Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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tun Sie denn, Eugen?« sagte sie leise. Ihre veilchenfarbnen Augen waren ein wenig müde. Sie duftete nach einem erlesenen Rosenparfüm.

      »Lassen Sie mich allein!« murmelte er.

      »Sie können es nicht so weiter treiben!« mahnte sie leis. »Sie ist es nicht wert. Kein Mensch wäre es wert. Reißen Sie sich doch zusammen!«

      »Lassen Sie mich allein«, knurrte er wütend. »Ich weiß, was ich tu.« Er riß sich heftig los, stürzte in den dunklen Garten davon, rannte hinters Haus.

      »Ben!« rief Irene Mallard scharf.

      Ben stand auf; er hatte bei Mistress Pert auf der Schwingschaukel gesessen.

      »Sehen Sie, daß Sie ihn aufhalten!« sagte Irene Mallard.

      »Er ist verrückt«, murmelte Ben. »Wo ist er hingegangen?«

      »Hier herum, hinters Haus. Machen Sie schnell!«

      Ben eilte über den abschüssigen Rasen.

      Die Rückwand von Dixieland hing über dem Abhang; sie war hochgepfropft. Als Stützen dienten ein Dutzend weißgetünchter, etwa drei Meter hoher Backsteinsäulen. An einem dieser Pfosten, dessen Gemäuer schon bröckelte, ließ die Vogelscheuche ihre Wut aus.

      »Verruchtes, verrottetes Haus! Ich werde Dich töten! Einreißen werde ich Dich!« keuchte er. »Ein Wrack wirst Du sein, gemeines Haus, aber die Kostgänger wirst Du unter Deinen Trümmern begraben!«

      Er rannte mit der Schulter gegen den Pfosten; Bauschutt regnete herunter.

      »Verrecken sollen sie in Deinen Trümmern, Haus!« tobte er.

      »Narr! Was machst Du!?« schrie Ben und sprang ihn an. Er packte ihn von hinten bei den Armen und zog ihn fort. »Bildest Du Dir ein, daß sie zurückkommt, wenn Du das Haus da in Trümmer schmeißt? Gibt's keine andern Frauen auf der Welt, daß Du Dich so gehn läßt?«

      »Laß mich los!« tobte Eugen. »Was geht es Dich an?«

      »Glaub doch nicht, daß ich mich drum schere«, sagte Ben wild. »Du tust niemandem weh, außer Dir selber. Glaubst Du, es macht den Kostgängern was aus, wenn es Dir gelingt, ihnen das Haus überm Kopf einzureißen?« Er schüttelte den Jungen. »Nein. Nein. Weißt Du, mir ist es gleich, was Du machst. Bilde Dir doch nicht ein, daß ein Mensch auf der Welt darnach fragt, ob Du Dich selber umbringst oder nicht. Ich möchte der Familie lediglich Umstände und Begräbnisunkosten sparen, weiter nichts.«

      Eugen schrie, versuchte sich loszureißen. Verzweifelt hielt Ben ihn fest. Da hob Eugen ihn hoch und schleuderte ihn mit ungeheurer Anstrengung gegen die weiße Wand. Ben ließ ihn los und fiel zusammen. Er bekam einen Hustenanfall, er hustete trocken, die Hand auf den mageren Brustkasten gepreßt.

      »Sei doch kein Narr!« keuchte er.

      »Hab ich Dir wehgetan?« fragte Eugen dumpf.

      »Nein, geh ins Haus und wasch Dich. Und ein- oder zweimal die Woche könntest Du Dir die Haare kämmen, verstehst Du? Du kannst nicht wie ein Wilder rumlaufen. Und iß Dich mal wieder richtig satt. Hast Du Geld?«

      »Ja, ich habe genug.«

      »Bist Du wieder in Ordnung?«

      »Ja – – sprich nicht davon, bitte.«

      »Du Narr, ich habe nicht die geringste Lust, davon zu sprechen. Ich möchte nur, daß Du ein bißchen Vernunft annimmst«, erklärte Ben. Er richtete sich wieder auf, wischte seinen von der getünchten Wand weißgewordnen Rock ab. Er schwieg eine Weile. Dann sagte er ganz ruhig: »Zur Hölle mit der ganzen Bande, Eugen! Zum Teufel mit ihnen! Laß Dich von dieser Gesellschaft nicht unterkriegen! Nimm, was das Leben Dir bietet, und scher Dich einen Dreck um den ganzen Betrieb! Niemand und nichts schert sich um Dich. Zur Hölle damit, zur Hölle! Es gibt schlimme Tage. Es gibt gute Tage. Du wirst vergessen. Es gibt viele Tage. Man muß die Fünf gerade sein lassen.«

      »Ja«, sagte Eugen trübselig. »Man muß die Fünf gerade sein lassen. Es ist wieder gut. Ich bin zu müde. Wenn man müd ist, ist einem alles schnuppe. Wenn mir nun einer einen Revolver vor die Brust hielte, wär mir's auch gleich. Ich würde nicht mal erschrecken. Ich bin es einfach müde.« Er begann zu lachen, erlöst, mit einem gewissen, fast köstlichen Erleichtertsein. »Von nun an bekümmere ich mich um niemanden und nichts auf der Welt mehr. Ich habe immer vor allen möglichen Dingen auf der Welt Angst gehabt, aber wenn ich es dann müde wurde, war mir alles schnuppe. Und so werde ich über alles hinwegkommen: ich werde es müde sein.«

      Ben zündete eine Zigarette an.

      »Das klingt schon besser«, sagte er. »Sehen wir, daß wir was zu futtern kriegen!« Er lächelte dünn. »Komm mit, kleiner Simson!«

      Sie gingen langsam ums Haus.

      Er wusch sich und aß tüchtig. Die Kostgänger hatten gespeist und gingen fort: – ein paar zum Kurkonzert auf dem Stadtplatz, ein paar ins Kino, andre wieder auf einen Bummel durch die Stadt. Eugen ging nach dem Essen heraus auf die Terrasse. Sie war dunkel, fast leer. Auf der Seitenschaukel saß Mistress Selborne mit einem reichen Holzhändler aus Tennessee. Ihr dunkles, üppiges Lachen strudelte leis auf aus dem Bottich der Nacht. Die sogenannte Miss Brown saß allein für sich auf einer Schaukel. Sie war eine untersetzte, sehr unauffällig angezogne Person von neununddreißig Jahren, von jener leichtkomischen Geziertheit, jener allzubedachten Vornehmheit, mit der Prostituierte inkognito auftreten. Sie benahm sich ungemein wohlerzogen, sie betonte mit jeder Allüre, daß sie eine perfekte Lady sei.

      Die sogenannte Miss Brown wohnte, so gab sie an, in Indianapolis. Sie war nicht häßlich: ihr Gesicht war einfach völlig durchtränkt von jener unausrottbaren Doofheit, die die Leute aus den Mittelweststaaten auszeichnet. Trotz ihres langen, dünnen, unzüchtigen Mundes wirkte ihr Gesicht spießig. Sie hatte ziemlich viel Haar von einem gleichgültigen Braun, eine glatte, rötliche Haut, verhältnismäßig kleine braune Augen.

      »I wo!« sagte Eliza von ihr, »wenn ihr Name Miss Brown ist, dann will ich Mistress Smith heißen.«

      Es hatte geregnet. Die Nacht war kühl und schwarz. Die Blumenbeete vorm Haus waren feucht, es roch stark nach Geranien. Er zündete eine Zigarette an. Miss Brown schaukelte.

      »Es hat sich abgekühlt«, sagte sie. »Das bißchen Regen hat gutgetan, nicht wahr?«

      »Ja«, sagte er. »Es war widerlich heiß. Ich hasse so 'ne Hitze.«

      »Ich auch«, sagte sie. »Deswegen verreise ich jeden Sommer. Sie hier in den Bergen wissen ja eigentlich gar nicht, was richtige Hitze ist.«

      »Sie sind aus Milwaukee, nicht wahr?«

      »Indianapolis.«

      »Ich wußte, es war dort in der Gegend. Ist es 'ne große Stadt?«

      »Ja, man könnte ganz Altamont dort in 'ne Ecke stellen, und es würde verschwinden.«

      »Wie groß?« fragte er neugierig. »Ich meine: wieviel Einwohner?«

      »Genau weiß ich's nicht. Über dreimalhunderttausend, die Vorstädte einbegriffen.«

      Er dachte befriedigt nach.

      »Ist es hübsch dort? Ich meine: nette Häuser und feine öffentliche Bauten?«

      »Ja«, sagte sie nachdenklich, »das würde ich schon behaupten. Es ist nett und gemütlich dort.«

      »Und wie sind die Leute? Was tun sie? Viele Reiche, was?«

      »Ja, schon. Reiche Leute gibt's massenhaft. Viel Großhandel und Fabriken, wissen Sie.«

      »Und die Reichen wohnen wohl in großen Häusern und fahren in großen Autos herum. Und sicher essen sie gut, was?«

      »Ei gewiß! Besonders viel deutsche Küche. Machen Sie sich was aus deutscher Küche?«

      »Bier!« murmelte er lüstern. »Wird dort noch Bier gebraut?«

      »Ja.« Sie lachte. Etwas Wollüstiges klang in ihrer Stimme mit. »Sie scheinen mir ein loser Bube zu sein, Eugen!«

      »Und die Theater und Bibliotheken? Da gibt's wohl allerhand zu sehn, was?«

      »Ja.