Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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ja, Signore, die schönen, hellen Mansarden oben! – Sind gottlob jetzt alle vermietet! Oh, es ist ein Elend, wen sie leer stehen, ein himmelschreiendes Elend! Ein halbes Jahr lang hat die Mansarde leer gestanden, die der Signore Spini jetzt hat – die Madonna hat seine Schritte zu uns gelenkt!«

      »Gewiß. Aber vor ihm war doch auch ein Maler darin, der jetzt verreist ist und wiederkommt, nicht?«

      »O nein, Signore! In der Mansarde des Signore Spini hat drei Jahre lang eine Fächermalerin gewohnt, und die, oi me! Sie hat sich das Leben genommen, la poveretta! Und darum wollte niemand nachher hineinziehen. Aber dem Signore oben ist das egal, hat er gesagt, er glaubt nicht an umgehende, ruhelose Seelen. Schlimm, sehr schlimm für ihn, Signore, aber wir waren doch froh, wie er mit seinem Malerkrimskrams von Rom hier oben einzog – –«

      Fürst Hochwald nickte der alten Hexe einen »Guten Tag« zu und ging heim, um eine Erfahrung reicher, die ihn mit Mitleid für das falsch verstandene Standesbewußtsein des Cavaliere erfüllte, dem er eine Dosis von Verachtung nicht vorenthalten konnte, trotzdem er sich sagte, daß die Verhältnisse hier Milderungsgründe erforderten. Vor allem durfte er mit keinem Zucken seiner Wimpern verraten, daß er an den »Malerfreund« Spinis nicht glaubte, denn wozu den Stolz eines Menschen verletzen, wenn keine Notwendigkeit dafür vorlag. Und was die Anfertigung der »Antiquitäten« anbetraf, so war das Spinis eigene Gewissenssache und daneben Sache des dummen Publikums, das sich davon täuschen ließ durch seine Unwissenheit. –

      Hochwald berührte unwillkürlich den »Rokoko«-Fächer in der Brusttasche seines Überziehers und lächelte – gehörte er doch auch unter das dumme Publikum Spinis, der selbst Kennern so geschickte und kühne Streiche zu spielen verstand. Nein der Mann fing an, ihn zu interessieren, teils durch sein wirklich künstlerisches Können, teils durch seine ganze Existenz. Daheim in der Via Maggio fand er schon die »Kassette der Bianca Capello«. Nein, dieses Stück verriet selbst dem Wissenden keinen Anachronismus, denn das Holz war alt, durch Vergraben und grelles Sonnenlicht wohl geschwärzt, die Wurmlöcher diskret gebohrt oder mit Schrot hineingeschossen, die Beschläge und Schlösser nach guten, alten Vorbildern augenscheinlich gefertigt und die Farben mit Terpentin und Sikkativ matt und antik aussehend gemacht, die Zeichnung im reinsten Geschmack des Cinquecento.

      »Schade um dieses Talent«, sagte der Fürst abermals und dachte dann während seiner Siesta weiter über dieses Problem nach.

      Ein paar Stunden später, als es vom Campanile des Doms sechs Uhr schlug, traf er mit dem Cavaliere vor der Haustüre des Grafen Erlenstein zusammen.

      »Gute Nachricht, Fürst!« rief ihm Spini entgegen. »Mein Freund ist heut angekommen – vor einer Stunde etwa um seine Sachen nach Rom zu verpacken. Die Madonna della Stella steht zu Ihrer Verfügung.«

      »Ah – das freut mich«, sagte Hochwald lebhaft, und da ihm der gespannt auf ihn gerichtete Blick des Cavaliere nicht entging, setzte er hinzu: »Wie schade, daß Ihr Freund Florenz verläßt.«

      »Morgen schon«, erwiderte Spini. »Ich ziehe infolgedessen auch um. Der Borgo San Jacopo behagt mir nicht. Eine ruhige Wohnung in der Nähe der Porta al Prato habe ich schon in petto – etwas weit vom Verkehr, aber das paßt mir. Karten, Aufträge und sonstiges nimmt für mich der Oberkellner im Restaurant Rossini in der Via Condotta entgegen, da ich meine Bekannten so weit nicht zu mir bemühen darf.«

      »Rossini, Via Condotta 12«, murmelte der Fürst und schrieb die Adresse in sein Notizbuch. »Und wie regele ich meine Schuld mit Ihrem Freunde?«

      »Ja so – – oh, am besten durch mich«, entgegnete Spini, seine Vermittlerrolle sehr natürlich spielend. Dabei nannte er einen Preis für die Kopie des Gemäldes, der das Maximalmaß nicht allzusehr überschritt.

      Nun aber ist der Italiener aller Klassen das Feilschen und Handeln so gewöhnt, daß er von einem Käufer die glatte Zahlung des zuerst verlangten, meist geschraubten Preises gar nicht erwartet. Als der Fürst daher die geforderte Summe in einer wohlgeglätteten Banknote seinem Portefeuille entnahm und ohne ein Wort dem Cavaliere überreichte, wurde letzterer ordentlich rot.

      »Ich hatte mir vorgenommen, meinem Freunde zu sagen, daß die Summe wohl doch zu hoch ist«, sagte er unsicher.

      »Aber gar nicht«, erwiderte der Fürst. »Die Kopie ist meisterhaft und würde dem Beato Angelico selbst Bewunderung entlockt haben. Ich erwartete keine niedrigere Summe!«

      Schweigend steckte Spini die Banknote zu sich, kritzelte auf eine seiner Visitenkarten »pour acquit für eine Kopie der Madame della Stella von Signore Ferrante Rana« und reichte sie dem Fürsten.

      »Es hätte dessen nicht bedurft«, entgegnete Hochwald, diese Quittung ohne zu zucken annehmend, um sie sogleich zu zerreißen. »Bitte, sagen Sie Ihrem Freunde meinen verbindlichen Dank für sein Entgegenkommen.«

      Wieder malte sich auf dem dunkeln Gesichte Spinis etwas wie Scham oder Verlegenheit, aber wieder schwieg er und folgte dem Fürsten in den Palazzo, in dessen mit einer köstlich modellierten Zisterne geschmücktem Hofe die Schwestern Erlenstein mit den Geschwistern Chrysopras schon warteten. Boris strahlte, denn Sigrid war annähernd gnädig gewesen und trug sogar die von ihm dargebrachte Teerose im Knopfloch ihres Jacketts. Der Ausdruck strahlenden Glückes aber, der bei Spinis Ankunft das häßliche Gesicht Saschas verklärte, fiel dem Fürsten viel mehr auf. Und doch suchten die eigentümlichen, hellen Augen des Cavaliere nur Sigrids schöne, kühle Züge, die auf den leidenschaftlichen, stummen Appell dieser Augen so gar nichts zu erwidern hatten – und die arme Sascha senkte betrübt den Kopf.

      Doch die Natur des Menschen neigt zum Egoismus, und da Gräfin Iris dem Fürsten jetzt die kleine behandschuhte Rechte zum Gruß bot und diesen Gruß dabei mit einem kindlich-reizenden, fast scheuen Aufblick ihrer wunderschönen Veilchenaugen begleitete, vergaß Hochwald die jungen Leiden seiner Nichte, um nur nichts von dem süßen Zauber dieser holden Mädchenblüte zu verlieren.

      Die kleine Gesellschaft begab sich alsbald auf den beabsichtigten Spaziergang, dessen Ziel heut der Giardino di Boboli war. Man wählte den kürzesten Weg zum Ponte alle Grazie, passierte den Fondaco San Niccolo und stieg die Via della Costa San Giorgio hinan zum Belvedere. Der herrliche Park des Palazzo Pitti war menschenleer, denn er war heut dem großen Publikum nicht zugänglich; kein Tourist mit rotem Baedeker oder braunem Gsell-Fels bewaffnet, machte die schattigen Laubgänge und Ufer der stillen Teiche unsicher, kein »Reizend!« oder »Nein, wie nett« – kein »Very splendid, indeed« störte heut den unvergleichlichen Genuß, den dieser herrliche Fleck Erde dem Auge bietet. Verstummt ist der Lärm der Großstadt, die uns majestätisch zu Füßen liegt mit ihren Kuppeln und Türmen, überragt von dem blauen, im Höhenduft verschwimmenden Zuge der Apenninen, getaucht in das Gold der westlich sich neigenden Sonne.

      »Haben Sie auch bei diesem Anblick Sehnsucht nach der Nordsee, Gräfin Iris?« fragte Fürst Hochwald seine Nachbarin, die, gelehnt an die Galerie des Casino del Belvedere, wortlos hinausblickte auf das großartige Bild zu ihren Füßen.

      »Wie eigen – ich dachte gerade an die Nordsee«, erwiderte sie überrascht. »Wahrscheinlich, weil man sich immer nach dem sehnt, was man nicht hat«, setzte sie mit allerliebster Weisheit hinzu.

      »Oder was man nicht kennt«, vollendete der Fürst lächelnd.

      »Oder was man nicht kennt«, wiederholte sie nachdenklich und fügte lebhafter hinzu: »Aber ich kenne Heines Nordseelieder – kenne sie auswendig, alle, alle! Ist das nicht Sehnsucht oder gar – Heimweh?«

      »Vielleicht beides, Gräfin«, sagte Fürst Hochwald. »Auch ich habe sie oft gelesen und wieder gelesen, die Nordseelieder, in meiner Einsamkeit, wenn die graugrünen Wellen mir ihren Schaum fast bis vor die Füße warfen. Aber auswendig weiß ich nicht alle.«

      »Natürlich nur die Ihnen liebsten, die Ihrer Nordsee so recht zum Klange und zur Stimmung paßten«, erwiderte Iris eifrig.

      »Der Nordsee und mir, Gräfin.«

      »O bitte, sagen Sie mir, welches Ihre Lieblinge sind!«

      »›An die bretterne Schiffswand‹ – ›Es träumte mir von einer weiten Heide«