Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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einer, mächtig im Licht, so nah, daß er ihn mit den Händen hätte greifen können, wenn er auf den Berg hinter dem »Judenschloß« hinaufgestiegen wäre. Ein andrer, ganz niedrig, hing wie eine Ampel über den Häuptern der Menschen, die nun nach Hause zurückkehrten. (O Hesperus, Du bringst uns alles Gute!) Einer hatte sein Licht ausgesandt in der Nacht, als Ruth zu Füßen des Boas lag, einer hatte der Königin Isolde geleuchtet, einer über Korinth und Troja gestanden. Es war Nacht, weite, brütende Nacht. Nacht, Mutter der Einsamkeit, die uns vom Makel des Tages reinigt. Er badete im großen Strom der Nacht, in den Gangesfluten der Erlösung. Seine bittre Wunde war für den Augenblick geheilt; er hob sein Gesicht zu den stolzen und zarten Sternen, zu den Sternen, die ihn zu einem Gott und zu einem Sandkorn machten, ihn, den Bruder der ewigen Schönheit, den Todessohn. Allein – – allein.

      »Ha-ha-ha-ha-ha!« Helene lachte heiser und stocherte ihn in die Rippen. »So, Dein Mädchen ist abgereist und hat geheiratet, was? Hat Dich zum Narren gehalten, ist Dir abspenstig geworden!«

      Eliza spielte die Neckische. »Ei wa-a-as? Ist mein Jungchen, wie die Leute sagen, dem Mädchen nachgestiegen?« Sie kicherte in die vorgehaltne Hand. Dann zog sie eine vorwurfsvolle Schnute.

      »Um Gottes willen, was für Leute sagen was?« knurrte er ärgerlich. Er legte die Stirn in zornige Falten. Als er den Blick seiner Schwester auffing, mußte er, trotz seiner Wut, grinsen. Sie lachte.

      »Na, Eugen«, sagte Helene ernsthaft, »vergiß drauf! Du bist ja noch ein Bub. Und Laura ist 'ne erwachsne Frau.«

      »Ei aber Sohn!« sagte Eliza spöttisch. »Das Mädchen hat Dich die ganze Zeit genasführt.«

      »Ach bitte, hört doch auf davon!«

      »Komm, sei wieder vergnügt!« mahnte Helene herzhaft. »Die schönen Jahre kommen ja erst für Dich. In einer Woche wirst Du die ganze Geschichte vergessen haben. Es gibt viele andre Mädchen, weißt Du, das war so eine Kinderliebschaft. Zeig ihr, daß Du Dir nichts draus machst. Du solltest ihr einen Hochzeitsglückwunsch schicken.«

      »Aber gewiß«, sagte Eliza, »ich an Deiner Stelle würde die ganze Sache als Spaß auffassen. Ich würde sie es nicht merken lassen, daß es mir was ausmacht. Ich würde ihr einen großartigen Brief schreiben und lachend über die ganze Sache hinweggehn. Ich würde es ihr zeigen! Ja, ganz gewiß würde ich …«

      »Ach um Gottes willen, laßt mich in Ruhe!« stöhnte er. Sprang auf und verließ das Haus.

      Den Brief aber schrieb er. Im Augenblick, als der Briefkastendeckel zugefallen war, packte ihn die Scham. Denn er hatte stolz und prahlerisch geschrieben, hatte mit griechischen, lateinischen und englischen Versen, unangebracht und ungenau zitiert, um sich geworfen, und zwar aus keinem andern als dem erbärmlichen, offensichtlichen Grund, seinen gewichtigen Verstand und seine tiefe Gelehrsamkeit vor ihr darzutun. Sie sollte sich kränken, sollte einsehn, wen sie an ihm verloren habe. Und gegen Schluß war ihm doch sein heftig pochendes Herz davongestürmt:

      … und ich hoffe, daß er Deiner wert ist – aber er kann Dich ja nicht verdient haben, niemand könnte das. Aber wenn er wenigstens weiß, wen er hat, ist's mir ein Trost. Ach, der Glückliche! Du hast recht, ich bin zu jung. Ich würde eine Hand hingeben, wenn ich dafür acht oder zehn Jahre älter werden könnte. Gott schütze und erhalte Dich, meine liebe, liebe Laura.

      Etwas in mir möchte zerspringen. Es möchte, aber es wird nicht. Es ist noch nie zersprungen. O mein Gott, zerspränge es doch! Ich werde Dich nie vergessen. Ich bin nun verloren und werde den Weg nie wieder finden. Um Gottes willen, schreib mir ein paar Reihen, wenn Du diesen Brief erhältst. Schreib mir, wie Du nun heißt, und wo Du wohnen wirst. Laß mich nicht ganz aus Deinem Leben gehn, ich bitte Dich drum, laß mich nicht allein.

      Er hatte den Brief ins Haus ihres Vaters geschickt, an die einzige Anschrift, die er wußte. Woche um Woche verging. Jeden Tag, morgens und nachmittags, war er fieberhaft und furchtsam gespannt, wenn der Postbote kam – und dann, als keine Nachricht kam, glitt er in den Sumpf des Trübsinns. Der Juli ging herum; der Sommer war am Entschwinden. Sie schrieb nicht.

      Auf der dämmernden Terrasse, lachend, in Erwartung der Mahlzeit, saßen die Kostgänger und schaukelten, schaukelten, schaukelten.

      Die Kostgänger sagten: »Dem Eugen ist sein Mädchen davongegangen. Den Eugen hat sein Mädchen sitzen lassen. Dem Eugen ist sein Mädchen untreu geworden. Der arme Kerl, er weiß nicht, was er tun soll, seit das Mädchen weg ist.«

      Eine kleine Göre mit fetten, braunen Waden über den kurzen Söckchen, Tochter einer der beiden fetten Schwestern, deren Gatten Hotelangestellte in Charleston waren, führte langsam einen Reigentanz um ihn auf: »Eugen! Eugen! … hat sein' Schatz verloren … hat sein' Schatz … hat sein' Schatz … hat sein' Schatz verlo-o-oren …«

      Das fette Kind schlüpfte zu seiner fetten Mama, um seine Belobigung einzuheimsen; die beiden sahen einander mit dem gleichen, lose hängenden Lächeln um die dicklippigen Münder an.

      »Laß Dich nicht hänseln, großer Junge! Was ist denn los? Hat Dir ein andrer Dein Mädchen weggeschnappt?« fragte, eine große schwarze Zigarre im Mund, Mister Hake, Handlungsreisender in Mehl, ein forscher, junger Mann von sechsundzwanzig Jahren, mit einer von feinem Blondhaar dünn befransten Glatze.

      Seine Mutter, Strohwitwe, fast fünfzig, mit einem scharfgeschnittenen Indianergesicht, hochgekämmtem, gelbgefärbtem Haar und einem groben Lächeln voll von Goldplomben und Herzlichkeit, schaukelte mächtig auf und ab, und sagte heiser-mitleidig lachend: »Such Dir 'ne andre, Eugen! Ach was! Da würde ich mich keine zwei Minuten grämen!« Er erwartete immer, daß sie mit Nachdruck und Gusto ausspucken würde, wenn sie sich geäußert hatte.

      »Sie brauchen sich Sorgen zu machen, das haben Sie gerade nötig«, sagte Mister Farrel aus Miami, der Tanzlehrer. »Frauen sind wie Straßenbahnwagen, wenn einem eine wegfährt, kommt in spätestens fünfzehn Minuten eine andre. Nicht wahr, Lady?« sagte er keck zu Miss Clark aus Valdosta im Staate Georgia, der zulieb er seine Meinung zum besten gegeben hatte. Sie antwortete mit einem gurgelnden Gahlern: »Ach, die Männer sind doch wirklich schlimm«, meinte sie.

      Am Terrassengeländer gelehnt in der dichter werdenden Dämmerung stand Mister Jake Clapp, der wohlhabende Witwer aus Old Hominy, in verstohlenem Liebeswerben um Miss Florry Mangle, die Krankenpflegerin. Ihr blasses, schlaffes Gesicht schwamm wie ein weißer Klecks im Halbdunkel. Sie sprach mit müder, weinerlicher Stimme:

      »Ich dachte mir's ja, daß sie zu alt für ihn wäre, als ich sie sah. Eugen ist ja noch ein Junge. Der Schlag hat ihn schwer getroffen. Man braucht ihn bloß anzusehn, dann weiß man, wie elend er ist. Er wird krank werden, wenn das so weiter geht. Er ist spindeldürr und ißt fast nichts. Wenn jemand so abmagert, wird er im Handumdrehn widerstandslos gegen die nächtsbeste Krankheit, die ihn anfliegen kann …«

      Ihr melancholisches Geweine dauerte an, während Jake verstohlen sich mit dem Schenkel an sie rieb. Sie stand neben ihm, die Arme vorsichtigerweise über ihre Hängebrüste gekreuzt. Durch die graue Dämmerung wandte Eugen den beiden sein ausgehungertes Gesicht zu. Er sah aus wie eine Vogelscheuche, die schmutzigen Kleider schlotterten um seinen abgemagerten Leib. Seine Augen funkelten im Dunkel wie Katzenaugen. Das Haar fiel ihm in die Stirn, ungewaschen, ungekämmt, verklebt wie eine Fasermatte.

      »Er wird drüber wegkommen«, sagte Jake Clapp, in seiner gedehnten bäurischen Redeweise, einen Unterton von Geilheit in der Stimme. »Das ist Kälberliebe, jeder Junge muß das durchmachen. Als ich so alt war wie Eugen …«

      Er preßte seinen harten Oberschenkel leise an Florry, grinste breit mit seinen paar Goldzähnen. Er war ein Kerl wie ein Baum, mit einem höckerigen Glatzkopf, mongolische Schlitzaugen im hartgeprägten, lüsternen Gesicht.

      »Es wäre besser, er gäbe acht«, greinte Florry trübselig. »Ich weiß, wovon ich spreche. Der Junge ist gar nicht fest mit seiner Gesundheit …«

      Eugen starrte die Kostgänger mit einem steten Haß an. Plötzlich fauchte er wie ein wildes Biest und rannte von der Terrasse, taumelnd vor wahnwitzigem, ersticktem Zorn.

      Die sogenannte Miss Brown saß derweilen steif und geziert da. Aus dem Wintergarten erschien die hohe elegante