Rayan - Im Auge des Sturms. Indira Jackson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Indira Jackson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738038460
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amüsierten sich die beiden eine ganze Zeitlang. „Hast du ihm nicht gesagt, dass ich sechs Sprachen spreche?“, grinste Rayan.

      „Nein, ich fand, dass das eine überflüssige Information wäre. Dann hält er dich nur wieder für arrogant“, zog Leila ihn auf.

      Nach einer Weile kamen sie zu dem Schluss, dass es sehr anständig von Taib war, seinen Fehler so offen zuzugeben. Auch der Brief war mit dem nötigen Respekt geschrieben und ließ auf echte Reue schließen.

      Schließlich sagte Rayan: „Ich glaube, ich weiß eine ganz vorzügliche Bestrafung für diesen besonderen Fall!“ Leila kannte ihren Freund inzwischen gut genug, um zu erkennen, dass sein Unterton eher amüsiert war und er die Formulierung nicht wörtlich meinte. Trotzdem hatte sie ein wenig Bedenken beim Wort „Bestrafung“, doch es gelang ihr nicht, ihn zu einer Erklärung zu bewegen. Sie beendeten das Telefonat.

      Leila seufzte. Sie hasste es, wenn Rayan das tat: Eine Andeutung fallen zu lassen, aber dann nicht damit rauszurücken, was er plante. Doch sie war sich sicher, dass sie genau das bald erfahren würde. Solange würde sie sich wohl oder übel gedulden müssen.

      02.02.2015 - München: Flughafenhotel - Keine schwere Entscheidung

      Miriam spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Dies jedoch weniger, weil ihr sein Angebot unangenehm war, sondern weil es bei ihr eine Reaktion ausgelöst hatte, die sie selbst erschreckte. Wo kam diese Hitze zwischen ihren Beinen auf einmal her? Und: Konnte man ihr diese Erregung ansehen? Noch nie hatte sie derart heftig auf einen Mann reagiert. Vor allem hatte er sie dabei noch nicht einmal berührt. Sein Blick und die bloßen Worte reichten völlig aus, dass sie sich wie ein unsicherer Teenager fühlte. Eigentlich hatte ihr Körper bereits ihre Entscheidung für sie getroffen und sie musste nur noch laut sagen, was er ihr diktierte.

      Verwirrt stammelte sie trotzdem erst einmal: „Ich … ich weiß nicht“ und dachte für sich: „Du dumme Kuh, er muss dich ja für völlig bescheuert halten!“

      Doch sein Blick ließ nichts dergleichen erkennen. Stattdessen lächelte er nochmals dieses unwiderstehlich sanfte Lächeln, welches ihr eine erneute Hitzewelle über den Körper jagte. Und gegen ihren Willen und jede Vernunft begann sie sich Szenen vorzustellen. Nackte Körper. Ihre beiden nackten Körper.

      Mehr aus Verlegenheit heraus stammelt sie: „Bist du verheiratet?“

      „Würde das etwas ändern?“, fragte er erneut mit diesem erotischen Lächeln, das ihr Schauer über den Körper jagte.

      „Nein, vermutlich nicht“, hörte sie sich selbst sagen.

      „Wenn es dich beruhigt: Ich bin weder verheiratet, noch habe ich irgendwo einen Harem voller Frauen versteckt, in den ich dich anschließend entführen will“, beruhigte er sie grinsend. Sie spürte, dass es die Wahrheit war und bekam wieder einen roten Kopf, weil er erneut ihre Gedanken erraten hatte.

      Sie hielt den Atem an, als er ihre Hand in die Seine nahm und ließ zu, dass er mit der anderen Hand zärtlich über ihr Gesicht strich. Diese Berührung - so gefühlvoll! - war es, die ihren letzten Zweifel ausräumte.

      Sie bemerkte kaum, dass er bezahlt hatte. Galant half er ihr beim Aufstehen mit dem Stuhl, ohne sie dabei nochmals zu berühren. Dieser Mann benötigte keine versteckten Körperkontakte. Sie stand auch so schon in Flammen.

      Mit weichen Knien ging sie ihm voran zum Fahrstuhl. Als sich die Türen vor ihr öffneten, bekam sie einen Moment lang Panik. Was sollte sie jetzt tun? Wie in Trance stieg sie ein.

      Stille.

      Sie drehte sich um und begegnete Rayans fragenden Blick. „Sieben oder L?“, fragte er leise. Offenbar hatte er ihren erneuten Konflikt gespürt. Ihr war klar, dass „L“ die Lobby war und konnte kaum glauben, als jemand mit ihrer eigenen – zittrigen – Stimme antwortete: „Sieben.“

      Dabei senkte sie ihre Augen zum Boden des Aufzugs, als wären die Fliesen dort das Interessanteste, was sie je gesehen hatte.

      Ein viel zu lautes „Ping“ verriet, dass der Fahrstuhl sein Ziel erreicht hatte. Eine weitere, noch stärkere Welle der Panik erfasste sie – war sie völlig verrückt geworden? Dieser Mann war definitiv gefährlich. Und sie kannte ihn wie lange? Vier Stunden? Doch wie ferngesteuert verließ sie den Lift. Als sie auf dem Flur des siebten Stockwerks stand und sich die Aufzugtüren hinter ihr geschlossen hatten, widerstand sie einen Moment lang dem Impuls, sich umzudrehen und gegen die Lifttüren zu schlagen.

      In diesem Moment umfasste Rayan sie. Ganz sanft nahm er sie von hinten in seine Arme. Einige Sekunden lang versteifte sie sich, doch auf einmal konnte sie den Gefühlen, die sich tief in ihrem Innern vergraben hatten, nicht mehr trotzen.

      Sie drehte sich in seinen Armen um und erwiderte die Umarmung so heftig, dass sie beide einen Moment aus dem Gleichgewicht kamen. Rayan lachte und küsste sie dann. Zuerst zärtlich, forschend. Dann heftiger. Hier mitten im Gang zu den Zimmern.

      Als hätte er ihre Gedanken gelesen, hob er sie plötzlich hoch. Mühelos. Und trug sie einige Meter weit den Gang hinunter. Als er sich anschickte, die Zimmertüre zu öffnen, immer noch mit ihr auf dem Arm, musste Miriam lachen. Auf einmal war alle Nervosität von ihr abgefallen.

      Sie wollte nur noch eines: Rayan spüren – überall auf ihr und vor allem in ihr.

      November 2005 - Alessia - Ein völlig neues Leben

      Vier Monate lang hörte Taib nichts mehr von Leila und erst recht nicht von Rayan. Er nahm an, dass der Scheich seine Nachricht entweder nie bekommen hatte oder es ihm egal gewesen war.

      Der Anwaltsgehilfe konnte nicht leugnen, dass ihn das enttäuschte, doch im Laufe der Wochen verdrängte er die Thematik immer mehr, bis er sie ganz vergaß.

      Die Wunden auf seinem Rücken waren inzwischen komplett verheilt und wie Rayan prophezeit hatte, blieben nur ganz wenige helle Striemen zurück, die er als Zeugnisse der Ereignisse, die ihm widerfahren waren, sein Leben lang tragen würde.

      Trotzdem bereitete es ihm mehr psychische Probleme, als er sich eingestehen wollte. Obwohl er nichts für die Vernarbungen konnte, fühlte er sich verstümmelt. Wo er früher durchaus einem Flirt nicht abgeneigt gewesen war, hielt er sich nun zurück.

      Auch die Ereignisse selbst machten ihm noch fast jede Nacht zu schaffen. Er träumte von Sara, ihrem ungeborenen Kind und den Banditen, die ihn verschleppt und gequält hatten. Mitten in der Nacht wachte er schweißgebadet auf, tagsüber war er entsprechend müde und fühlte sich zerschlagen, als hätte er die halbe Nacht gekämpft.

      Er hatte gleich am Tag nach seiner Rückkehr wieder seine Arbeit bei Raschid Aziz aufgenommen. Obwohl der ihn hatte heimschicken wollen, bestand Taib darauf, sich durch die Tätigkeit in der Kanzlei abzulenken.

      Es war bereits Anfang November, als Raschid mit einem Umschlag das Büro betrat, den er soeben in der Post gehabt hatte und den er aufgeregt noch im Stehen an seinem Schreibtisch öffnete. Einige Minuten lang sichtete er die Unterlagen, dann setzte er sich mit offenem Mund hin und sagte eine Weile nichts mehr.

      Taib, der das eigenartige Verhalten seines Chefs beobachtet hatte, fragte ihn stirnrunzelnd, was denn passiert sei? Woraufhin Raschid ihn anstarrte und erst einmal nach Worten rang: „Er hat es wirklich geschafft! Sieh‘ dir das an!“ Erwartungsvoll reichte er ihm den Umschlag.

      Im ersten Moment konnte Taib nicht einordnen, was er da in Händen hielt. Dann las er den Namen, der auf allen Dokumenten aufgeführt war: „Taib Riad“ - Riad? Er erkannte natürlich seinen Vornamen, aber bis dato hatte er nie einen Familiennamen gehabt.

      Vor allem an einer der Urkunden blieb sein Blick schließlich haften: Die Abschrift einer Geburtsurkunde – SEINER Geburtsurkunde?! Anders konnte es nicht sein. Das Alter kam auf jeden Fall hin, auch wenn er seinen genauen Geburtstermin nicht kannte. Und die Namen der Eltern! ER hatte Eltern? Natürlich war ihm klar, dass jemand ihn geboren haben musste, aber er hatte sich so lange auf der Straße als wertlose