Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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Traume zu schauen gewähnt, es blieb in Wirklichkeit bestehen in dem matten, rötlichen Schein der Nachtlampe – Sigrid, die neben ihrem Bette kniete und ihre heißen Tränen auf die Hand der Schwester rinnen ließ.

      »O Sigrid – Sigrid!« murmelte Iris noch ganz traumbefangen.

      »Verzeih mir, Liebste, Beste!« schluchzte Sigrid. »Ich bin so schlecht gegen dich gewesen, so ungerecht! Kannst du mir verzeihen?«

      Nun war Iris ganz munter und schlang den freigebliebenen Arm um den Hals ihrer Schwester.

      »Ich dir verzeihen! Aber davon ist doch gar nicht die Rede! Du bist krank und nervös, mein Schwesterchen, und da legt man doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage! Geh schlafen, Sigrid – das lange Wachen wird dich so angreifen. Oder soll ich kommen und dir helfen?«

      »Du bist viel, viel besser als ich«, stöhnte Sigrid. »Ich bin ein Ungeheuer, eine unnatürliche Schwester! Hilf mir, rette mich, denn der Böse selbst hält mich gepackt in seinen Krallen und reißt mir alles aus dem Herzen, was Gutes darin geruht. Neid, Haß und Rache und schreckliche andere Gefühle keimen drin und werden wachsen und reifen, wenn du mir nicht hilfst, du Gute und Reine.«

      »Sigrid, Sigrid, rede nicht so wild«, bat Iris sanft. »Warum solltest du mit einemmal so schlecht werden? Es ist ja nichts geschehen, was dich verletzen oder reizen konnte. Geh zur Ruhe, Liebe, und laß deine Nerven ruhig werden – willst du? Gern will ich ja auch bei dir wachen, wenn dir's lieb ist.«

      »Nein, o nein!« erwiderte Sigrid, sich erhebend und die Augen trocknend. »Ich will's versuchen, zu schlafen. Nein, es ist nichts geschehen, was mich verletzen konnte – du hast recht. Ich war eine Törin, und du mußt mich auslachen.«

      »Ich lachen, wenn du leidest? O Sigrid?« war die liebreiche Entgegnung. Sigrid küßte Iris mit überströmenden Augen, aber dann stand sie sinnend still mit schwer arbeitender Brust. »Liebt er dich?« fragte sie endlich leise und stockend.

      »Sigrid –!«

      »Liebt er dich?« wiederholte sie lauter, gebieterisch.

      »Wie könnt' ich das glauben«, antwortete Iris nach einer kleinen Pause mit leiser Stimme. »Er, ein Mann auf der Höhe des Lebens, voll Geist und Kraft – ich ein junges, dummes Ding, das eben den ersten Flug gewagt – nein, Sigrid, so eitel und so überhebend bin ich nicht!«

      »Aber du liebst ihn?« fragte Sigrid mit schwerem Atem.

      Iris antwortete nicht. Sie lehnte sich zurück in ihre Kissen und schloß die Augen.

      »Liebst du ihn?« wiederholte Sigrid leise, aber drohend wie vorher.

      »Geh zur Ruh', Schwesterherz«, bat Iris freundlich. »Es gibt Fragen, auf die man nicht antworten muß, nicht wahr? Fragen, die man auch besser nicht fragt, Sigrid!«

      Die ließ die Arme schwer an ihrem Körper herabsinken. »Verzeih«, sagte sie dumpf. »Und nun – gute Nacht.« – Und sie verließ langsam und schleppenden Schrittes das Zimmer und machte die Tür leise und vorsichtig hinter sich zu. Drinnen in ihrem Zimmer aber stand sie still mit wildgerungenen Händen, und dann schüttelte sie die Faust in der Richtung, wo Iris schlummerte.

      »Jetzt hasse ich dich wieder«, knirschte sie, »nimm dich vor mir in acht!«

      Und sie warf sich auf ihr Bett, raufte ihr Haar und stöhnte, bis der Tag durch die Jalousien schimmerte und ein unruhiger, unerquicklicher Schlaf ihr die übernächtigen Augen schloß.

      Am anderen Tage zur Mittagszeit fand sich eine Gesellschaft zu Wagen vor der Porta al Prato auf der Piazza Vittorio Emanuele ziemlich pünktlich zusammen, es waren dies Graf Erlenstein mit seinen beiden Töchtern, Madame Chrysopras mit Boris und Sascha, Fürst Hochwald, der Cavaliere Spini und die Fürstin Ukatschin geb. Chrysopras, des seligen Generals Schwester, welche mit einer Gesellschafterin ständig in Florenz lebte und es heut übernommen hatte, Miß Fuxia Grant zu chaperonieren, obgleich diese unabhängige junge Dame gar nicht die Notwendigkeit einer Ehrendame für sich einsah.

      Miß Fuxia Grant, die mit einem Kurier und einer Kammerjungfer allein reiste, war sehr erstaunt, als man ihr klarmachte, daß sie einer älteren Ehrendame bedürfe. Trotzdem sie nun zwar zu jeder annehmbaren Konzession bereit war – gegen die Ehrendame wehrte sie sich mit einer lobenswerten Energie, indem sie erklärte, gegen solche gemietete Theatermütter eine unüberwindliche Abneigung zu haben. Auch gegen den mildernden Titel »Gesellschafterin« machte sie ruhig, aber entschieden Front, denn sie könnte sich ganz allein unterhalten, erklärte sie, und hätte sich in ihrer eigenen Gesellschaft noch nie gelangweilt. Da nun dieser Versuch zu einer höheren europäischen Kultur rücksichtslos an dem Yankeeschädel der holden Fuxia abprallte, so machten Madame Chrysopras und deren Schwägerin, die Fürstin Ukatschin, sich abwechselnd aus eigener Machtvollkommenheit zur Ehrendame dieser jungen »Wilden«. Denn da beide Damen sie zu ihrer Schwiegertochter respektive Nichte ausersehen hatten, so wünschten sie auch, daß sie sich europäisch korrekt betrüge. Miß »I reckon aus ›N'York‹ » merkte natürlich die Absicht, ohne verstimmt zu werden, und lachte sich nur ins Fäustchen über die verlorene Liebesmüh. Boris Chrysopras mit seinen vornehmen Verbindungen und seiner Diplomatenkarriere wäre ihr gar nicht einmal so unannehmbar erschienen – aber sie stellte ihn vorläufig nur in die Reserve ihrer Anbeterarmee für den Fall, daß kein Herzog, Fürst oder Prinz sich finden sollte, seinen alten Namen mit ihren Dollars neu zu vergolden und sie zum reizendsten Mitglied der »oberen Zehntausend« zu machen. Und da er also in der »Reserve« stand und noch nicht a. D. war, so ließ sie sich die Bemutterung der beiden Damen ruhig gefallen, ohne auch nur im mindesten ihre Ansichten und Lebensweise zu ändern. An der Seite der Fürstin Ukatschin langte sie zur bestimmten Zeit, d. h. etwas nachher, vor Porta al Prato an, schon von weitem begrüßt von Madame Chrysopras, die ihren Spitzenschirm schwenkte, daß die Pferde dadurch scheu wurden.

      »Nun, changez les places«, rief sie, unbekümmert um das sich versammelnde Publikum, das die »Inglesi« staunend angaffte. »Ja, wir werden doch nicht so weiterfahren, als ob wir alleine wären! Da wäre ja gar kein Scherz bei der Sache! Sind alle Picknickkörbe da? Ja? Bon! Sascha, halt dich gerade! Graf Erlenstein, Sie fahren mit meiner Schwägerin und mir – unser Landauer ist so bequem! Mein Bruder chaperoniert Ihre beiden Töchter – Sascha, du mit unserer süßen Miß Grant, beschützt vom Cavaliere und Boris im letzten Wagen. Voilá!«

      Triumphierend über ihre strategischen Talente kletterte Madame Chrysopras zu ihrer Schwägerin, einer wohlkonservierten Dame mit schneeweißem Haar, das ihre Häßlichkeit beinahe verklärte, in den Wagen und räumte dem Graf völlig den breiten und bequemen Rücksitz ein. Die anderen ordneten sich nach der ausgegebenen Order – Miß Grant lächelnd und achselzuckend, aber in bester Laune, Sascha strahlend. Spinis dunkles Gesicht zeigte keine Bewegung, Boris aber, in einem weißen Flanellanzug mit schottischem Seidenfutter, war ganz aus dem Häuschen und sprang wie ein Zinshahn um den Wagen der Erlensteinschen jungen Damen herum.

      »Nein, diese Arrangements von Mama sind rein zum Tollwerden«, flüsterte er dem Fürsten zu. »Mich mit dieser Miß und Sascha zusammenzusperren. Lächerlich! Was soll ich mit Sascha? Die hab' ich doch alle Tage! Warum konnte nicht Sigrid Erlenstein mit in dem Wagen sitzen?«

      »Nun, deine Mutter wollte dir jedenfalls das unangenehme Gefühl des – bewußten grauen Freundes zwischen den beiden Heubündeln ersparen«, flüsterte Hochwald lachend zurück.

      »Kommen Sie nun endlich, Herr Chrysopras«, rief Miß Fuxia Grant lachend, »oder fürchten Sie sich etwa vor mir?«

      »Wer würde das Feuer Ihrer schönen Augen nicht fürchten?« erwiderte Boris prompt, indem er auf den Wagen zueilte und seinen Platz einnahm.

      Auch noch anderen war das von Frau Chrysopras getroffene Arrangement peinlich und unwillkommen – nämlich den beiden Erlensteins. Iris litt noch unter dem Eindruck der durchlebten Szene in der letzten Nacht. Sie scheute sich vor Sigrids beobachtendem Blick, bangte vor einer Wiederholung des ihr noch rätselhaften Ausbruches und fand daher ihre Harmlosigkeit dem Fürsten gegenüber nicht so recht wieder. Letzterer hingegen bemerkte wohl ihre Befangenheit, er sah den Zug von leiser Furcht in ihrem weichen Kinderantlitz ausgeprägt und fragte