ich möcht' Blumen schicken.«
»… wir alle? über kurz oder lang«, brummelte McGuire dumpf mit gedunsenen Lippen. »… Heute rot, morgen tot. Macht nichts … nein, macht ganz und gar nichts.«
»Um Himmels willen!« wandte sich Ben gereizt an Coker, »wollen Sie ihn wirklich in diesem Zustand operieren lassen? Warum schießen Sie die Patienten nicht lieber tot?«
Coker pflückte die Zigarre aus dem langen, feixenden malariagelben Gesicht.
»Ach was! Junge, der wird ja gerade erst warm!«
Mattschillerndes Licht schwamm am Saum der fliederfarbnen Nacht. Die Grenzen von Hell und Dunkel schwankten. Der Morgen ergoß sich schnell wie eine perlgraue Flut über Felder und Hänge.
Am Rand des Bürgersteigs hielt nun Dr. Tefferson Spaugh in seinem Buick-Sportmodell und stieg aus. Er zog die Handschuhe aus und staubte sich damit die Seidenaufschläge seines Smokings ab. Sein Gesicht, whiskygerötet, mit den hochsitzenden Backenknochen, war eigentlich hübsch. Sein Mund war gradlippig, grausam, sinnlich. Eine ererbte Aura von Schweiß und Maisfeld hing duftlos aber telepathisch um ihn. Er war ein akademisch zurechtgebügelter, mit Kluballüren aufgeputzter Gebirgsfarmer. Vier Jahre auf der Universität von Pennsylvanien verändern einen Menschen.
Er steckte die Handschuhe achtlos in die Rocktasche, trat ein. McGuire, schwerfällig wie ein Bär vom Barstuhl schlüpfend, glotzte ihn stier an. Dann machte er eine herausfordernde, runde Gebärde mit seinen feisten Händen.
»Na, da schaut Euch das an«, sagte er. »Weiß einer, was das ist?«
»Es ist Percy«, sagte Coker. »Du kennst doch Percy van der Gould, nicht wahr?«
»Ich hab die ganze Nacht bei den Hilliards durchgetanzt«, erklärte Spaugh elegant. »Verflucht, meine neuen Lackpumps haben mir die Füße ruiniert!« Er setzte sich auf einen Barstuhl und stellte stutzerhaft seine großen Bauernfüße, die unanständig breit und eckig in den Tanzschuhen wirkten, zur Schau.
McGuire wandte sich ungläubig an Coker: »Was hat er getan?«
»Er hat die ganze Nacht bei den Hilliards getanzt«, erklärte Coker in affektiert-ironischem Ton.
McGuire hielt sich keusch die Hand vor das bartstoppelige Gesicht.
»Drück mich aus, ich bin ein Träubchen!« rief er. »Bei den Hilliards hättest Du getanzt, Du verdammter Gebirgsbankert?! Bind uns doch keinen Bären auf! Du bist auf einem Poon-Tang-Picknick im Negerviertel gewesen!«
Gelächter aus Bullenaugen dröhnte ins perlmutterne Frühlicht.
»Lackpumps!« sagte McGuire. »Drücken ihn an den Füßen. Bei Gott, Coker, als er vor zehn Jahren zum erstenmal in die Stadt kam, da wußte er nicht, was Klosettpapier ist. Man mußte ihn zu Boden schmeißen, um ihm Schuh anzuziehen.«
Ben lachte dünn zu seinem Engel auf.
»Paar Scheiben gebutterten Toast, nicht zu braun, bitte«, bestellte Spaugh delikat beim Barkellner.
»Schweinskutteln mit Sorghum, wolltest Du sagen, Bastard! Oder Pökelfleisch mit Polenta! Wie Du's in Deiner Jugend gefressen hast«, rief McGuire.
»Wir sind zu roh für so 'nen feinen Herrn«, bemerkte Coker. »Nachdem er sich in den beßren Familien besoffen hat, ist er ein sehr begehrter Gesellschafter geworden. Sein Ruf ist so groß, daß er zur offiziellen Hebamme für alle schwangren Jungfrauen befördert wurde.«
»Ja«, sagte McGuire, »er ist der Freund aller Jungfrauen. Er hilft ihnen aus der Klemme. Er hilft ihnen nicht nur raus, er hilft ihnen auch wieder rein.«
»Ist doch wohl nichts dabei, oder doch?« fragte Spaugh, »solang die Sache unter uns bleibt, was?«
Gelächter schaukelte in den zärtlichen Tag.
»Der Ton hier wird mir zu rauh«, sagte Horse Hines neckisch und stand auf.
»Schütteln Sie wenigstens Coker die Hand, eh Sie weggehn, Horse«, mahnte McGuire. »Er ist der beste Geschäftsfreund, den Sie haben. Sie sollten ihm Prozente zahlen.«
Das Licht, das nun eindrang, war weich und unirdisch wie das Licht, das den Meeresboden bei Santa Catalina füllt, wo die großen Fische schwimmen.
Plattfüßig, von Nierenschmerzen den Rücken gebeugt, den Uniformrock offen, kam der patrouillierende Schutzmann Leslie Roberts durch das submarine Perlenleuchten geschlapst. Er blieb stehen und blickte, den Gummiknüttel leise auf dem Rücken dengelnd, mit seinem hohlen, leberkranken Gesicht durch die offne Tür.
»Da kommt Dein Patient«, sagte Coker zu McGuire, »der hartleibige Hüter der Ordnung.«
Laut, mit großer Herzlichkeit, grüßten alle:
»Wie geht's, Les?«
»So leidlich, leidlich«, sagte der Polizist trübselig wie sein tierabhängender Schnurrbart. Er schlapste knieschnacklig weiter, den Rinnstein entlang.
»Somit guten Morgen, Gentlemen«, sagte Horse Hines und wollte gehn.
»Halt! Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen sagte, Horse! Seien Sie nett gegen Ihren besten Geschäftsfreund!« McGuire deutete mit dem Daumen auf Coker.
Der Leichenbestatter war gekränkt.
»Ich vergesse es nie«, sagte er ernst. »Wir beide stehen in ehrenvollen Berufen. In der Stunde des Todes, wenn das sturmgerüttelte Schiff in den Hafen der Ruhe einläuft, dann sind wir die Vertrauensmänner des Allmächtigen.«
»Ei, Horse! Das nenn ich Beredsamkeit!« rief Coker.
»Alle die heiligen Riten, das Zudrücken der Augen, das Falten der Hände und das Ausrecken der Glieder, die Herrichtung des leblosen Gehäuses, das die abgeschiedne Seele zurückläßt, bedeuten einen erhabnen Auftrag. Wir, die Lebenden, sind es, die Balsam in das gebrochne, kummervolle Herz der Hinterbliebnen gießen, die die Witwe in ihrem Schmerz trösten, die die Tränen der Waisen trocknen, wir sind es, die Lebenden, die dafür sorgen, daß …«
»… diese Staaten vom Volk für das Volk durch das Volk regiert werden«, schloß McGuire ab.
»Sie haben recht, Horse«, sagte Coker. »Ich bin tief gerührt. Und was mehr ist, wir tun das alles nämlich umsonst. Ich berechne keinen Cent für die Tröstung der Witwe.«
»He, aber wie war das doch mit der Einbalsamierung der kummergebrochnen Herzen?« fragte McGuire.
»Ich sagte Balsam gießen, nicht einbalsamieren«, bemerkte Horse Hines kalt.
»Sagen Sie mal, Horse«, fragte Harry Tugman, der mit großem Interesse zugehört hatte, »haben Sie nicht diese Rede letzten Sommer auf der Tagung der Leichenbestatter gehalten?«
»Was damals wahr war, ist es auch heute«, sagte Horse Hines bitter und ging weg.
Gerade nun stoppte Dr. Ravenel seinen Hudson vor dem Postamt auf der anderen Straßenseite und kam schnell herüber, seine Handschuhe unterwegs ausziehend. Er war barhaupt; sein dünnes, aristokratisches Silberhaar war ein wenig wirr vom Wind. Seine grauen Chirurgenaugen blickten scharf durch dicke Brillengläser. Er hatte ein famoses, ruhiges, tiefgesammeltes Gesicht, glattrasiert, aschgrau, hager, in dem ab und zu die Lichter eines