Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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in der Messe oft so gedankenlos gethan. Aber sie sagte dem Manne nicht, daß sie ihn entdeckt habe, denn sie wußte, er würde sie töten aus Rache und Angst vor ihrer Mitwisserschaft, sie wußte, daß der Tod ihr sicher sei für ihre Entdeckung, weil der Mann grausam war – eine Bestie unter dem Firnis höchster Kultur. Und die Frau suchte seine Wege zu durchkreuzen, um das fressende Gift in dem Mädchen aufzuhalten und es womöglich zu retten. Aber das Mädchen verstand nicht, was sie wollte, und entsetzte sich vor den warnenden Zeichen, die sie ihm gab. Und das Gift wirkte dem Manne zu langsam, unerkannt sogar von dem Arzte, der herbeigeholt werden mußte, und er beschloß, die Sache abzukürzen. Wieder erzählte er von dem Lebensüberdruß und den Selbstmordgedanken des Mädchens, denn er wollte sie mit einem schnellen Gift töten und neben ihre Leiche einen gefälschten Brief legen, darin er sie ihren Selbstmord bekennen läßt – –«

      So weit war Frau Ruß gekommen, jetzt aber wandte sie sich um und sah die wenigen, die ihr zuhörten, triumphierend an.

      »Aber die Frau hatte einen Nachschlüssel. Sie schüttete das Gift aus, das die Aufschrift ›Blausäure‹ trug, und weil es nach bitteren Mandeln roch, that sie in die leere, sorgsam gereinigte Flasche etwas Wasser, parfümiert mit bitteren Mandeln – mit weniger, als man zur Würze einer Mehlspeise braucht. Der Mann aber, der davon nichts ahnte, machte die Etikette los von der Flasche, schrieb eine andere Etikette und brachte sie dem Mädchen als Schlaftrunk. Und ohne die rastlos spürende Frau schliefe sie jetzt den ewigen Schlaf –«

      »Den ewigen Schlaf –« wiederholte Dolores leise, denn sie spürte ein seltsames, unbekämpfbares Ohnmachtsgefühl in sich aufsteigen.

      »Nun, und wie endete die Geschichte?« fragte der Kommandeur interessiert.

      »Ich kenne den Schluß nicht,« sagte Frau Ruß sichtlich erschöpft.

      »Wahrscheinlich endete sie mit dem Tode des armen Mädchens,« meinte der Kommandeur.

      »Hoffentlich mit dem Zuchthause des bestialischen Lumpen, der seine Verbrechen so unmenschlich überlegt verübte,« sagte Falkner heiser.

      »Ganz sicher endete sie damit, daß man die Frau in ein Irrenhaus sperrte. Denn solch' eine Geschichte kann sich doch nur eine Wahnsinnige ausdenken,« vollendete Doktor Ruß kalt und lächelnd und schüttelte ungläubig den Kopf.

      Dolores sagte nichts. Sie lehnte, unfähig sich zu rühren, an einem Baumstamm, aber sie fühlte Falkners Augen mit dem Ausdruck unsäglicher Angst auf sich gerichtet, einer Angst, die in der Frage wurzelte:

      »Ist sie, die das erzählt, wirklich wahnsinnig, oder sprach sie die Wahrheit, die entsetzliche Wahrheit, deren Ende der Tod sein müßte?«

      »Nehmt es mir nicht übel, aber warum wir heut' nichts wie solche grausige Geschichten erzählen, sehe ich nicht ein,« sagte Lolo. »Das gehört an den Kamin im Winter, da gruselt es sich schön dabei, aber hier im Sommer, im Grünen, will ich lustige Dinge hören. Allons, Alfred,« rief sie Falkner an, ihm einen abgebrochenen Zweig zuschleudernd. »Allons! Die Reihe ist an dir, uns eine lustige Geschichte zu erzählen!«

      Aber Falkner hörte nicht. Er stand da und wollte auf dem Antlitz von Dolores entziffern, was ihm ein schreckliches Rätsel war, dessen Lösung er sich jetzt nicht ertrotzen konnte, so lange die Gesellschaft ihm die Pflicht auferlegte, zu scheinen, als ob er die Erzählung seiner Mutter nur für eine Geschichte hielt, die sein Haus nichts anging. Denn wenn etwas geschehen sollte, so mußte jedes Aufsehen vermieden werden.

      »Nun?« fragte Lolo scharf, und als er auch darauf nicht antwortete, flammte es auf in ihrer leicht erregbaren Seele. »Du schweigst ja, wie Ekkehard, als er Frau Hadwig eine Geschichte erzählen sollte unter der Zeltlaube auf dem Hohentwiel,« rief sie hinüber. »Willst du uns am Ende auch eine Geschichte erzählen von einem Nachtfalter, der um ein Licht flog, das eine Rose im Stirnbande trug?«

      Da that Falkner einen tiefen Atemzug, wie wenn er jetzt erst erwacht wäre aus einem schrecklichen Traume.

      »Nun passen Sie auf, jetzt wird er uns zum besten geben, wie er seine Cousine Dolores aus dem Hexenloch zog,« sagte die junge Frau zu dem sie umringenden Herrenkreise. »Er hat sie nämlich faktisch einmal dort herausgeholt,« beteuerte sie, als man diese Sache nicht ernst zu nehmen schien. »Ich möchte wirklich wissen, Alfred, ob du es noch einmal thun würdest, wenn ich zum Beispiel hineinfiele,« setzte sie nachdenklich hinzu.

      Doch Falkner war nicht dazu aufgelegt, solch' kindische Fragen zu beantworten.

      »Sei froh, daß du noch nicht hineingefallen bist,« sagte er zerstreut.

      »Ich könnte ja hineinspringen, um zu sehen, ob du mich retten würdest,« gab sie pikiert zurück.

      »Na, das werden Sie hübsch bleiben lassen, gnädige Frau,« meinten die Offiziere lachend.

      »Hoho, denken Sie, ich habe keine Courage?« fragte sie pikiert.

      »O, die haben Sie selbstverständlich wie ein Löwe,« wurde ihr lachend geantwortet, »aber zwischen dem Hineinspringen in eine Regenpfütze oder in dieses, jedenfalls heillos tiefe Wasser ist doch ein gewaltiger Unterschied, besonders da hier noch der gurgelnde Strudel in Betracht kommt.«

      »Nun, wenn's nicht ein bißchen gefährlich wäre, dann hätte ein Rettungsversuch ja auch keinen Wert,« erwiderte Lolo kokett.

      »Ein bißchen gefährlich? Gnädige Frau, hier sind die Chancen zum Ertrinken größer als die des Rettens, das Hexenloch ist ganz zu empfehlen für spleenige Engländer,« war die allgemeine Meinung.

      »Natürlich – Sie wollen sich bloß von dem Retten ›drücken,‹« sagte Lolo noch koketter.

      »Ich glaube, gnädige Frau drücken sich eher vom Hineinspringen,« wurde ihr animiert erwidert.

      »Ich?« rief sie, aufspringend. »Nun dann – ich wollte heut' so wie so ein kaltes Bad nehmen – eins, zwei, drei – houp là, cousin!«

      Und ehe ein Mensch sie halten konnte, ehe jemand im entferntesten glauben konnte, daß sie Ernst machen könne, spritzte das Wasser des Hexenloches hoch auf und die kleine, weiße, zierliche Gestalt verschwand mit einem hellen Gelächter der Schadenfreude, das in einem gellenden Schrei endete, in der schwarzen unheimlichen Flut.

      »Lolo! Herr des Himmels!« schrie Falkner auf – er hatte auf das Gespräch in seinen tiefen Gedanken nicht geachtet, es gar nicht gehört und, hätte er es gehört, für ein kindisches Renommieren gehalten.

      Und nun kämpfte er wieder mit dem Strudel des Hexenloches, diesmal unterstützt von den Schwimmern unter den Offizieren, welche, ohne sich zu besinnen, den Attilla abgeworfen hatten, und gleich Falkner, nach dem Körper seiner jungen Frau tauchten und suchten – – vergebens.

      Währenddem waren andere nach Rettungsapparaten fortgeeilt, aber es währte doch geraume Zeit, ehe ein flaches Boot herbeigeschafft wurde, von welchem aus man Fischernetze warf, trotzdem nach so langer Zeit wohl niemand mehr daran glauben konnte, die Verunglückte lebend ans Land zu schaffen.

      Aber das Hexenloch wollte sein Opfer nicht mehr herausgeben, denn alle Bemühungen, Lolos Leiche ans Licht zu bringen, schienen eitel und nutzlos zu sein. Fischer von Beruf arbeiteten unter Falkners Aufsicht die ganze Nacht bei Fackellicht, doch erst als es wieder Tag geworden war, gelang es durch künstliches Aufrühren des Wassers den Körper so nach oben zu treiben, daß ihn der Strudel ergriff und sie ihn mit Hakenstangen ans Land ziehen und auf den grünen Rasen legen konnten.

      Und nun kniete im Morgenrot Falkner neben den Überresten des zarten, elfenhaften Wesens, welches schon angefangen hatte, die große Enttäuschung seines Lebens zu werden, und das nun das Opfer eines unüberlegten, tollkühnen und kindischen Streiches geworden.

      Vor der Majestät des Todes aber verstummt jede irdische Regung, Haß, Bitterkeit, Schmerz, erlittenes Unrecht und die Erinnerung an trübe und böse Stunden – nur die Liebe bleibt, denn diese besiegt selbst den Tod. Und wie Falkner im tiefsten Herzen erschüttert neben der Leiche seiner jungen Frau kniete, da erlosch auch in ihm alle Bitterkeit, die er empfunden, alle Reue – er sah nur in der entflohenen