»Ja, ich will«, sagte Eugen. Dankerfüllt und erleichtert. Wie gut sie alle zu ihm waren! Es drängte ihn, leidenschaftliche Gelübde abzulegen, große Versprechungen zu machen. Er wollte es aussagen, konnte jedoch nicht. Es gab zu viel zu erklären.
Und so beging er diese Weihnachten, die mit elterlichem Rat anfingen, in Zerknirschung, unter Liebesbezeigungen und in Schicklichkeit. Sie versteckten ihr wildes Leben unter Gesellschaftskleidern und feierten das Fest in den üblichen, konventionellen Formen. Sie dachten »nun sind wir wie andre Familien«, aber sie waren schüchtern und steif und scheu wie Bauern im Sonntagsanzug.
Schweigen aber konnten sie nicht. Keineswegs, daß sie engherzig oder gemein waren, nein, es war ihnen lediglich nicht anerzogen, Selbstbeherrschung zu üben, sich zurückzuhalten oder sich einen Zwang aufzuerlegen. Helene hing das Mäntelchen nach dem Wind ihrer Hysterien. Der ungewisse Wechsel von Ebbe und Flut ihres Temperaments bestimmte sie. Manchmal, wenn sie daheim vor ihrem Feuer saß und sich matt fühlte und draußen den Wind heulen hörte, dann überkam sie etwas, so daß sie Eugen fast haßte.
»Es ist lachhaft, geradezu lachhaft!« sagte sie zu Lukas. »Wie er sich aufführt! Er ist doch noch ein grüner Junge. An ihn ist alles gehängt worden, an uns nichts. Nun sieht man, wohin es geführt hat.«
»Die Universität hat ihn ruiniert«, sagte der Seemann, durchaus nicht betrübt darüber, daß sein Licht in dieser schlimmen Finsternis um so heller brannte.
»Warum sprichst Du nicht mit Mama darüber?« sagte sie gereizt. »Auf mich hört sie ja nicht. Sag ihr genau das! Du hast ja gehört, wie sie es dem alten, armen Papa unter die Nase gerieben hat, nicht wahr? Glaubst Du, der Alte – krank wie er ist – wäre dran schuld? Eugen ist ja gar kein Gant, er schlägt in ihre Familie. Er ist ein Querkopf, wie alle Pentlands. Wir, wir sind die Gants«, erklärte sie mit bitterm Nachdruck.
Eugen tat vielfache Buße für seinen Fehltritt. Die Nachwehen gingen ihm entsetzlich auf die Nerven. Er zählte die Stunden bis zu seiner Abreise, beherrschte sich, war wie ein Stier unterm Joch, schwieg still.
Er wandte sich an Ben. Und das hätte er nicht tun sollen. Ben, tief unzufrieden mit sich selbst, verschlossen, verbissen, gepeinigt, zur Verzweiflung getrieben und von Selbsthaß aufgerieben, tadelte ihn bitter und scharf. Es war unerträglich. Eugen kam sich verraten und betrogen vor, so anmaßend, aufsässig und vorwurfsvoll begegnete ihm Ben.
Drei Tage vor seiner Abreise abends im Empfangszimmer kam es zum Ausbruch. Ben hatte ihm fast eine Stunde lang in wildem Monoton Vorhaltungen gemacht, offenbar in der Absicht, ihn zum Angriff zu reizen. Eugen, kochend vor Wut, hatte an sich gehalten und ihn angehört.
»…und stell Dich nicht so hin, Du kleiner Gauner, und stier mich an. Ich sag Dir alles zu Deinem Besten, damit kein Zuchthausvogel aus Dir wird.«
»Dir fehlt es einfach an Erkenntlichkeit«, sagte Lukas. »Du merkst nicht, was alles für Dich getan wird. Für Dich wird jedes Opfer gebracht, und Du siehst es nicht einmal ein. Die Universität hat Dich ruiniert.«
Eugen wandte sich langsam an Ben.
»Jetzt ist's genug, Ben«, erklärte er mit äußerster Beherrschtheit. »Was der Lukas da quatscht, ist mir schnuppe, aber von Dir hab ich jetzt genug gehört.«
Darauf hatte Ben gewartet. Sie waren alle furchtbar aufeinander geladen.
»Spiel Dich nicht so auf, Du Tropf, oder ich schlag Dir den Schädel in Stücke!«
Fauchend wie eine Katze fiel Eugen über Ben her. Er packte ihn, hob ihn hoch und legte ihn glatt zu Boden, als wäre er ein Kind. Ben war so schwach und zerbrechlich, daß sich Eugen augenblicklich seiner körperlichen Überlegenheit schämte. Seine Wut war schon halb verflogen, als Lukas, aufgeregt quietschend, ihn hinterrücks anfiel. Lukas strangulierte Eugen am Hals und schlug mit der andern Hand tölpisch auf ihn ein.
»Pack ihn b-b-bei den B-b-beinen, B-b-ben!« stotterte Lukas.
Eine wüste Rauferei entwickelte sich. Der Radau umfallender Stühle und Feuergeräte brachte Eliza sofort an die Tür.
»Barmherzigkeit!« schrie sie, »sie bringen ihn um!«
Eugen fauchte und schlug um sich wie ein Irrsinniger. Obgleich er überwältigt wurde, hielt er sich gut, oder in der stolzen Sprache des alten Südens ausgedrückt: Er unterlag, wurde aber nicht geschlagen.
Dann, als es vorbei war, und er wieder sprechen konnte, sagte er ruhig, das Beben in seiner Stimme bemeisternd:
»Es tut mir leid, Ben, daß ich Dich angefallen habe. Du«, – er wandte sich an den aufgeregten Seemann, – »hast Dich hinterrücks über mich hergemacht wie ein Feigling. Aber trotzdem – was vorgefallen ist, tut mir leid. Auch mein Benehmen am Weihnachtsabend tut mir leid; ich habe es deutlich und oft genug gesagt, aber Ihr konntet die Sache nicht ruhen lassen. Und Du, Ben, hast alles getan, um mich mit Deinen Reden zum Äußersten zu bringen. Ich hätte es nicht«, – keuchte er – »nein, ich hätte es nie für möglich gehalten, daß Du mich so im Stich lassen könntest. Daß die andern mich hassen, das weiß ich …«
»Dich hassen!« schrie Lukas aufgeregt. »Um Go-go-gottes willen, Du bist nicht bei Trost! Wir geben uns alle Mühe zu Deinem Besten, wir wollen Dir helfen, weiter nichts. Warum sollten wir Dich hassen?«
»Ja, Du haßt mich!« sagte Eugen, »und Du schämst Dich, es einzugestehn. Ich weiß nicht, warum Du mich haßt, aber es ist Tatsache. Du hast Angst, die Dinge beim richtigen Namen zu nennen.« Er wandte sich wieder anklagend an Ben: »Mit Dir, Ben, ist es ganz anders. Wir sind immer wie Brüder zueinander gestanden, und nun hast Du Dich auf die Gegenseite geschlagen.«
»Ach was!« knurrte Ben und wandte sich nervös ab. »Du bist verrückt. Ich weiß überhaupt nicht, wovon Du sprichst.« Er zündete eine Zigarette an, das Zündholz flackerte in seiner zitternden Hand.
»Kinder, Kinder!« sagte Eliza kummervoll. »Wir müssen versuchen, einander zu lieben. Es kann das letzte Mal sein, daß wir alle beisammen sind.« Sie fing an zu weinen. »Ich hab so ein schweres Leben gehabt, nichts wie Kampf ums Dasein und Plackerei, und ich verdiene wirklich ein bißchen Glück und Frieden.«
Die alte, bittre Scham voreinander befiel sie. Sie konnten sich nicht in die Augen sehn. Und die ungeheure, rätselhafte und schmerzliche Verwirrung, die an ihrem Leben riß, machte sie bedrückt und still.
»Kein Mensch, Eugen«, begann Lukas ruhig, »hat sich gegen Dich gestellt. Wir wollen Dir einfach helfen, damit was Rechtes aus Dir wird. Die letzte Möglichkeit steht bei Dir. Wenn der Alkohol die Macht über Dich bekommt, die er über uns andre bekommen hat, dann bist Du verloren.«
Eugen war sehr erschöpft. Seine Stimme klang matt und leise. Er sprach aus stumpfer Verzweiflung. Was er sagte, hatte eine unbestreitbare Endgültigkeit.
»Und wie willst Du es verhindern, Lukas, daß der Alkohol die Macht über mich bekommt? Etwa dadurch, daß Du mich hinterrücks anfällst und mich strangulierst? Das sieht ganz so aus, wie all Deine andren Versuche, mich zu verstehn.«
»Aha!« sagte Lukas ironisch, »Du glaubst also, wir verstünden Dich nicht, was?«
Eugen antwortete ganz still:
»Nein, Ihr versteht mich nicht, das weiß ich. Du weißt überhaupt nichts von mir. Und ich weiß nichts von Dir, nichts von den andern. Ich habe siebzehn Jahre unter Euch gelebt, und ich bin ein Fremdling. Hast Du in all diesen Jahren auch nur einmal wie ein Bruder zum Bruder mit mir geredet? Hast Du mir je etwas von Deinem eignen Leben gesagt? Hast Du je versucht, mein Freund oder mein Kamerad zu sein?«
»Ich weiß nicht, was Du verlangst«, antwortete Lukas. »Ich habe einfach mein Bestes getan. Und was hätte ich Dir von meinem eignen Leben erzählen können; was willst Du denn wissen?«
»Also aha!« sagte Eugen langsam. »Du bist sechs Jahre älter als ich, Du bist aufs Polytechnikum gegangen, Du hast in Großstädten gearbeitet, und jetzt bist Du bei der Kriegsmarine eingetreten und wirst ausgebildet. Warum eigentlich benimmst Du Dich immer, als wärst Du Gott, der Allmächtige?« fuhr er mit wachsender Erbitterung fort. »Ich weiß doch, wie es Matrosen treiben. Sie saufen,