Wegen der Schuld. Yenta E.. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Yenta E.
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847673323
Скачать книгу

      Peter ist begnadigt worden. Ich habe ihn gedrängt, das Gesuch dafür einzureichen, er wollte nicht und hat auch nicht geglaubt, dass es bewilligt würde. Dr. Forens hat ihn dabei unterstützt und gesagt, falls er nicht gerade Chef der VOEST werden wolle, sei seine Tat nun vergessen. Anfangs war ich über diese Begnadigung sehr froh. Dass es überhaupt keinen Unterschied macht, ob Peter sie hat oder nicht, habe ich zu spät erkannt.

      Die Stunde ist vorüber, ich verabschiede mich und gehe.

      Zweite Stunde. Heute komme ich nicht darum herum: ALLES erzählen, alles.

      Ich sage, dass ich nicht kann.

      WARUM?

      „Weil ich eine andere Vorstellung von mir habe als der Inhalt dessen ist, worüber ich reden soll.“

      SIE MACHEN DAS NUR FÜR SICH.

      Ich weiß das, und ich bin wütend über mich. Schneider hat doch sowieso schon alles gehört, ihm kann das doch egal sein. Liege ganz verkrampft da und versuche in Gedanken das, was ich hervorbringen will, zu buchstabieren.

      Schneider will helfen und fragt, ob es darüber Statistiken gibt.

      „Das weiß ich nicht.“

      Nach zirka einer Viertelstunde habe ich den Satz heraußen:

      „Ich habe mich prostituiert.“ Geschafft.

      Schneider will Einzelheiten wissen, ich erzähle:

      „Oldie“ war 84 Jahre, ehemaliger (deutscher) Politiker und gab mich als seine Sekretärin aus.

      Ich war mit ihm in Kanada, er besaß dort ein paar Wälder. Legte sich auf mich (ich musste mich vorher ausziehen) und sagte dann: „Du bist mein Pferdchen, musst alles machen, was ich sage."

      Ich war auch bei ihm zu Hause und musste seine Memoiren tippen. Er hatte ein liebe Frau, mit der ich mich gut verstand. Und er hatte eine geschiedene Tochter, die Alkoholikerin war und den größten Teil des Jahres in einer Nervenheilanstalt verbrachte. Ihre zwei Söhne wuchsen bei ihm und seiner Frau auf, für die Tochter musste er ebenfalls aufkommen. Die Toleranz, die er ihrer Krankheit entgegenbrachte, passte nicht zu seinem übrigen Wesen und machte mich misstrauisch.

      Einmal erzählt er von ihren Briefen, dass sie immer das Gleiche schreibe, sie gehe ihm auf die Nerven. Als er mittags schläft, suche ich die Briefe. Sie schreibt aus dem Krankenhaus, dass sie den Ärzten gerne von seiner Vergewaltigung erzählen würde, sie traue sich aber nicht.

      Ich schreibe den Brief ab und schicke ihn ihrem Arzt. Man überreicht ihr diesen Brief mit der Versicherung, niemand hätte ihn gelesen.

      Ich erhalte von Oldie ein Schreiben, in dem er mich wüst beschimpft: Er habe immer schon gewusst, welch mieser Charakter ich sei, ich solle ihm die Adresse meiner Verwandten mitteilen. Ich schreibe zurück, er könne die Anschrift dem Telefonbuch entnehmen, meine Angehörigen seien vermutlich sehr interessiert.

      Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.

      Mir fällt etwas anderes ein und ich rede schnell weiter.

      Meine Schwester hat mir meinen Erbteil ausbezahlt (und dabei gut abgeschnitten). Es war dies ihre Idee und ich war froh drüber. Ich hatte damals gerade mit dem Studium begonnen, musste mich alleine erhalten und dachte, dass dies der Grund sei, weshalb ich nichts weiterbrachte. Einmal sorglos leben, nicht unterm gestohlenen Weihnachtsbaum mit meiner Freundin Keks und Senf bei + 5 Grad essen, weil die Sicherungen von meinem Vater herausgedreht wurden und die Heizung streikt. Mit den 360.000 Schilling sich fühlen wie Rothschild, zumindest drei Jahre lang.

      Mit dem Rest des Geldes ziehe ich nach Wien. Was nun? Mit dem Studium bin ich noch lange nicht fertig, ich möchte aber immer noch nur Musik machen. Sehe mir Anzeigen in Zeitungen an: Studentinnen suchen großzügige Unterstützung. Warum nicht auch ich?

      WAS IST DENN IN IHRER ANZEIGE GESTANDEN?

      Die Frage erschreckt mich so, dass ich mit dem ganzen Körper zusammenzucke.

      „Muss ich das sagen?“

      DAS MÜSSEN SIE SELBST ENTSCHEIDEN:

      Ich entscheide mich dafür, dass ich es nicht sagen muss.

      Die Stunde ist zu Ende. Ich bin froh darüber, setze mich auf, schlüpfe in meine Schuhe und verabschiede mich, ohne Schneider anzusehen.

      In der dritten Stunde muss ich vom zweiten Mann erzählen.

      Er schreibt mir, er sei Witwer. Wir treffen einander am Bahnhof, wo er seine Geschäftspost aufgibt und fahren nach Grinzing. Er ist sehr dick, glatzig, an der linken Hand fehlen ihm vier Finger.

      Ein alter Nazi. Erzählt von seiner Frau, die – viel jünger als er – voriges Jahr an Krebs gestorben ist. Weint. Mitleid.

      Hat eine neue Wohnung genommen, weil ihn die alte an so viel erinnert. Er bittet mich, ihm Vorhänge montieren zu helfen. Das Gespräch beim Heurigen und das Aufhängen der Vorhänge bringen 4.000 S. Damit kann ich einen Monat leben.

      Die Besuche beim Heurigen sind mir zuwider, weil er sich jedes Mal besäuft. Er will mich an seiner Handelsvertretung beteiligen, fährt an manchen Tagen mit mir in Geschäfte und zeigt mir, wie man verkauft.

      Seine Impotenz erklärt er mit seiner Zuckerkrankheit.

      Als ich den Job beim Theater bekomme, möchte ich diese Beziehung beenden, weil ich von seinem Geld nicht mehr abhängig bin und sehe ihn nur noch manchmal, Montag abends. Die Heurigen gehen mir auf die Nerven, seine Kriegslieder noch mehr.

      Er will mich heiraten, sagt, ich könne Männer daneben haben, so viele ich wolle. Geld spiele keine Rolle, er könne mir ein angenehmes Leben bieten.

      Er tut mir leid, darauf kann ich nicht eingehen.

      Einmal ruft er mich nachts an, ich schlafe längst:

      „Brauchst du 4.000 S?“

      „Nein, brauche ich nicht“.

      „Wir sehen uns vielleicht nie mehr“, stottert er besoffen durch die Leitung.

      „Aber ja, wir sehen uns sicher wieder.“ Ich lege auf und ärgere mich, dass er mich aufgeweckt hat.

      Nach Wochen ruft mich sein Geschäftspartner an. Ich frage ihn höflichkeitshalber, wie es R. gehe, von dem ich schon lange nichts mehr gehört habe. „Der hat sich umgebracht“, erzählt der nunmehrige Ex-Partner und ist sehr erstaunt, dass ich das nicht weiß.

      „Am Abend davor hat er sich noch von einer Frau mit zwei Kindern 4.000 S ausgeborgt.“

      DIE WÄREN FÜR SIE GEWESEN.

      „Ja.“ Ich spüre einen Brechreiz und frage, wo die nächste Toilette ist.

      SIE VERACHTEN SICH.

      „Ja.“

      „Ich habe den Männern kein Glück gebracht.“

      Nun habe ich es hinter mir, nun gibt es nichts mehr, das ich fürchte.

      „Jetzt kann nicht mehr viel sein“, sage ich und lege die Beine zum ersten Mal nebeneinander, aber nur kurz.

      WER WAR DENN SCHULD AM TOD IHRER MUTTER?

      „Sie selbst, sie war ein Verkehrshuhn.“

      EIN VERKEHRSHUHN

      „Wenn sie über die Straße gegangen ist, haben links und rechts die Bremsen gequietscht.“

      SELBER SCHULD.

      Schneider fragt, was ich wohl meine, wie er über mich dächte.

      „Sie haben sich das alles wohlwollend anzuhören und müssen so tun, als würden Sie alles verstehen.“

      NATÜRLICH VERSTEHE ICH ES, sagt er empört.

      Oje, jetzt habe ich ihn beleidigt.

      „Ich verstehe das ja selber alles