Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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Jahren umsetzen. Heutzutag muß man im Handel schnell sein, so daß der Ball im Rollen bleibt. Verstehst Du? Das ist die Art, Geld zu machen!«

      »Barmherziger Heiland!« stöhnte er. »Die Werkstatt ist meine letzte Zuflucht auf Erden! Weib! Hast Du denn gar keine Spur von Mitgefühl? Ich flehe Dich an: laß mich in Ruhe sterben, es dauert ja nicht mehr lang. Nachher kannst Du mit dem Zeug machen, was Du willst. Aber laß mir ein bißchen Frieden. In Jesu Namen, ich bitte Dich drum.« Er schnüffelte, als wolle er weinen.

      »I wo«, sagte Eliza, vermutlich in der Hoffnung, ihn aufzumuntern. »Dir fehlt ja kaum was. Gut die Hälfte ist nichts wie Einbildung.«

      Er stöhnte, wandte sich ab.

      Der Sommer starb auf den Bergen. Ein Hauch von Rostrot, kaum merklich, lag auf dem Laub. Die nächtlichen Straßen waren voll von traurigem Gelispel. Die ganze Nacht hindurch, schlafsüchtig auf seiner Altane, lauschte Eugen auf die seltsamen Herbstlaute. Und alle die vielen Geräusche, die das helle, heiter drängende Sommerleben in die Stadt gebracht hatte, waren merkwürdigerweise wie über Nacht verschollen. Die Fremden waren in den weiten Süden heimgekehrt. Die ganze Nation war vom feierlichen Ernst und der Spannung des Kriegs bestrickt. Eugen hatte das Gefühl, in einem grimmig-grauen Zwielicht zu leben. Ihm war, als sei die Freude gestorben, und er spürte, wie tastend der Glaube an Wunder und Ruhm in ihm erwachte. Das Land erholte sich aus dem ziellosen, unordentlichen Taumel der ersten Kriegsmonate und fing an, die großen Maschinen aufzubauen: – Maschinen, um Haß und Falschheit zu mahlen und durch Druck zu verbreiten – Maschinen, um die Ruhmsucht aufzupumpen – Maschinen, um die Opposition zu knebeln und zu zerstampfen – Maschinen, um junge Männer regimentsweise zu drillen.

      Aber etwas von echtem Wunder war über die Nation gekommen. Die Flammengarben und Leuchtraketen der Schlachtfelder warfen ihren Widerschein über die weiten Ebnen. Junge Männer aus Kansas sollten in der Pikardie fallen. Irgendwo, noch Erz in fremder Erde, lag das Eisen, das sie erschlagen sollte. Das Bewußtsein der unbekannten Mächte Schicksal und Tod war plötzlich auf Gesichtern zu lesen, auf denen sonst nichts Besondres zu lesen stand … und die Vereinigung des Fremdartigen mit dem Alltäglichen ist es ja, die das Wunder bewirkt.

      Lukas war zu seinem Ausbildungskursus nach Newport gefahren. Ben begleitete Helene und Gant nach Baltimore. Gant hatte sich, ehe er sich im Hospital zur Radiumbehandlung einstellte, noch einmal tüchtig der Sauferei ergeben. Sie wurden aus dem Hotel rausgeschmissen und mußten in ein andres ziehn. Schließlich lag der Alte erschöpft auf seinem Bett, stöhnte und verpuffte in gotteslästerlichen Flüchen die Kraft, die er viel lieber aufgespart hätte, um Dutzende frischer Austern mit Bier und Whisky durcheinander herunterzuwaschen. Sie tranken alle ziemlich viel, Gants Unmaß jedoch war derart, daß Ben sich davor ekelte und Helene darüber in rasenden Zorn versetzt wurde.

      »Verdammter Alter!« schrie Helene, packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn. »Ich könnte Dich prügeln! Nicht Du bist krank, sondern ich bin's, und Du hast mich krank gemacht. Du wirst noch leben, wenn ich längst unterm Rasen liege, Du selbstsüchtiger, alter Kerl! Es macht mich rasend, so was!«

      Er lag stinkbesoffen und gleichgültig auf dem unordentlichen Bett.

      »Aber Baby!« grölte er und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. »Gott soll Dich schützen. Ohne Dich könnte ich nicht leben!«

      »Sag nicht Baby zu mir!« schrie sie.

      Aber am nächsten Tag, als sie ins Hospital fuhren, hielt sie seine Hand. In der Tür blieb er stehn, sah sich um, schaute lange auf die Stadt hinunter.

      »Hier war ich als Junge!« murmelte er traurig.

      »Mach Dir keine Gedanken«, tröstete sie. »Es wird alles wieder heil. Du wirst wieder ganz wie ein Junge sein.«

      Hand in Hand traten sie in die Wandelhalle, wo – flankiert von Tod und Schrecken, umhuscht von der geschäftigen Sachlichkeit der Pflegerinnen und den hurtigen Schatten der stillen Männer mit den grauen Gesichtern und den kleinen bohrenden Augen, die so sicher zwischen gebrochnen Leben einhergehn – die Arme in einer Gebärde ungeheuren Mitleids gebreitet, vielmals größer als Gants größter Engel, ein Standbild des lieben Herrn Jesus steht.

      Eugen besuchte die Leonards mehrere Male. Margaret sah dünn und krank aus, aber das große Licht schien deshalb umso heller zu brennen. Nie zuvor hatte ihn ihre ruhige Geduld, die große Gesundheit ihres Geistes so beeindruckt. All seine Sünden, all seine Schmerzen, alle Trübsal und Seelenqual waren ausgetilgt vor der Strahlenkraft dieses Leuchtens. Der Tumult und das Böse fielen von ihm ab wie ein schmutziger, zerschlissener Mantel; ihm war, als stünde er in neuen, nahtlosen Gewändern aus Licht.

      Aber von dem, was ihm das Herz bedrückte, konnte er wenig gestehn. Er hätte gern gebeichtet, sich entlastet, sich befreit – aber er wußte im voraus, daß er nicht davon reden könne, daß sie ihn nicht verstehn würde. Sie war zu weise für alles außer dem Glauben. Einmal, ganz verzweifelt, wollte er zu ihr von Laura sprechen. Er platzte linkisch heraus. Noch ehe er ein paar Worte gesagt hatte, fing sie an zu lachen und rief ihrem Gatten zu:

      »Stell Dir diesen Burschen mit einem Mädchen vor! Ei was, Junge? Du hast ja keine Ahnung, was Liebe ist! Schlag Dir das aus dem Sinn und denk in zehn Jahren mal wieder dran!«

      Sie lachte zärtlich vor sich hin mit einem geistesabwesenden, von Tränen vernebelten Blick.

      »Der alte Eugen mit einem Mädchen! Das arme Ding, man muß ja Mitleid mit ihm haben! Lieber Gott, Junge, damit hat es noch lange Zeit. Dank Deinen Sternen dafür!«

      Er neigte schnell den Kopf und schloß die Augen. O Du, meine liebste Heilige, dachte er, wie nah bist Du mir gewesen, wenn je überhaupt ein Mensch mir nah war! Wie habe ich mein Denken bloßgelegt, damit Du mich sehen solltest! Und wie gern hätte ich mein Herz bloßgelegt, wenn ich's gewagt hätte! … Und wie sehr bin ich allein, wie sehr bin ich immer allein gewesen.

      Nachts ging er mit Irene Mallard spazieren. Die Stadt war trübselig und abschiedsöde; ein paar Leute gingen vorüber, von kurzen Windstößen vorwärts gepufft. Ihre feine Müdigkeit hielt ihn im Bann. Sie gab ihm Trost, und er rührte sie nie an. Aber er entlud sein Herz vor ihr, zitternd und leidenschaftlich. Sie saß neben ihm und streichelte seine Hand. Es schien ihm, als ob er sie nie gekannt hätte, bis er sich Jahre später an sie erinnerte.

      Dixieland stand fast leer. Abends packte Eliza umständlich seinen Koffer. Befriedigt zählte sie die gebügelten Hemden und die gestopften Socken.

      »Nun hast Du genug gute, warme Sachen, Sohn. Gib acht drauf!«

      Sie steckte Gants Scheck in seine innere Brusttasche und machte die Tasche mit einer Sicherheitsnadel fest.

      »Paß mir scharf auf das Geld acht, Junge! Man weiß nie, wer mit einem im Zug fährt.«

      Er trödelte nervös zur Tür, er wollte sich das Abschiednehmen sparen und sich drücken.

      »Mir scheint doch, Du könntest wenigstens einen Abend zu Haus bei Deiner Mutter verbringen«, sagte sie streitsüchtig. Ihre Augen waren naß, ihr Mund verzog sich zum bebenden Lächeln des Selbstmitleids. »Ich will Dir was sagen, es sieht sehr komisch aus, nicht wahr? Du kannst keine fünf Minuten bei mir bleiben, ohne daß Du mit der erstbesten Frau ausreißen möchtest. Es ist schon recht, schon recht! Ich beklage mich nicht. Mir scheint nur, daß Kochen und Nähen und Kofferzurechtmachen das einzige ist, wozu ich gut bin.« Sie brach geflissentlich in Tränen aus. »Sonst bin ich Dir zu nichts gut! Ich hab Dich den ganzen Sommer nicht einmal richtig ansehn können.«

      »Nein«, sagte er bitter. »Du hattest zuviel zu tun, um nach Deinen Kostgängern zu sehn. Glaub doch nicht, Mama, daß Du mir nun in letzter Minute zusetzen kannst«, rief er, dessen Gefühle bereits ganz von ihr verwirrt waren. »Tränen sind billig! Ich war die ganze Zeit da, und Du hattest nie Zeit für mich. Um Gottes willen, mach Schluß damit! Es steht ohnehin schlimm genug um uns. Mußt Du Dich denn jedesmal so aufspielen, wenn ich wegfahre? Willst Du mich so elend machen, wie es nur möglich ist?«

      Elizas Augen waren sofort trocken.

      »Also, ich will Dir was sagen«, begann sie hoffnungsvoll. »Wenn ich ein paar Geschäfte abschließe und die Sache gut geht, dann