Rayan - Im Auge des Sturms. Indira Jackson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Indira Jackson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738038460
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Sven hieß, doch er wollte sie damit zusätzlich ärgern.

      Und ohne ihre weitere Reaktion zu beachten, drehte er sich mit den Worten um „Und nun reg dich nicht so auf, das schadet meiner kleinen Tochter!“, und ließ Carina stehen.

      Sie schrie ihm einige Beschimpfungen in Deutsch und Arabisch hinterher, die ihn aber nicht auf seinem Weg nach draußen aufhielten. Ein breites Grinsen war auf seinen Lippen.

      „Meine kleine Tochter“, wie schön es war, sich diese Worte auf der Zunge zergehen zu lassen.

      November 2005 - Alessia - Unendliche Sturheit

      Am nächsten Morgen schockierte Taib seinen Chef, indem er ihm mitteilte, dass er sich zwar sehr über die Abstammungsurkunden freue, jedoch das Angebot für das Studium ablehne.

      Und zum zweiten Mal innerhalb eines Tages saß Raschid mit offenem Mund an seinem Schreibtisch. „Aber wieso?!“, sein kompletter Ausdruck zeigte Verwirrung und komplettes Unverständnis.

      Gelassen antwortete Taib ihm, der natürlich mit dieser Reaktion gerechnet hatte: „Ich habe gestern Abend noch lange darüber nachgedacht. Ich lasse mich nicht auf eine derartige Geschichte ein, wenn ich nicht weiß, was genau dahinter steht. Am Ende bin ich nachher erpressbar. Nein danke! Ich will mein eigener Herr bleiben.“

      Sein Gesicht verriet, dass das für ihn das letzte Wort war.

      Raschid Aziz kannte seinen Schützling mittlerweile gut genug, dass der in seiner unendlichen Sturheit einen Entschluss gefasst hatte, den er ihm nicht mehr ausreden konnte. Er seufzte und begab sich kopfschüttelnd wieder an seine Arbeit.

      Es war einige Tage später, dass Raschid einen Anruf erhielt, den er schon die ganze Zeit gefürchtet hatte: Scheich Rayan Suekran erkundigte sich, ob der Umschlag angekommen war. Sie hatten in den letzten Wochen mehrfach telefoniert, doch stets hatte der Scheich sich bei ihm gemeldet, nie hatte er ihm eine Telefonnummer für Rückrufe aufgegeben. Offenbar wollte er nicht gestört werden.

      Zunächst bedankte sich der Anwalt höflich in seinem und Taibs Namen und äußerte seine Bewunderung für die gelungene Beschaffung all dieser Unterlagen.

      Dann gestand er zerknirscht und unendlich verlegen dessen Entschluss, das Studium nicht wahrnehmen zu wollen. Einige Sekunden lang war es still am Telefon, dann sagte Rayan: „Ich verstehe.“ Seinem Tonfall war nicht anzuhören, was er dachte. Kurz danach beendeten sie das Telefonat.

      Erleichtert atmete der Anwalt auf, dass er die schlechte Nachricht endlich überbracht hatte. Ihm war klar, dass es eine absolute Beleidigung war, ein derart großzügiges Angebot abzulehnen.

      Eine Weile überlegte er, wie der Scheich wohl darauf reagieren würde, dann gab er diese Gedankenspiele auf. Ihm war klar geworden, dass er im Trüben fischte. Von komplettem Ignorieren bis hin zu einem Racheakt an Taib konnte er sich alles vorstellen. Er hoffte bloß, dass der Junge seine Sturheit nicht eines Tages bereuen würde.

      Anfang März 2015 - Hummers Haus in Alessia - Stolz und Unnahbarkeit

      Carina hatte den Diener kurzerhand zur Seite gedrückt und die Tür zu dem dahinterliegenden Trakt des Hauses geöffnet. Seinen Protest ignorierte sie einfach.

      Sie war vorher noch nie hier in diesem Nebengebäude gewesen, obwohl sie nun schon einige Zeit mehr oder weniger freiwillig in Hummers Haus wohnte.

      Sie war um 10 Uhr mit Rayan verabredet gewesen, inzwischen war es bereits 10 Uhr 15. Ihr war klar, dass er sie absichtlich warten ließ und sie war entsprechend empört. Seit ihrem letzten Gespräch Anfang Februar hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Das war fast vier Wochen her!

      Mit Beharrlichkeit hatte sie es nun endlich erreicht, dass er einem Treffen zugestimmt hatte und dann war er noch nicht einmal pünktlich. Ein Diener hatte ihr mitgeteilt, dass der Herr noch nicht bereit sei. Und das hatte das Fass bei Carina zum Überlaufen gebracht.

      Wutentbrannt enterte sie den großen Raum, nur um wie angewurzelt stehen zu bleiben. Mit offenem Mund sah sie sich um. Mit diesem Anblick hatte sie nicht gerechnet, denn offenbar handelte es sich um eine großzügige Badeanlage. Im Halbdunkel des Raumes konnte sie Fliesen in verschiedenen Brauntönen erkennen. Von hell-sandfarben bis zu elegantem Mahagonibraun. Modern, aber doch im Stil der alten Badeanstalten aus der Römerzeit. Was durch goldene Armaturen und Säulengänge unterstrichen wurde.

      In der Mitte befand sich eine gigantische Badewanne, wobei dieser Begriff reichlich untertrieben war: ebenfalls gefliest und etwa vier mal vier Meter groß. Einige Treppenstufen führten hinein in das dampfend warme Wasser.

      Und dort sah sie Rayan. Er stieg gerade aus dem wohlriechenden Schaumbad.

      Carina traute kaum ihren Augen, als sie die fünf Badefrauen bemerkte, die sich sofort seiner annahmen. Sie waren alle vollständig bekleidet in edlen Seidengewändern und hübsch aufgemacht mit sorgsam frisierten Haaren und einem leichten Schleier vor ihrem Gesicht, der allerdings durchsichtig war.

      Von beiden Seiten traten zwei der Mädchen an ihn heran und begannen, ihn an Armen, Beinen und dem Rücken abzutrocknen. Rayan selbst verharrte am Rand des Beckens und hob lediglich beide Arme ein wenig an.

      Dann trat die dritte Frau von vorne an ihn heran und erkundigte sich, ob sie „ihrem Herrn auch den Rest seines Körpers abtrocknen dürfe“, was Rayan bejahte. Da dies ganz offenbar nicht nur seinen Bauch, sondern auch die Region zwischen seinen Beinen beinhaltete, schoss Carina das Blut ins Gesicht, während sie diese Szene heimlich mit beobachtete. Sie schwankte zwischen verschiedenen Emotionen: Peinlich-Berührt-Sein, über Empörung bis hin zu Bewunderung. Eigenartigerweise verspürte sie keinerlei Eifersucht.

      Aber aufgrund der Bekleidung schlussfolgerte Carina richtig, dass die Frauen Rayan nicht im Wasser begleitet hatten, sondern sich erst außerhalb des Bades um das Wohlbefinden ihres Herrn kümmerten.

      Keiner der sechs Personen schien Carina bemerkt zu haben, worüber sie inzwischen froh war. Denn ihr war nun klar, dass ihre Ungeduld sie wieder einmal in eine unangenehme Lage gebracht hatte. Sie beschloss, das Beste daraus zu machen und beobachtete einfach fasziniert weiter das Geschehen.

      Kaum war Rayan an allen Stellen hinreichend getrocknet, kamen die beiden bisher untätigen Mädchen zum Einsatz: Mit sanften Bewegungen begannen sie, den muskulösen Körper ihres Herrn einzuölen.

      Die ganze Situation war für Carina derart ungewohnt, fast surreal, dass sie beschloss, sich weiterhin nicht zu erkennen zu geben.

      Zum einen konnte sie sich von Rayans nacktem Körper nicht losreißen, den sie nun schon eine ganze Weile nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Obwohl sie lediglich die Rückseite mit den festen Pobacken und vor allem seine muskelbepackten Oberarme sehen konnte, erschien er ihr noch schöner als in ihren Träumen. Denn zu ihrem Leid musste sie sich gestehen, dass sie noch immer von ihm träumte. Alle ihre Vorsätze, sich endlich von ihm zu lösen, waren vergeblich.

      An diesem Eindruck änderten auch keineswegs die grausamen Narben etwas, die seinen kompletten Rücken in weisen Linien durchzogen. Ein makabrer Kontrast zu dem tiefen Braun seiner Haut. Doch statt sie abzustoßen, vermittelte ihr dieser Anblick wilde Eleganz, was sie eher noch mehr faszinierte. Sie wusste, dass nicht viele Menschen das Geheimnis dieser Narben kannten und konnte einen gewissen Stolz nicht verleugnen. Stolz und Zuneigung. Am liebsten wäre sie zu ihm geeilt und hätte ihn tröstend in die Arme genommen. Doch das war nicht möglich. Wie hatte es nur so weit kommen können? Und wieso interessierte sie sich überhaupt noch für diesen Mann? Sie konnte dieses unglaubliche Gefühl, dass sie keine andere Wahl hatte, als ihn zu lieben, nicht mit Logik erklären.

      Das umso mehr, als sie sich angesichts ihrer Lage als „Besucherin ohne Erlaubnis, das Grundstück zu verlassen“ - andere würden dazu „Gefangene“ sagen - vorgenommen hatte, ihn zu hassen. Sie schaffte es nicht. Es war, als unterliege sie seinem Bann, ohne Chance auf eigenen Willen.

      Verstärkt wurde dieses Gefühl von der Gesamtsituation, die sich ihr im Moment darbot: