»Wha! Wha! Ein Unterseeboot hat mich torpediert!« erklärte er. »Es ist nichts«, sagte er dann bescheiden. »Ich hab ein Stückchen Haut abgegeben, um einem Kerl dort auf der Schule auf die Beine zu helfen.«
»Wa-a-as?!« kreischte Eliza. »Wieviel hast Du hergegeben?«
»Ach, nur 'nen kleinen Streifen, zwanzig Zentimeter«, erklärte er lässig. »Der arme Kerl hatte sich schlimm verbrannt; da sind ein paar von uns hingegangen und haben ihm jeder mit einem Streifen Haut ausgeholfen.«
»Barmherzigkeit!« rief Eliza aus. »Du wirst lebenslänglich gelähmt bleiben. Es ist ein Wunder, daß Du gehn kannst.«
»Er denkt immer an andre, dieser Junge«, erklärte Gant stolz. »Er würde sein Herzblut für seine Mitmenschen hergeben.«
Der Seemann hatte sich einen extra Handkoffer besorgt und hatte eine Auswahl guter Getränke für seinen Vater darin verstaut: mehrere Flaschen Scotch Whisky und Rye Whisky, zwei Flaschen Gin, eine Flasche Rum, eine Flasche Portwein und eine Flasche Sherry.
Vor dem Abendessen waren alle plötzlich so mild und gesellig aufgelegt.
»Geben wir dem armen Kleinen auch was zu trinken!« sagte Helene. »Es wird ihm nichts schaden.«
»Was? dem Baby! Gelt, Sohn, Du wirst keinen Tropfen anrühren, nicht wahr?« sagte Eliza neckisch.
»Nicht wahr?« sagte Helene und pockte ihn mit dem Zeigefinger. »Ha! Ha! Ha!«
Sie schenkte ihm einen tüchtigen Schluck Scotch Whisky ein.
»Hier!« kredenzte sie fröhlich. »Das kann Dir nichts schaden.«
»Sohn!« sagte Eliza ernst, das Weinglas in der Hand balancierend, »ich möchte nicht, daß Du je Geschmack daran findest.« Sie hing noch immer treu an der Doktrin ihres Vaters; des alten Majors.
»Nein, beileibe nicht!« sagte Gant. »Das ruiniert einen Menschen schneller als alle anderen Übel der Welt zusammengenommen.«
»Nimm eines Narren Rat an«, sagte Lukas. »Wenn der Suff die Oberhand über Dich kriegt, Jung', dann ist's rum.«
Sie überhäuften ihn mit schönen Warnungen, als er sein Glas hob. Er würgte einen Augenblick, als ihm der feurige Whisky in der Gurgel brannte. Der Atem blieb ihm aus, Tränen traten ihm in die Augen. Er hatte nur sehr selten vorher genippt; ganz geringe Mengen, die ihm Helene in der Woodson Street verabreicht hatte, und einmal mit Jim Trivett einen Schluck, woraufhin er sich ganz beschwipst vorgekommen war.
Nach dem Essen tranken sie wieder. Sie erlaubten ihm »einen Kleinen«. Dann gingen sie alle in die Stadt, um ihre letzten, verspäteten Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Er blieb allein im Haus.
Der Whisky rollte warm und angenehm in seinen Adern, badete seine zappeligen Nervenenden, gab ihm ein Gefühl von Macht und Ruhe, wie er es nie gekannt hatte. Er ging in die Speisekammer, wo die Flaschen aufbewahrt wurden. Er nahm ein Wasserglas und füllte es experimentierlustig zu gleichen Teilen mit Whisky, Gin und Rum. Dann setzte er sich an den Küchentisch und trank langsam das Glas aus.
Der furchtbare Trank schmiß ihn um mit der Wucht und Plötzlichkeit einer Boxerfaust. Er war auf der Stelle betrunken, und auf der Stelle wußte er, warum Menschen trinken. Es war – das merkte er – einer der großen Augenblicke seines Lebens. Er lag da, gierig und beobachtete, wie der Trank die Herrschaft über sein jungfräuliches Fleisch gewann; er war wie ein junges Mädchen, das zum erstenmal von seinem Liebhaber umarmt und besessen wird. Und plötzlich ward ihm klar, wie sehr er seines Vaters Sohn, wie ganz und gar, mit was für einer erhöhten Daseinslust und welch einer erlesenen Verfeinerung der Sinne er ein Gant war. Er freute sich über seinen langen Leib und seine großen Glieder, an denen die Zaubermacht des mächtigen Likörs ein besseres Wirkungsfeld habe. In der ganzen Welt gab es seinesgleichen nicht mehr, gab es keinen zweiten Menschen, der so dafür geschaffen war, erhaben und großartig betrunken zu sein. Betrunkensein war größer als alle Musik, die er gehört hatte, es war so groß, wie die größte Dichtung. Warum hatte man ihm das nie gesagt? Warum hatte niemand entsprechend darüber geschrieben? Warum, wenn es möglich war, sich einen Gott in der Flasche zu kaufen, ihn zu trinken und dadurch selber ein Gott zu werden, waren die Menschen nicht immer betrunken?
Er erlebte den Augenblick des großen, herrlichen Wunders, in dem wir einfache, ungesagte, begrabne Dinge in uns entdecken. Tatbestände, die bewußt, aber unausgesprochen in uns liegen. So mag sich ein Mensch vorkommen, der nach dem Tode im Jenseits aufwacht und um sich den Himmel erkennt.
Eine göttlich lähmende, schwere Starre bekroch nun sein Fleisch. Seine Glieder wurden steif, seine Zunge wurde dick und dicker, bis sie endlich ganz ungelenk war. Er sprach laut vor sich hin, wiederholte schwierige Sätze über und über, lachte laut und verzückt über seine Bemühungen. Über seinem betrunknen Körper hing sein Bewußtsein wie ein Falke in der Schwebe. Es sah hohnvoll auf ihn herunter. Es nahm kummervoll und mitleidig von seinem Gelächter Kenntnis. Es war etwas Unsichtbares, Unberührbares in ihm, etwas, das jenseits seiner selbst und über ihm war: – ein Auge innerhalb des Auges, ein Hirn über seinem Hirn, der Fremdling, der in ihm wohnte, der ihn betrachtete, der er selbst war, der Fremdling, den er nicht kannte. Aber, dachte er, ich bin nun allein in diesem Haus; wenn es mir gelingen könnte, diesen Fremdling kennenzulernen, will ich's versuchen.
Er stand auf, verließ die helle, warme Küche und ging hinaus in die Diele, wo ein trübes Licht brannte und die hohen Wände eine kalte Nässe ausschwitzten. Das also, dachte er, ist das Haus.
Er setzte sich in einen großen, hölzernen Sessel und lauschte auf das kalte Gesinter der Stille. Das ist das Haus, in dem ich als Verbannter weilte. Es haust ein Fremdling in diesem Haus, und es haust ein Fremdling in mir.
O Haus des Admet, in dem ich (obschon ein Gott) so vieles ertrug. Nun Haus, ich fürchte mich nicht. Kein Gespenst braucht vor mir bange zu sein. Wenn da eine Tür in die Stille führt, soll sie sich auftun. Meine Stille ist größer als Deine. Und Du, der Du in mir bist, Du, der ich selber bin, tritt hervor aus dem stillen Gehäus meines Fleischs, das keine Anstalten trifft, Dich zu verleugnen. Niemand kann uns sehn: O komm mit ungebeugter Miene, o komm, mein Bruder und mein Herr! Wären mir vierzigtausend Jahre gegönnt, dann würde ich sie alle, bis auf die neunzig letzten, der Stille schenken. Ich würde an der Erde anwachsen, wie ein Hügel oder ein Fels. Entwirke dieses Gewebe aus Tagen und Nächten; wickle mein Leben zurück von der Spule bis zu meiner Geburt; nimm mich heim in die Nacktheit und baue mich wieder auf aus allen Summen, die ich nicht gezählt habe. Oder laß mich das lebendige Antlitz der Dunkelheit sehn, laß mich das furchtbare Urteil Deiner Stimme vernehmen.
Da war nichts als die lebendige Stille des Hauses: keine Türen taten sich auf.
Alsbald stand er auf und verließ das Haus. Er trug weder Mantel noch Hut; er konnte sie nicht finden. Dichter Nebelrauch hing um die Laternen; alle Geräusche waren gedämpft und heiter; die Erde war erfüllt von Weihnacht. Es fiel ihm ein, daß er noch keine Geschenke gekauft hatte. Er hatte ein paar Dollars in der Tasche. Ehe die Läden schlössen, mußte er für jeden in der Familie etwas erstehen. Barhaupt ging er zur Stadt hinauf. Er wußte, daß er betrunken war; er wußte, daß er wankte; aber er glaubte, daß er seinen Zustand vor den Leuten verbergen könne. Der Bürgersteig war betoniert mit einem einfachen, quadratischen Muster; in der Mitte lief eine Riefe. Er fixierte den Blick auf diese Riefe; er tappte, schwankte, geriet davon ab, kehrte aber sofort wieder zu dieser Leitspur zurück. Als er ins Geschäftsviertel kam, war die Straße voll von Leuten, die ihre letzten Einkäufe gemacht hatten. Auf allem lag eine Stimmung des Erfülltseins und Vollendethabens. Die Leute strömten heim zum Weihnachtsfest. Er ging vom Staatplatz die schmale Avenue h8nunter, an starrenden Passanten vorbei. Er hielt sich streng an die Riefe. Er wußte nicht, wo er hingehn wollte. Er wußte nicht, was er kaufen sollte.
Als er am Eingang von Woods Drogerie vorüberkam, erschallte von drinnen das laute Lachen der Galane. Im nächsten Augenblick starrte Eugen in die freundlich grinsenden Gesichter zweier früherer Klassenkameraden aus Leonards Schule. Dies waren Julius Arthur und Van Yeats.
»Zum Teufel! Wo willst Du hin,