»Könnte ich nicht selbst Schiffbruch gelitten haben, Gräfin Iris?«
»Sie, Fürst?« – und wieder sahen ihn die großen Augen verwundert an. »Sie haben ja alles in der Welt, was nur ein Mensch begehrt! Oh, Sie und Schiffbruch!«
»Wird der von ›allem in der Welt, was nur ein Mensch begehrt‹, verhindert?« fragte er zurück. »Doch woher sollten Sie das wissen! Sie mit Ihrer Jugend und der Welt offen vor sich! Aber ich, ich bin ein alter Mann –«
»Oh, Fürst Hochwald –!« protestierte sie lachend.
»Ich bin ein alter Mann«, fuhr er, zu ihr herabsehend, fort, »doch freilich auch als solcher noch törichten Träumen unterworfen. Und darum gilt mir als Krone aller Nordseelieder immer jenes ›An die bretterne Schiffswand‹, und wenn die Wellen nachts rauschen, dann rauschen sie mir immer die Worte daraus:
»Betörter Geselle!
Dein Arm ist kurz und der Himmel ist weit,
Und die Sterne droben sind festgenagelt
Mit goldenen Nägeln,
Vergebliches Sehnen, vergebliches Seufzen,
Das beste wäre, du schliefest ein.«
Iris antwortete nicht, aber sie war ganz blaß geworden und Tränen traten ihr in die Augen, sie senkte das blonde Köpfchen und schlug die Augen nieder, doch ein Erröten flog über ihr holdes Gesicht, und Fürst Hochwald sah dieses Erröten.
»Aber Iris, wir wollen weiter und warten auf dich«, sagte Sigrids Stimme hart und spröde am Ausgang zur Galerie. »Willst du bis Sonnenuntergang hier oben bleiben?«
»Dazu hätten wir zuletzt das Belvedere besuchen müssen, Gräfin«, erwiderte Fürst Hochwald, der Mahnerin entgegengehend, die kühl und blaß und mit glitzerndem Blick in der Tür stand. »Doch auch jetzt schon ist es schön genug hier, um sich nur schwer zu trennen!«
»Und worüber sprachen wir angesichts dieses herrlichen Panoramas?« fragte Iris neckend mit zurückkehrender Schelmerei. »Du wirst's nicht glauben, Sigrid –: von der Nordsee und von Schiffbruch und von festgenagelten Sternen –«
»Oh, die Nordsee – dein altes Lied«, erwiderte Sigrid mit gleichgültigem Ton, den aber ein seltsames Lächeln begleitete. »Avanti, avanti, sonst wird's zu spät bis zu Vasca dell' Isolotto«, setzte sie fast heftig hinzu und begann die Treppe des Belvedere hinabzusteigen.
Man nahm den Weg nun vorbei an der Statue der als Dovizia, Überfluß, dargestellten Großherzogin Johanna von Österreich, Bianca Capellos unglücklicher Rivalin, an der drei Meister gearbeitet – und stieg die Treppe zur Fontana del Neptuno herab, wo Iris sogleich Freundschaft schloß mit den Schwänen, denen sie mitgenommene Brotkrumen streute. Als man dann weiterging, dem Prato dell Uccellare zu, hing Sigrid sich in Saschas Arm, und der stets wachsame Cavaliere trat an ihre Seite. Boris zog sich mit langem Gesicht zurück und wandte sich Iris zu, die neben dem Fürsten einherschritt und nicht umhin konnte, über die wenig diplomatische Schlagfertigkeit verratende Physiognomie dieses russischen Diplomaten zu lachen.
»Er ist im Grunde doch ein guter Junge«, flüsterte ihr der Fürst zu.
Sie wurde sofort ernst.
»Oh, wenn Sie's sagen, Durchlaucht! – Es ist wohl auch unrecht, ihn immer und immer zu hänseln«, meinte sie reuig. »Aber er fordert den Spott geradezu heraus«, fügte sie mit dem alten Übermut hinzu.
Durch das Arrangement Sigrids – ob es nun absichtlich oder zufällig war – wurde das Gespräch allgemein. Boris Chrysopras lieferte eine drastische Beschreibung des römischen Turfs, auf dem er natürlich »scheußliches Pech« gehabt.
»Mit einem Trakehner Vollblut – 'n Gaul zum Küssen, Onkel! Und wer gewinnt den ersten Preis? So'ne krummbeinige mongolikanische Himmelsziege; und der Jockei ritt wie 'n Kümmeltürke. Kolossal reingerasselt – es war, um den Mond als Käse auf'n Butterbrot zu verzehren!«
»Wie gut, daß der Mond sich das nicht gefallen zu lassen braucht«, meinte Iris andächtig und suchte mit den Augen die bleiche Sichel, die schattenhaft am blauen, sonnendurchleuchteten Firmamente stand.
»Sie haben gut spotten, Gräfin«, erwiderte Boris vorwurfsvoll. »Sie spotten überhaupt immer, nur daß es von Ihnen nicht wehe tut wie von Ihrer Gräfin Schwester.«
»Aber Herr Chrysopras –«
»Ja, ja, 's ist wahr. Nee, bei den hohen Damen derer von Erlenstein scheine ich kein Glück zu haben!«
»Scheint's Ihnen nur, Herr Chrysopras?« neckte Iris. »Das heißt«, setzte sie schnell hinzu, »wir haben Sie alle sehr gern – Sie sind immer so nett und gefällig zu uns, daß es ja Undank wäre, wenn wir das nicht einsehen wollten! Also als Freund sind Sie uns wirklich lieb und wert, nur – –«
»Das haben Sie mir schon einmal gesagt, Gräfin Iris.«
»Nun, und Sigrid –?«
»Oh, Gräfin Sigrid hat's nicht so freundlich ausgedrückt!«
»Boris, du bist klassisch!« warf der Fürst lächelnd ein. »Ich an deiner Stelle nähme die dargebotene Freundschaft entschieden an.«
»Ja, reden Sie ihm Vernunft ein, Durchlaucht«, lachte Iris. »Das wäre ja schrecklich, wenn man jeden gleich heiraten müßte, wenn man's mit ihm nicht verderben will!«
Boris lachte mit, widerwillig zwar, aber er lachte doch, und vor seinem geistigen Auge stieg das schneidige Bild von Miß Fuxia Grant auf, lieblich umgeben von ihren Dollars.–
Bei der anderen Gruppe trugen Sigrid und Sascha allein die Kosten der Unterhaltung, denn der Cavaliere war still und in sich gekehrt. Wozu hatte sie ihn aufgefordert, mitzugehen, wenn sie jede Gelegenheit, mit ihm allein zu sein, vermied? Aus Mitleid? Er, ein Spini, brauchte keines Menschen Mitleid, nicht einmal das der Geliebten. Mitleid, wo er um Liebe warb –? Es war, um rasend zu werden! Aber endlich stand er doch einmal allein an ihrer Seite, als sie ungeduldig vorausgeeilt war, während die anderen ihrer lachenden Schwester halfen, einen von ihr gewundenen Kranz von Gräsern dem Oceanus des Giovanni Bologna inmitten des Isolotto aufs bemooste Haupt zu werfen. Sigrid hatte sich niemals an »solch kindischem Tun«, wie sie's nannte, beteiligt, und wenn sie die übermütigen Einfälle von Iris auch mitunter belachte, so nahm sie doch niemals teil daran. Heut aber machte das frohe Kinderlachen der Schwester sie geradezu nervös, und ungeduldig eilte sie voraus über die Brücke des Bassins. Da stand plötzlich der Cavaliere neben ihr.
»Ich habe Ihnen noch nicht danken können, Signorina«, sagte er leise.
»Danken? Mir? Ja, mein Gott, wofür denn?« erwiderte Sigrid, ohne sich umzuwenden, so daß er nur ihr klassisches Profil sah.
»Daß Sie mir erlaubten, mitzugehen, Contessa. Ich darf mir's doch so deuten, wie – wie ich's gern möchte?«
»Gewiß«, sagte Sigrid kühl. »Sie waren zugegen, als dieser schreckliche Spaziergang verabredet wurde, und Sie davon auszuschließen, wäre einfach unhöflich gewesen.«
»Bereuen Sie so schnell den ersten Moment der Güte gegen mich?« fragte Spini traurig.
»Bereuen? Gott behüte! Wir würden Sie morgen genau wieder so auffordern wie heut«, entgegnete Sigrid trocken.
»Wir!« wiederholte Spini leise und eindringlich. »Was frage ich nach den anderen, wenn Ihr Mund schweigt? Warum verstoßen Sie mich Armen, Liebelosen, Einsamen so grausam?«
»Ach, Cavaliere, nicht melodramatisch werden, bitte!« erwiderte Sigrid abweisend. »Ich bin ja unempfänglich dafür, so nüchtern, so unpoetisch. – Im übrigen üben Sie falsche Statistik. Ob und in welchem Sinne Sie arm sind, weiß ich nicht – einsam aber brauchten Sie nicht zu sein, da Sie ein liebendes Herz nur durch eine gnädige Handbewegung das Ihre nennen könnten – wenn Sie wollen, notabene. Oder sollten Sie wirklich