Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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und er schämte sich der heißen Thränen nicht, welche langsam auf ihr blasses Totengesicht herabtropften. Und dann erhob er sich und brach von einem rosigen Spireenstrauch ein paar Dolden und legte sie ihr auf die junge Brust, in der das lebensfrohe Herz aufgehört hatte zu schlagen und die Sänger des Waldes sangen ihr zum Rauschen des Morgenwindes in den Buchen und Tannen ein süßes Abschiedslied, das ihre Seele im Himmel vielleicht vernahm und den Bann des schrecklichen Todes von ihr löste.

      Alfred Falkner aber folgte der Bahre seiner jungen Frau als einziger Leidtragender nach Monrepos, und als er das Parkgitter hinter sich schloß, da durchzuckte ihn jäh wie ein Dolchstich der Gedanke:

      »Was mag indes im Falkenhofe vorgefallen sein?«

      ***

      Als man Dolores hinweggeführt hatte vom Hexenloch, das erst eine Stätte heiterster Laune und jetzt eine Stätte des Todes geworden war, als sie in ihren Parkwagen stieg, da die Glieder nach der mächtigen Erschütterung dieser Stunde ihr den Dienst versagten, und Gräfin Schinga schon zu ihr einsteigen wollte, um sie nach dem Falkenhof zu bringen, da erschien, dicht am Wagen, aus tiefem Gebüsch heraus, Frau Ruß, wilde Angst in den Augen.

      »Nimm mich mit,« brachte sie mühsam hervor, drängte Gräfin Schinga zur Seite und saß neben Dolores, ehe diese die kleine Scene noch beobachtet hatte. Aber sie ließ, ohne zu fragen, die Pferde anziehen und im scharfen Trabe nach dem Falkenhof gehen.

      »Er sucht mich am Hexenloch,« flüsterte Frau Ruß atemlos, »aber ehe er im Hause ist, bin ich schon da. Dolores, erbarme dich und rette mich, wie ich dich gerettet habe!«

      »Tante, ist es denn wahr? Soll ich deine Erzählung wirklich auf mich beziehen?« fragte Dolores.

      »Ja, ja! Aber du mußt mich retten, denn er wird mich heut' Nacht töten!«

      »Sei unbesorgt, Tante. Das würde ihn ja sofort ins Zuchthaus bringen. Aber jedenfalls bleibst du bei mir.«

      »Gottlob!« murmelte Frau Ruß.

      Der Weg vom Hexenloch bis zum Falkenhofe war mit dem Wagen nur wenige Minuten lang, und so waren die beiden Damen auch sehr schnell da. Sie gingen sofort zu Dolores hinauf, und Ramo erhielt den strengen Befehl, Doktor Ruß keinesfalls vorzulassen. Frau Ruß aber schritt sogleich zu dem Schreibtische.

      »Laß mich ein Telegramm an einen Arzt aufsetzen,« bat sie. »Ich weiß nicht genau, wie oft er dir Gift gegeben und wieviel – du bist vielleicht trotz der momentanen Besserung eine Sterbende!«

      Dolores nickte, und Frau Ruß schrieb das Telegramm, das klar ausdrückte, um was es sich handelte. Als sie die Feder weglegte, deutete sie auf den Kamin.

      »Dort hatte er auch einen Schlupfwinkel, durch den Nordflügel her. Aber du hast ihn zugebaut. Man kommt aus dem Souterrain auf einer kleinen Treppe hinauf, die jetzt niemand mehr kennt.«

      Nun war auch das Rätsel der Fußstapfen gelöst, und Dolores schauerte es, als sie daran dachte, wie der Mörder durch diese geheime Verbindung in tiefster Nacht zu ihr gelangen und sie töten konnte, ohne daß auch nur ein Hahn danach gekräht –!

      »O Tante, warum hast du mir das nicht früher gesagt!« rief sie, als Frau Ruß das Telegramm an Ramo gegeben hatte. »Nicht das Geheimnis des Kamins, aber die Mordgedanken deines Mannes! Warum mich sterben lassen, ungerührt, und ich bin doch noch so jung! denn ich weiß, daß ich sterben muß!«

      »Nein, nein,« schluchzte Frau Ruß erschüttert und sank vor Dolores auf die Kniee nieder. »Ich sagte dir schon, daß ich dich haßte, weil ich an meines Mannes Liebe zu dir glaubte und eifersüchtig war. Sein Attentat auf dich am Hexenloch erfuhr ich erst durch sein gewohnheitsmäßiges Sprechen im Traume – den Schuß auf dich sah ich im voraus, weil er sich dein Pistol genommen, als du zu Alfreds Hochzeit fort warst, und sich damit übte, wenn er sich unbeobachtet glaubte – aber woher sollte ich wissen, wann er die Waffe auf dich abfeuern würde? Und sollte ich ihn denuncieren auf einen bloßen Verdacht hin? Er war doch immerhin mein Mann und ich habe neben ihm am Altar gestanden!«

      »Halt,« unterbrach sie Dolores, »mir fällt etwas ein.«

      Und sie erhob sich, um bald darauf mit dem kleinen Teschinpistol wieder zu kommen, das sie neben sich auf den Tisch legte.

      »Ich fürchte, ich habe in vergangener Nacht nicht seinen letzten Besuch empfangen,« sagte sie mit seltsam entschlossener Miene. Als sie wieder saß, fuhr Frau Ruß fort:

      »Er muß dir wohl schon mehrere Giftdosen beigebracht haben, ehe ich entdeckte, daß er mit diesen Mitteln gegen dich vorging. Ich sah es zum erstenmal beim Thee, daß er ein weißes Pulver in deine Tasse schüttete. Und damals war es noch eine mit Gewissensbissen vermengte Freude, die ich Unholdin dabei empfand. Erst als ich dich verfallen und welken sah wie eine Blume, da gingen mir die Augen auf und ein namenloses Mitleid ergriff mich für dich! Wie aber dich warnen, ohne ihn preiszugeben? Und so durchkreuzte ich jeden seiner Wege, immer wachsam, Tag und Nacht beobachtend und lauschend – es war ein Höllenleben. Weißt du noch den Abend, als Engels den geschossenen Adler brachte? Während mein Mann das Maß suchte auf dem Tische, that er sein Höllenpulver in deine Tasse; ich sah es und stieß dich an, um es dich gleichfalls sehen zu lassen. Aber du wußtest nicht, was ich meinte, und um dich am Trinken zu verhindern, sah ich dich so lange starr und stier an, bis mein Blick dich so jäh erschreckte. Und ich zerbrach auch mit Absicht die Arzneiflasche hier in deinem Zimmer, denn er hatte dir den nichtssagenden Trank mit seinem Gifte gewürzt. An diesem Tage wollte ich sprechen, wollte meinen Gatten anklagen, aber du wandtest dich ab von mir, und Gräfin Schingas Ankunft vereitelte meine Absicht. Wie ich die Blausäure unschädlich machte in seinem Geheimfach – das erlasse mir zu schildern. Aber hier –« und sie zog ein Blatt Papier aus der Tasche, »hier ist der Brief, den er neben deine Leiche legen wollte, nachdem du das Gift genommen –«

      Schaudernd und mit einer Ohnmacht kämpfend sah Dolores auf das Blatt herab, auf welchem ihre Schriftzüge in meisterhafter Nachahmung es schwarz auf weiß der Welt erzählten, daß sie selbst Hand an sich gelegt. Jetzt erst konnte sie sich den nächtlichen Besuch des Doktors erklären: er war nur gekommen, um sich von ihrem Tode zu überzeugen und dessen Schuld auf die zu wälzen, deren Mund ihn nicht mehr Lügen strafen konnte. Und ein ungeheurer Ekel ergriff sie vor der Erbärmlichkeit der Menschen, die lieber ihren Nächsten aus dem Hinterhalte angreifen und vernichten, ehe sie offen vor ihn hintreten und sagen: Das will ich von dir, kannst du es geben, so gieb!

      »Heut' den ganzen Tag habe ich's dir sagen wollen, wie ich's jetzt gesagt habe,« sagte Frau Ruß traurig, »du aber hast mich niemals sehen und sprechen wollen. Da blieb mir nichts übrig, als jene Erzählung draußen am Hexenloch, denn ich fürchtete alles für dich in der kommenden Nacht. Aber wenn du mich jetzt nicht schützen kannst –«

      Und sie rang verzweiflungsvoll die Hände.

      »Er wird dir nichts mehr anhaben dürfen,« sagte Dolores matt, denn ihre überreizten Nerven fingen an nachzugeben, und sie fühlte, daß sie vor einer physischen Katastrophe stand.

      Doch die Stimme des Doktor Ruß draußen im Korridor stachelte sie noch einmal auf. Sie drängte die schreckensbleiche Frau hinein in ihr Schlafzimmer und wartete gespannt darauf, was er thun würde. Aber Ramo verteidigte seine Festung gut und alles ward wieder still. Nun kam das Ruhebedürfnis mächtig über sie, und gerade wollte sie demselben Folge geben, als Doktor Ruß draußen abermals vernehmbar ward. Nun fühlte sie, daß es am besten war, diese Sache ein für allemal abzuthun, darum schritt sie entschlossen zur Thür, öffnete sie und stand ihrem Feinde gegenüber.

      »Ich hatte gewünscht, allein zu bleiben,« sagte sie kühl.

      Doktor Ruß trat sogleich über die Schwelle und auf einen Wink von Dolores schloß Ramo die Thür.

      »Teuerste Nichte, ich wünsche Ihre Ruhe nicht für einen Moment zu stören,« sagte er in seiner gewohnten leisen und verbindlichen Weise. »Ich suche meine Frau. Ist sie bei Ihnen?«

      »Ja,« sagte Dolores kurz.

      »Ach, ich hatte also recht gehört. Gestatten Sie mir also, sie hinabzuführen in unsere Zimmer.«