Ich stehe in einer Telefonzelle und telefoniere. Vor der Zelle steht Oldie. Als ich wieder hinausgehe, sehe ich ihn gerade noch weglaufen. Dann gehe ich über eine grüne Wiese mit Blumen, die Farben sind viel intensiver als in Wirklichkeit. Ich gehe an einer Pferdekoppel vorbei und über die Brücke eines Baches.
IHRE TRÄUME WERDEN SCHON BUNT.
„Und wie kriege ich das ins Leben?“
Schneider gibt keine Antwort.
Ich denke an die Zeit, als ich mir alle meine damaligen materiellen Wünsche hätte erfüllen können: Es ging mir schlecht und mir gefiel überhaupt nichts.
„Zur Zeit teile ich mein Leben in zwei Abschnitte: Den, bevor ich das Geld hatte und den, nachdem ich keines mehr hatte."“
SIE MEINEN DIE ABLÖSE VOM HAUS.
Daheim geschieht alles mechanisch. Ich muss dauernd über mich nachdenken, sehne die Stunden herbei, in denen Nina schläft. zwinge mich zu jedem Handgriff, bin verwirrt und erzähle von meiner Verwirrtheit.
BEI UNSERER BEZIEHUNG?
Beziehung? Ich habe keine Beziehung zu ihm, ich möchte keine Beziehung. Ich will Therapie machen.
Manchmal beginnen sich meine Gedanken zu überschlagen und ich habe das Gefühl, als ob ein ganzer Lichterbaum in mir aufginge.
Meine zwei besten Freundinnen haben geheiratet und sind ins Ausland gezogen, alle haben mich verlassen.
Was für eine Enttäuschung muss ich als drittes Mädchen für meine Eltern gewesen sein.
Warum habe ich den Brief von Oldies Tochter weitergeleitet? Das wäre mich doch nichts angegangen.
Ich habe Peter geheiratet, weil ich mir gedacht habe, der ist noch schlechter als ich.
VIELLEICHT MÜSSEN SIE SO LEIDEN. MANCHES WIRD SO STIMMEN, WIE SIE ES SEHEN, MANCHES WERDEN SIE REVIDIEREN MÜSSEN. DA IST JA NOCH VIEL UNBEWUSST. WIR HABEN VIEL ZEIT.
Während ich daliege und erzähle, verkrampft sich oft mein ganzer Körper. Ich bin verspannt bis in die Zehenspitzen, bin mir selbst unangenehm, habe immer die Uhr im Auge.
Ich ging noch in die Volksschule und war an einem späten Nachmittag auf dem Weg vom Turnverein nach Hause. Es war schon finster und ich hatte Angst. An der letzten Straßenecke war mir, als ob ich einen Schatten gesehen hätte, der hinter dem Sandstreukasten verschwunden war. Die Straße war schlecht beleuchtet, weit und breit kein Mensch. Ich überlegte: Um den Weg an diesem Kasten vorbei zu meiden, gab es zwei Möglichkeiten: Eine Abzweigung durch den Wald, und eine Abzweigung durch die Stadt, die allerdings wesentlich länger war. Im Wald war es noch finsterer als hier, diese Lösung war nur eine theoretische. Während ich noch überlegte, kam jemand vorbei und fragte, ob ich Angst hätte, ob er mit mir gehen solle. Ich hätte damals nie zugegeben, Angst zu haben und entschloss mich für den Umweg durch die Stadt. Als ich dann endlich die Gartentür öffnete, um das letzte, vollkommen dunkle Stück zum Haus zu gehen, war die Angst vergessen. Und während ich über die Gartentreppen zur Haustür ging, sprangen hinter einer Mauer meine Schwester und deren Freundin von beiden Seiten gleichzeitig mit einem „Hu“ hervor.
Ich war zuerst steif vor Schreck und konnte mich überhaupt nicht rühren. Dann lief ich ins Haus und die Treppen hinauf in die Küche.
Und während ich das erzähle, habe ich wieder das zugeschnürte Gefühl von damals in der Brust und bekomme keine Luft.
Oben, in der Küche, wo meine Mutter und meine Großmutter saßen, schrie ich dann. Ich schrie so lange, bis ich nicht mehr konnte.
SIE HABEN EINEN SCHOCK GEHABT.
Meine Mutter las und blickte kaum auf. Getröstet hat mich damals niemand.
Schneider hat gesagt, er hätte wenig Zeit. Der letzte Rest meines Stolzes besteht darin, dass ich peinlich darauf bedacht bin, keine Minute länger zu bleiben als mir zusteht.
Schneider hat gesagt, ich sei sehr empfindlich.
Ich habe einen schlimmen Traum: Peter vergewaltigt Nina, so wie sie jetzt ist, als Baby. Ich liege daneben, weine und bettle, dass er aufhört. Er macht weiter, dreht sich zu mir und sagt, ich soll nicht so empfindlich sein.
Ich weine, als ich das erzähle. „Mein Mann kann da nichts dafür.“
NEIN. Schneider meint, dass Nina ich selbst sei.
JETZT VERFLGT SIE DAS SCHON BIS IN DEN TRAUM. UND IHRE MUTTER HAT AUCH NICHT AUF SIE AUFGEPASST.
„Ich habe eine Katze gehabt.“ Schon wieder rinnen mir die Tränen herunter.
Ich hatte sie in der Auslage einer Tierhandlung gesehen. Sie war die einzige rote in einem Knäuel von jungen Katzen, es war Liebe auf den ersten Blick. Mit meinem Theatervertrag hatte ich das Gefühl, dass ich nun sesshaft und „reif“ genug für ein Haustier war. Ich hatte „Tiger“ gerade eine Woche, als ich in die Wohnung kam und ihn wie gelähmt, kläglich miauend, vor der Tür fand. Vollkommen ratlos packte ich das Tier in den Transportkorb und fuhr damit zum Arzt. Dieser stellte schwere Rachitis fest und verpasste eine Injektion und hochwertige Nahrung.
Tiger genas zu einer Prachtkatze, wir tolerierten einander absolut. Er schlief in meinem Geigenkasten, während ich übte und ich fand es selbstverständlich, dass nur der Samt dieses Kastens würdig war, seine Krallen zu schärfen.
Als ich zu Peter zog, war die Katze kein Thema. Er hatte zwar öfter gesagt, er finde dieses Tier reichlich verwöhnt, nachdem es aber mein Tier war, sah ich darin kein Problem. Die Schwierigkeiten begannen bald nach meinem Umzug: Es stellte sich heraus, dass meine männlichen Mitbewohner aufeinander eifersüchtig waren. Wenn ich daheim war, hatte Tiger die Oberhand. Kam Peter in seine Nähe, musste er immer damit rechnen, einen Kratzer abzukriegen. Wenn ich nicht da war – sagte Peter – war die Katze „wie vom Erdboden verschwunden“. Als ich einmal krank im Bett lag, saß Tiger, der das nicht registriert hatte, den ganzen Abend unter dem Tisch und knurrte.
Eines abends kam ich heim, Peter empfing mich mit unheilvoller Miene, keine Spur von meinem Kater, der mich sonst jedes Mal begrüßte. Peter klagte, das Tier habe seine Lieblingsvase, eine unersetzliche Antiquität, zerbrochen und zeigte mir die Scherben. Ich ging durch die Wohnung und fand in einer Ecke meine völlig verschüchterte Katze. Nach und nach kam es heraus: Peter hatte Tiger racheerfüllt mit dem Besen durch die Wohnung gehetzt. Dabei verlor Tiger offenbar aus Angst auf seiner Flucht Kot. Peter wurde darauf noch wütender und verfolgte ihn umso mehr. Er gab auch zu, ihn geschlagen zu haben.
In dieser Nacht schlief ich in einem anderen Bett und fasste den Entschluss, wieder in meine Wohnung zurückzukehren. Als ich am nächsten Tag mit einer Freundin darüber sprach, fragte sie verwundert: „Du stellst ein Tier über einen Menschen?“ Sie erzählte, wie sehr sie den Hund ihres Mannes gehasst hatte, vor dem sie nur dann keine Angst hatte, wenn sie ihn füttern musste.
Darauf beschloss ich, die Angelegenheit anders zu lösen. Mit Peter wollte ich Tiger nie mehr alleine lassen. Ich brachte den Kater zu meiner Schwester, „zu guten Leuten aufs Land“. Dort verweigerte er ein paar Tage die Nahrungsaufnahme, entdeckte schließlich die Natur und führte ein kurzes, aber aufregendes Katzenleben.
Mit Peter habe ich darüber nicht mehr gesprochen, verziehen habe ich ihm das nie.
ES WIRD SCHON EINEN GRUND HABEN, WESHALB SIE SOLCHE ANGST VOR AGGRESSIONEN HABEN.
Ich sitze daheim am Küchentisch und denke nach. Grüble über meinen Vater, über die Therapie. Plötzlich geschieht etwas, das ich vorher noch nie erlebt habe:
Ich steige aus mir heraus und lasse mich am Tisch sitzen. Vor mir habe ich ein Kreuz, dann bin ich Gott. Unter mir nur Schutt und Asche. Ich sehe alles. Nein, sage ich mir, genug, bis hierher und nicht weiter. Nun bin ich wieder da und sitze am Küchentisch. Bin noch verwirrter als vorher und habe Angst. Verstehe nicht, wieso mir so etwas passieren kann. Mir, die an nichts glaubt, am allerwenigsten