Wegen der Schuld. Yenta E.. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Yenta E.
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847673323
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ist wohl nicht sein Ernst. „Habe ich vielleicht zu wenig davon bekommen?“, frage ich höhnisch. „Halluzinationen haben sie auch keine gehabt.“

      SIE WOLLTEN DAS DAMALS NICHT SAGEN UND ICH HABE IHNEN ZUGEREDET. HÄTTEN SIE GANZ ZU BEGINN ETWAS ÜBER IHRE BEZIEHUNGEN ERZÄHLT, WÄRE DAS WAHRSCHEINLICH NICHT PASSIERT.

      „Sie haben mich nichts über meinen Mann gefragt“, verteidige ich mich.

      SO VIELE MÖRDER RENNEN NICHT HERUM.

      Der Satz schmerzt, brennt wie eine Ohrfeige, ich sage nichts.

      UND AUSSERDEM: IHR MANN IST NUR DER I-PUNKT IN IHREM LEBEN.

      Manchmal, wenn ich über meine Mitmenschen nachdenke und wenn ich mich mit ihnen in Bezug setze, werde ich unsicher. Sicher, ich bin diejenige, die behandelt wird. Aber warum nur ich? Und außerdem: Liegt es wirklich an mir, oder sind das die anderen?

      AN WEN DENKEN SIE DA?

      Ich überlege. Eigentlich habe ich an niemand Speziellen gedacht.

      „Prof. Schläfrig zum Beispiel. Als damals die Affäre mit den Pharmakonzernen an die Öffentlichkeit kam und berichtet wurde, dass Ärzte Geld von Firmen genommen hatten, um als Gegenleistung die Medikamente dieser Firmen zu verordnen, führte eine Wochenzeitschrift in einem Artikel u.a. auch Prof. Schläfrig namentlich als einen der „Nehmer“ an. Unmittelbar auf diesen Artikel erschien ein Rundschreiben des Gesundheitsstadtrates, in dem Prof. Schläfrig aufgefordert wurde, sich ausdrücklich von diesem Artikel zu distanzieren.

      Prof. Schläfrig diktierte mir lächelnd den Distanzierungs-Brief, während neben mir die Kontoauszüge lagen, auf denen von denselben Firmen das Geld eingegangen war, von denen er sich soeben distanzierte.

      UND SIE HABEN DIE KONTOAUSZÜGE NICHT GLEICH AN DIE ZEITUNG GESCHICKT?

      Offenbar spielt er jetzt auf Oldies Tochter an.

      „Nein, das hat mich damals nicht betroffen. Und er hat das Geld ja nicht für sich verwendet.“

      MERKEN SIE NICHT, WIE UNANGENEHM ES IHNEN IST, DAS ZU ERZÄHLEN?

      Ein AHA-Erlebnis

      Ich erzähle von meinem Geigenlehrer, zu dem ich gegangen war, nachdem meine Lehrerin an der Musikhochschule gefunden hatte, dass ich für den Beruf einer Geigerin zu passiv sei. Berichte von meinen Hemmungen, wenn mir jemand beim Spielen zuhörte (ich habe nicht mehr gespielt, seit Nina auf der Welt ist) und erzähle, dass ich die unangenehmen Dinge immer nur geübt habe, damit mein Lehrer mit mir zufrieden war.

      „Den habe ich gern gehabt. Letzten Herbst ist er gestorben und da habe ich mir gedacht: So, jetzt hast du überhaupt niemanden mehr.“

      BIS JETZT HABEN SIE SICH IMMER JEMANDEN GEFUNDEN, DER SICH UM SIE KÜMMERT. WAR ER FESCH?

      „Nein“, sage ich und erinnere mich an ihn als einen zerknitterten alten Mann, der mich öfter fragte, wenn mein Bogen wieder einmal zitterte: Was hat man Ihnen nur getan?

      „Manchmal würde ich gerne wieder Geige spielen, aber ohne Lehrer freut es mich nicht. Ein guter Lehrer hat mich nicht nötig und einen schlechten will ich nicht.“

      WAR IHR LEHRER GUT?

      „Er hatte einen guten Ruf.“

      Daheim beschäftigt mich immer wieder Schneiders Frage WAR ER FESCH?

      Bin ich so abhängig von Äußerlichkeiten? Muss jemand fesch sein, damit ich ihn gern habe? Bin ich oberflächlich?

      Plötzlich begreife ich: Schneider will wissen, ob ich ihn gern habe. Ich muss grinsen. Natürlich habe ich ihn gern. Ich schäme mich nur wegen meiner Vergangenheit. Er ist der Einzige, der davon weiß.

      Die Frage WAR ER FESCH? kommt noch öfter, wenn ich über einen meiner Männer berichte. Ich sage jedes Mal automatisch „nein“ und fühle mich dabei wie ein Kobold.

      Peter wäscht sich nur noch sporadisch, obwohl er weiß, wie wichtig mir das ist. Ich fasse das als Protest gegen mich auf, zeige ihm jedoch meine Unzufriedenheit.

      Habe Schuldgefühle, weil er eine Arbeit verrichtet, die ihm keinen Spaß macht. Habe Schuldgefühle, weil er für mich arbeitet und ich zum Lebensunterhalt nichts beitragen kann. Fühle mich ihm gegenüber schuldig, der sich Nina noch viel mehr als ich gewünscht hat. Der, als ich schwanger wurde, sofort in Lohnarbeit getreten ist, die ihn den ganzen Tag frustriert. Der mir – halb im Spaß – immer öfter sagt, wie sehr er sich für die Familie aufopfert und mich dabei an einer empfindlichen Stelle trifft.

      Ich gehe mit Peter und Nina im Park spazieren. „Heute ist Muttertag“, sagt Peter ironisch. „Du darfst bestimmen, wohin wir gehen.“

      „Ich scheiße auf den Muttertag“, sage ich, und die Tränen fließen schon wieder. Nina ist jetzt acht Monate und ich muss immer noch weinen, wenn ich an ihre Geburt denke: an meine Einsamkeit, an die Schmerzen. An Peter, der beinahe jeden Tag von einem Kind gesprochen hat, den ich falsch eingeschätzt habe.

      Ich erzähle Peter, dass im Schwangeren-Kurs meiner Freundin einer Frau übel wurde, als sie einen Geburts-Film sah.

      „Ja“, sagt er, „im Film ist das ja noch ungustiöser als in Wirklichkeit.“

      Ich fühle mich vor den Kopf gestoßen, zu diesem Zeitpunkt bin ich selbst hochschwanger.

      Als wir Tage danach einen Fernsehfilm über Gefahren während der Schwangerschaft sehen und kurz ein Neugeborenes gezeigt wird, fragt er: „Muss ich da dabei sein?“

      Bis zu diesem Augenblick habe ich nie in Erwägung gezogen, dass er womöglich nicht dabei sein möchte, und ich habe das Gefühl, dass ich ihn brauchen werde. Trotzdem sage ich, dass er nicht dabei sein muss, weil ich mir denke, er muss wissen, was er sich zutrauen kann. An diesem Abend kann ich nicht einschlafen und weine. Peter wacht auf und sagt, er möchte vielleicht doch dabei sein. Aber es klingt nicht echt.

      Meine Geburtsvorbereitung hat darin bestanden, dass ich alle Untersuchungen absolviert habe, alleine in die Elternschule gegangen bin (wo die meisten Frauen in Begleitung ihres Mannes waren) und darüber hinaus nur die Lektüre einer Monatszeitschrift genossen habe, in der über Geburtsschmerzen am wenigsten stand, wo aber auf jedem Bild der Vater des Kindes wie selbstverständlich bei der Geburt anwesend war.

      „Gymnastik brauchst du nicht machen“, sagt Peter und ich glaube ihm, weil ich unter Schwangerengymnastik das Bewegen der großen Zehe verstehe. Als es dann so weit ist – es ist ein Samstag – wünsche ich mir immer noch, dass er bei mir bleibt. An der Türe, an der mich die Schwester in Empfang nimmt, frage ich ihn dann: „Möchtest du hier bleiben?“ Peter verneint und geht.

      Es ist sechs Uhr früh, meine Wehen sind nicht stark und ich bin ziemlich zuversichtlich, dass ich es auch alleine schaffen werde. Der Termin ist bereits um zehn Tage überschritten und als die Wehen wieder aufhören, werde ich an einen Wehetropf gehängt. Es tut immer noch nicht sehr weh. Als es Mittag wird, fragt der Arzt, ob er meinen Mann anrufen soll. „Nein“, antworte ich, „der packt das nicht“.

      „Sie werden tapfer sein“, sagt der Arzt und ich bin sicher, dass ich tapfer sein werde.

      Nun tut es doch ziemlich weh. Peter kommt mich besuchen, man hat ihm einen grünen Kittel angezogen. Ich beiße jedes Mal die Zähne zusammen, wenn der Schmerz wieder kommt, kann aber die Tränen nicht verhindern.

      Peter sitzt neben mir, wirkt unangenehm berührt und fühlt sich offensichtlich nicht wohl. Als er wieder geht, bin ich beinahe froh. Nun ist es 13 Uhr und ich komme nicht mehr zurecht. Ich habe mir vorgenommen, Schmerzen nicht als Schmerz, sondern als „anderes Gefühl“ zu empfinden. Aber Schmerzen sind Schmerzen. Die Schwester hat zu Peter gesagt, er solle abends wieder anrufen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich es noch so lange aushalten werde und bitte um eine Epiduralanästhesie, diese Hintertüre habe ich mir immer offen gelassen. „Sie haben ja Akne am Rücken“, stellt die zuständige Ärztin