„Jedes Mal, wenn Sie mir das vorhalten, empfinde ich es als Ohrfeige.“
ABER DAS IST JA IHR PROBLEM.
„Das ist ein ziemlich harter Job.“ Und jetzt bemitleide ich alle Prostituierten dieser Welt. „Das Schlimmste war jedes Mal, wenn ich zum Schluss das Geld dafür genommen habe.“
WIEVIEL HABEN SIE DENN GENOMMEN?
„Das, was ich dafür bekommen habe.“
IHRE PROSTITUTIONSVERSUCHE ... er sagt das mitleidig wie ein Vater zu seinem Kind, das die Schule explodieren lassen wollte und nur ein Fenster eingeschlagen hat.
Prostitutionsversuche klingt harmlos, nach Versuch. Das Wort gefällt mir. Auch wenn ich weiß, dass es keine Versuche sondern Durchführungen waren.
Mir fällt ein, wie ich schwimmen gelernt habe:
Ich war 12 Jahre, als meine älteste Schwester zu Besuch kam und beschloss, mich schwimmen zu lehren.
SIE HAT SIE INS WASSER GESCHMISSEN, stellt Schneider fest.
„Nein, sie hat mir erklärt wie es geht, dann ist sie gegangen und hat gesagt, ich soll üben. Ich wollte meiner großen Schwester gefallen und plagte mich, doch es ging nicht.
„Ich habe ja Angst gehabt.“
JA
Da habe ich eine Idee: Ich hole sie und sage ihr, dass ich schwimmen kann. Schließlich weiß ich theoretisch wie es geht und kann dann immer noch behaupten, ich hätte es gekonnt. Sie kommt mit, wir gehen ins Wasser. Ich rudere mit Händen und Füßen so schnell ich kann, strenge mich ungeheuer an – und kann schwimmen.
„Damals habe ich mich selbst besiegt.“
SIE BESIEGEN SICH IMMER SELBST. WAS KÖNNTEN SIE ERST LEISTEN, WENN MAN LIEB ZU IHNEN WÄRE.
Schneider fragt, ob es noch etwas gibt, das er nicht wisse. Ich verstehe nicht, was er meint und verspreche, dass ich darüber nachdenken werde.
Mir fällt das Auto ein, das ich von Oldie bekommen hatte. Seit dem Erwerb meines Führerscheins waren einige Jahre vergangen, ich wollte damals eigentlich kein Auto.
„Mein Fahrlehrer hat mir aufs Knie gegriffen“, erinnere ich mich nebenbei.
Ich nahm das Geld, das ich von Oldie bekommen hatte und gab nur einen Teil davon für ein benzinfressendes Monstrum aus.
„Ich konnte mir damals kein Auto leisten, ich hatte oft nur die Wahl zwischen Benzin und Essen. Dann kaufte ich Benzin und fuhr in mein Elternhaus essen."
Schneider lacht. Er macht den Vorschlag, die Therapie unentgeltlich weiterzuführen.
„Das möchte ich nicht“, lehne ich ab und denke daran, wie wenig Geld ich zur Verfügung habe. Ich will nicht abhängig werden, nicht Dankbarkeit zeigen müssen, obwohl ich meine Abhängigkeit längst spüre, daheim dauernd an die Therapie denke, an meine Trägheit, meine Ohnmacht, meine Unfähigkeit mich zu ändern, meine Scham.
„Sie haben selbst gesagt, dass das weder für Sie noch für mich gut wäre.“
SO HABE ICH DAS DAMALS NICHT GEMEINT.
ICH MÖCHTE NICHT, DASS SIE WEGEN DER THERAPIE IRGEND EINE DUMMHEIT MACHEN.
Was meint er damit?, frage ich mich und beruhige ihn: „Wir verhungern schon nicht.“
ICH GLAUBE NICHT, DASS SIE DENKEN, ICH WÜRDE SIE VERGEWALTIGEN, ABER VIELLEICHT DENKEN SIE, ICH WÜRDE IHNEN DIE HAND AUFS KNIE LEGEN?
„Vielleicht wäre mir das nicht einmal so unangenehm.“
JA.
Peter fährt sieben Tage auf eine Konferenz. „Du solltest den Schlafanzug mitnehmen“, sage ich, „wenn du jemand zweiten ins Zimmer bekommst ...“
„Jemand zweiter hält mich sowieso nicht aus“, Peter schließt den Koffer.
„Hast du dir schon einmal überlegt, wie ich es mit dir aushalte?“
Peter ist verblüfft: „Du hältst es gut mit mir aus.“
SIE SIND GANZ SCHÖN AGGRESSIV, SIE HOLEN SICH HIER DIE ANLEITUNG FÜR DAHEIM. Der Tadel ist unüberhörbar.
Ich gehe mit Nina spazieren, die inzwischen zum Ambulanzbaby geworden ist, weil die Schwestern während meiner Therapie auf sie aufpassen. Ich überlege, was Schneider noch nicht weiß, was er wissen möchte. Wahrscheinlich soll ich von meinen anderen Männern erzählen? Ein katholischer Pfarrer war dabei, ein Schwarzer, einige verheiratete Männer ...
Dann suche ich nach Gemeinsamkeiten und Querverbindungen meiner „Prostitutionsversuche“ und mir fällt auf, dass mir beide Männer ein Auto aufgedrängt haben.
„Das zweite Auto hat Lady Chatterly geheißen, den Namen hat ihm eine Freundin gegeben.“
HABEN IHRE FREUNDE DAVON GEWUSST? Er klingt besorgt.
„Nein“, ich muss lachen. „Die hätten mir das anders reingerieben.“
Abends sitze ich in der Küche, während Peter mit Nina spielt. Ich denke über meine Situation und mein Leben nach. Ich würde so gerne noch einmal ganz von vorne beginnen, zu spät. Aber ich könnte meine jetzige Situation ändern. Wenn ich mich von Peter trenne, muss ich ihm Nina lassen. Ich bin alleine nicht fähig, ein Kind großzuziehen. Ich gehe auf die Toilette weinen.
DANN WERDEN EBEN SIE SICH UM DAS KIND KÜMMERN. WENN DAS ALLES IMMER MIT EINEM OPFER VERBUNDEN IST, WÜRDE ICH MIR DAS AUCH ÜBERLEGEN.... ABER DAS WAR JA NUR EINE FANTASIE.
Meine unglückliche Liebe zur Geigerei beschäftigt mich immer wieder. Vor Jahren hatte ich in einer Provinzstadt über den Sommer Operette gespielt. Hinter mir saß „der Herr Professor“, der mich mit ausgesuchter Höflichkeit behandelte und mir den Sessel jedes Mal vor Beginn der Vorstellung zurechtrückte. Einmal lud er mich auf eine Bootsfahrt ein. Ich hätte damals gerne gerudert, er ließ mich nicht.
„Der war widerlich.“
ÄUSSERLICH ODER INNERLICH?
„Innerlich.“
Ines und Josefa, die auf der Bühne mitwirkten, hatten die Situation viel schneller als ich durchschaut. „Sei nicht so dumm“, sagte Ines, „der bringt dich in sein Orchester“.
„Damals habe ich gesagt: Ich bin ja nicht für die Geige da, die Geige ist für mich da. Und außerdem, Dinge, die man so bekommt, ist man auch schnell wieder los. Im Theater weiß man von jedem, wie er seinen Job bekommen hat… Aber in Wirklichkeit war trotzdem immer ich für die Geige da.“
Peter wollte mir einmal ein Maturazeugnis „zum Geschenk“ machen. Was er damals dazu brauchte, waren die leeren Zeugnisformulare. Er stellte den Briefkopf einer Schule her, schrieb, man solle dem Überbringer die Formulare aushändigen und fertigte einen Stempel für diese Bestellung an. Darauf zog er seinen besten Anzug an und ging zum Bundesverlag. Er stellte sich der Frau an der Theke als Lehrer des Gymnasiums auf dem Briefkopf vor und sagte, an seiner Schule sei gerade Matura, es hätte sich herausgestellt, dass zu wenig Zeugnisse vorhanden seien.
„Wie viele brauchen Sie?“, fragte die Frau.
Peter musste nachdenken. „Zwanzig“, sagte er schließlich.
Die Frau holte die Zeugnisse und bereitete alles für die Übergabe vor. Plötzlich zögerte sie und sagte: „Wir schicken die Zeugnisse noch heute express.“
Damit war das Unternehmen gescheitert. Peter bedankte sich und ging.
„Ich hätte das Zeugnis aber schon genommen.“
SIE HÄTTEN ES GENOMMEN?
„Heute bin ich froh, dass das damals nicht geglückt ist. Wenn ich nämlich etwas