Rayan - Im Auge des Sturms. Indira Jackson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Indira Jackson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738038460
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Rayan, was er tun sollte, wenn der Mann sich weigerte, mit ihm zu kommen, doch diese Befürchtung erwies sich als unbegründet. Die ersten Minuten ritten sie schweigend nebeneinander her. Der angehende Anwalt war kein erfahrener Reiter und hatte daher seine Mühe, das ihm zugewiesene Pferd zu kontrollieren.

      Rayan hielt an und stieg ab. Er untersuchte einige Spuren, die er am Boden gesehen hatte. „Das waren nur wilde Kamele, ohne Reiter, keine Gefahr für uns“, kommentierte er und stieg wieder auf. Schweigend setzten sie ihren Weg fort, bis auf einmal die Sonne über dem Sand emporstieg.

      Daraufhin hielt der Scheich inne, um das Schauspiel zu bewundern. Taib war ihm eigentlich nicht einmal so unsympathisch. Wie sollte er ihn aus der Reserve locken?

      Es hatte auf jeden Fall keinen Sinn, solange er zu Pferd und entsprechend abgelenkt war und so hielt Rayan schließlich an. Beide stiegen ab und der Scheich zeigte ihm, wie er den Zügel über den Kopf des Pferdes ziehen musste. Ein Zeichen für die Tiere, an diesem Fleck stehenzubleiben.

      Dann forderte er Taib auf, sich mit ihm gemeinsam hinzusetzen. Als beide im Sand Platz genommen hatten, begann er damit, genau zu erklären, was er bei seinen morgendlichen Runden machte und warum. Der Aushilfsanwalt hörte staunend zu. Anschließend fragte Rayan unvermittelt: „Wieso provozierst du meine Männer? Hast du solche Todessehnsucht?“

      Taib sah ihn einen Moment lang trotzig an und entgegnete dann: „Ich provoziere keineswegs deine Männer, sondern dich.“

      Rayan war nicht entgangen, dass sein Gegenüber ganz bewusst nicht die höfliche Anrede gebrauchte, die ihm aufgrund seines Ranges eigentlich zustehen würde. Doch er ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen.

      Er lachte stattdessen trocken über die direkte Aussage seines widerspenstigen Gastes. „Tut mir leid. Um mich zu provozieren, musst du schon schwerere Geschütze auffahren.“ Er war wirklich amüsiert, denn der Mut des Fremden beeindruckte ihn.

      In den Augen von Taib blitzte es wütend auf. Er legte Rayans Lächeln als Arroganz aus und das brachte ihn in Fahrt. Und auf einmal brach es aus ihm hervor und er fuhr den Scheich an:

      „Du bist kein Deut besser, als dieser Bandit, der meine Sara getötet hat! Auch du spielst mit der Angst deiner Männer. Nein eigentlich bist DU sogar schlimmer! Denn du bist mit einem goldenen Löffel im Mund geboren. Ich wette, du hast keine Ahnung, wie es ist, Hunger zu erleiden. Schon dein ganzes Leben lang versteckst du dich hinter einer ganzen Armee von Dienern und Leibwächtern und was weiß ich nicht alles. Wenn ich schon sehe, wie alle in Ehrfurcht erstarren, sobald du auch nur näher kommst – zum Kotzen finde ich das! Wie das Leben wirklich ist, für uns, die wir auf der Straße leben, davon hast DU doch keinen Schimmer! Und du sagst, du hast mich gerettet? Das glaube ich erst, wenn ich es sehe. Vermutlich hast du auch nichts anderes vor, als mich an irgendwen weiterzuverkaufen. Welchen Grund sollte ein Egoist wie du sonst haben, sich für mich einzusetzen? Was springt für dich dabei heraus?“

      Herausfordernd starrte er Rayan an. Der hatte bei diesen anklagenden Worten jeglichen Humor verloren. Er musste schlucken, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Was fiel diesem Mann eigentlich ein? Das Bild, welches er sich vom Scheich offenbar selbst gemalt hatte, war so falsch und seine Vorwürfe derart ungerecht, dass Rayan das Blut in den Adern kochte. Wie es schien, hatte Taib keine Ahnung von seinem Gegenüber. Aber der Tarmanenführer würde ihm nicht den Gefallen tun, sich zu rechtfertigen, oder gar von den Erlebnissen in seiner Vergangenheit erzählen. Dafür war er zu stolz.

      Er bemühte sich, seine Stimme neutral klingen zu lassen, als er entgegnete: „Du scheinst dich ja bestens über mich erkundigt zu haben. Ich nehme deine Haltung zur Kenntnis. Aber es ist tatsächlich so, dass dein Verhalten weniger mich, als vielmehr meine Männer beleidigt. Sie waren es, die ihr Leben für dich eingesetzt haben – bereits zweimal! Damit sind sie nach unseren Gesetzen für dich verantwortlich. Wenn du dich also als Gast nicht benehmen kannst, schlägt das auf sie zurück. Das solltest du in Zukunft im Hinterkopf haben, wenn du weitere Unverschämtheiten versprühst.“

      Damit stand er auf, es war alles gesagt.

      Nachdenklich sah Taib den Scheich an, als er sich ebenfalls erhob. Er spürte, dass dieser ihm die Wahrheit gesagt hatte.

      Und was ihn ebenfalls verblüfft hatte, war, dass dieser die Beleidigungen einfach so hingenommen hatte, ohne sich zu rechtfertigen. Er hatte wortreiche Erzählungen oder Erklärungen erwartet, doch eigentlich war er nun genauso schlau wie vorher. Zudem war Taib nicht dumm. Ihm war völlig bewusst, dass sein Leben auf Messers Schneide gestanden hatte. Denn hätte der Tarmane beschlossen, ihn gleich hier für seine Unverschämtheit zu töten, er hätte es sicher nicht verhindern können. Vielleicht steckte doch mehr in diesem Scheich, als es zunächst den Anschein gehabt hatte.

      02.02.2015 - München: Polizeirevier - Die Wahrheit

      Rayan hatte in einem Büro einige Schritte den Gang hinunter gemeinsam mit seinem „Retter“ Platz genommen.

      Der sah ihn über den Schreibtisch hinweg an. „Mein lieber Scheich. Sie wissen, dass Sie aufgrund Ihres politischen Status jederzeit zur Tür hinausgehen können. Wir können und wollen Sie nicht aufhalten.“ Er hielt einen Moment inne, um Rayans Reaktion abzuwarten. Der nickte kurz. Sie sprachen erneut Englisch miteinander.

      Daraufhin fuhr der Mann vom Innenministerium fort: „Ich möchte Sie trotzdem bitten, uns bei diesem Fall weiterzuhelfen. Wir haben immerhin drei Leichen mitten in einem der beliebtesten Parks Münchens liegen …“, er wollte noch mehr sagen.

      Doch Rayan hatte ihn mit einer Geste seiner Hand zum Schweigen gebracht. „Ich will Ihnen gerne behilflich sein. Natürlich. Alle drei Männer wollten mich ermorden. Sie haben meinen Sohn entführt und ihn als Druckmittel benutzt. Dafür haben sie ihre gerechte Strafe nun erhalten“, führte Rayan ruhig aus, als spräche er über das Wetter.

      Sein Gegenüber sah ihn einen Moment lang nachdenklich an, dann sagte er: „Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit. Trotzdem benötige ich ein paar mehr Details. Wir wissen, dass nur einer der drei Männer aus direkter Nähe getötet worden ist. Die beiden anderen starben an Schüssen aus fast 200 Metern Entfernung …“

      Wieder nickte Rayan. „Das ist die Stelle an der ich mich bei Ihnen entschuldigen muss.“ Der hob überrascht die Brauen. Der Scheich überlegte einen Moment, wie viel er dem Mann anvertrauen konnte. Dann fuhr er fort: „Die Schüsse aus dem Scharfschützengewehr wurden von einem meiner Leibwächter abgegeben. Der Mann hat mein Leben verteidigt. Den dritten Täter habe ich selbst mit der Waffe seines Kollegen getötet.“ Gespannt wartete er auf die Reaktion seines Gegenübers.

      Der nickte bestätigend und sagte: „So etwas habe ich mir schon gedacht. Sie verstehen aber sicher, dass wir mit Ihrem Leibwächter darüber sprechen müssen …“.

      Rayan lächelte sanft: „Das wird leider nicht möglich sein. Beide Leibwächter sind heute Mittag, direkt nach dem Vorfall, auf meinen Befehl hin mit meinem Sohn nach Hause geflogen. Inzwischen sind sie hoffentlich fast da. Sicher verstehen Sie, dass ich meinen Sohn keinem weiteren Risiko aussetzen wollte …“.

      Sein Gegenüber verzog das Gesicht. Diese Information gefiel ihm nicht. Ihm war anzusehen, dass er Rayans Verzögerungstaktik durchschaut hatte. Auch war ihm klar, dass „hoffentlich fast da“ übertrieben war. Jedoch war ebenfalls offensichtlich, dass sie keinen Einfluss mehr auf die Maschine hatten, die sicher den deutschen Luftraum bereits verlassen hatte.

      Er nickte bedächtig: „Wie bedauerlich. Aber in diesem Falle habe ich keine weiteren Fragen mehr an Sie. Ich danke Ihnen für Ihre Kooperation. Einer der Beamten wird Sie – ich nehme an zum Flughafen? – fahren.“ Er lächelte ironisch. Sie sprachen immer noch in Englisch, denn Rayan hatte bei ihren bisherigen Treffen wohlweislich seine Deutschkenntnisse verschwiegen. Manchmal hatte er den Eindruck, dass der Mann seine Hausaufgaben gemacht hatte und um sein Sprachwissen wusste, oder es zumindest ahnte. Trotzdem spielte er das Spiel mit – das war Politik.

      „Benötigen Sie sonst noch etwas?“, fragte der Deutsche mit einem eindeutigen Blick auf das ramponierte Äußere des Scheichs, doch